Bürgermeisterin Karola Voß (57) steht am Beginn ihrer zweiten Amtszeit. Nach knapp 100 Tagen zieht sie ein erstes Resümee und blickt weit nach vorne.

© Stephan Rape

Bürgermeisterin Karola Voß: „Manchmal beiße ich in die Tischkante“

rnInterview

Bürgermeisterin Karola Voß (57) hat die ersten 100 Tage ihrer zweiten Amtszeit hinter sich. Mit Redakteur Stephan Rape hat sie über Neuanfang, die Pandemie und die Ratsarbeit gesprochen.

Ahaus

, 10.02.2021, 04:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Karola Voß wurde von den Ahauser Bürgerinnen und Bürgern im September 2020 mit beeindruckender Mehrheit wiedergewählt. Im Interview stellte sie sich den Fragen der Redaktion.

War die Wiederwahl ein Neustart oder ein „Weiter so“?

Die Wahl war auf jeden Fall eine Unterbrechung, weil man ja nicht davon ausgeht, dass es unbedingt weitergeht. Aber es war ein großer Unterschied zum Start in meine erste Amtszeit und ich kann auf meine bisherige Arbeit und meinen Erfahrungsschatz aufbauen. Der Wechsel nach dem 2. November war nicht groß.

Was hat Sie in den ersten 100 Tagen der neuen Amtszeit überrascht?

(denkt nach) Hm, eine Veränderung war, dass auch der Rat neu gewählt wurde, immerhin etwa ein Drittel neue Mitglieder. Zu Beginn meiner ersten Amtszeit war der Rat schon ein Jahr im Amt. Es sind zusätzlich neue Ausschüsse gebildet worden, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Und natürlich ist das Thema Pandemie immer ein Blick in die Glaskugel.

Wie hat sich Ahaus in den fünf Jahren seit Ihrer ersten Wahl entwickelt?

Ich finde total gut, wenn man das auf fünf Jahre überhaupt sehen kann. Es waren aus meiner Sicht erfolgreiche Jahre für die Stadt und ihre Ortsteile. Wirtschaftlich gesehen und auch in der Innenstadt oder im Eventbereich ist viel passiert – etwa mit dem Kulturquadrat.

Und was war Ihr Anteil daran?

Das, was man von einer Bürgermeisterin erwarten kann: dass sie eine gute Leiterin ihrer Verwaltung und ein gutes Bindeglied zwischen Politik, Verwaltung und Bürgern ist.

Vor fünf Jahren fielen Ihre ersten Tage im Amt mitten in die Flüchtlingskrise. Mit der Corona-Pandemie startet die neue Amtszeit mitten in der nächsten Krise. Was war einfacher?
Es ist ganz unterschiedlich gewesen. In der Flüchtlingskrise mussten wir spontan notwendige Rahmenbedingungen schaffen, Wohnungen und Unterkünfte zur Verfügung stellen oder Sprachschwierigkeiten überwinden. Die Pandemie hat etwas, was man gar nicht greifen kann und neben den finanziellen Auswirkungen auch stark Stimmungen beeinflusst.

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Also wächst man mit seinen Aufgaben?

Die Bürgermeister, die länger im Amt sind, kennen natürlich ihre Verwaltungen und Strukturen besser als jemand, der jetzt frisch anfängt. Außerdem sind wertvolle Netzwerke vorhanden. Darauf kann ich zurückgreifen. Ganz klar ein Vorteil. Aber auch neue Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bekommen das gut gehandelt.

Die Pandemie ist nach zehn Monaten fast schon traurige Routine. Was hat die Verwaltung im Moment damit zu tun?

Wir versuchen möglichst wenig persönlichen Kontakt in der Belegschaft zu haben, sei es durch ein Schichtsystem oder durch Homeoffice. Einfach, um arbeitsfähig zu bleiben. Videokonferenzen gehören genauso zum Alltag. Da können wir für die Zukunft einiges mitnehmen. Die weiteren Aufgaben – etwa bei neuen Rechtsverordnungen oder Regelungen – haben sich inzwischen gut eingespielt.
Und noch einmal Coronavirus: Was bleibt deswegen liegen?

Die Arbeiten ändern sich natürlich. Es gibt zum Beispiel derzeit keine Ausschusssitzungen. Also werden auch keine Beschlüsse gefasst - allerdings haben wir eine gute Form gefunden, um sich zwischen Verwaltung und den Ausschüssen auszutauschen. Alles, was mit Präsenz oder Veranstaltungen zu tun hat, ist stark eingeschränkt. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass viel liegen bleibt oder wir Rückstände schaffen. Alle klassischen Verwaltungsaufgaben laufen weiter.

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Die Liste Ihrer Ziele für die kommenden fünf Jahre ist lang und lässt kaum einen Aspekt in Ahaus aus. Was hat Priorität?

Meine Aufgaben sind ja eben sehr vielfältig. Viele Themen laufen ja auch parallel und lassen sich gar nicht in mehr oder weniger wichtig einordnen. Ein besonderes Gewicht hat für mich Digitalisierung von Verwaltungsaufgaben und der Punkt Smart-City. Dabei stehen in erster Linie die Interessen der Menschen in Ahaus im Vordergrund. Der Kontakt mit der Stadtverwaltung soll einfacher werden. Da wünsche ich mir, dass wir in den nächsten fünf Jahren große Schritte machen können. Wichtig ist natürlich auch eine attraktive Stadt. Konkret betrifft das die Wallstraße, das Schlossumfeld, den Marienplatz und die Königstraße bis hin zu einzelnen Projekten in den Ortsteilen. Außerdem sollen in der Zeit bessere Rahmenbedingungen für den Radverkehr geschaffen werden.

Welche Rolle spielt das Thema Atommüll?

Eine große. Es war jetzt etwas länger ruhig in Ahaus, aber es sind Transporte in Aussicht gestellt – auch kurzfristig. Für mich ist das eine grundsätzliche Angelegenheit. Mir ist auch für die Region wichtig, dass wir nicht allein die Verantwortung für eine Endlagerung haben. Wir haben in Ahaus ein Zwischenlager. Das kann tatsächlich auch 50 Jahre oder länger sein. Ahaus hat räumliche Kapazitäten und es gibt vertragliche Verpflichtungen. Wir müssen darauf achten, welche Abfälle hier gelagert werden und welche nicht. Ausdrücklich sehen wir hochradioaktive Abfälle sehr kritisch und prüfen die rechtlichen Möglichkeiten.

2015 nach Ihrer ersten Wahl sprachen wir an dieser Stelle über Idealismus im Amt. Haben Sie sich den bewahrt?

Ja. Eindeutig. Natürlich sitze ich hier auch manchmal und beiße in die Tischkante, aber ich war zu keinem Zeitpunkt unzufrieden mit meiner Aufgabe und mit dem, was ich erreichen kann.

Sind Ihre Tage länger oder kürzer geworden?

Weniger ist die Arbeit jedenfalls nicht geworden. Die Einarbeitung ist zwar weggefallen, dafür nehme ich mir jetzt Zeit für andere Dinge.

Beschreiben Sie doch einmal die Zusammenarbeit mit dem Ahauser Rat.

Das ist eine Herausforderung (lacht). Ich bin im Wesentlichen damit zufrieden. Politik und Rat müssen ja mit einem kritischen Blick auf die Verwaltung blicken. Dabei geht es aber auch darum, gemeinsam Strategien für die Zukunft zu entwickeln und nicht per se nur nach Fehlern zu suchen. Ich habe den Eindruck, dass die Fraktionen verstärkt Sachthemen angehen und ich bzw. die Verwaltung sehen muss, wie wir das alles hinbekommen. Im Großen und Ganzen ist in der Zusammenarbeit von vertrauensvoll bis sehr kritisch alles dabei. Aber ich mache das gerne, weil ich den Ehrgeiz habe, immer eine gute Basis für Zusammenarbeit herzustellen. Und es ist auch einfach interessant, wie unterschiedlich Menschen sind.

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Was sehen Sie heute gelassener?

Die Erfahrung aus fünf Jahren macht mich gelassener. Ich kann mich auf viele Leute in der Verwaltung und auch in der Stadt sehr gut verlassen. Ich stehe vor nichts alleine. Ich kann immer mit gewisser Ruhe ins Rathaus kommen, egal was ansteht.

Und worauf achten Sie mehr?

Vor fünf Jahren hatte ich einen groben Blick auf die Themen. Jetzt stecke ich viel tiefer in Details und sehe im Kleinen Dinge und arbeite daran.

Können Sie sich auf Ihrem Wahlergebnis ausruhen? Immerhin wurden sie mit 77 Prozent der Stimmen gewählt.

Nein. Das Ergebnis war der Hammer. Aber ich möchte eher zeigen, dass ich es verdient habe. Das ist für mich ein Ansporn, weil die Menschen mir das zutrauen.

Wurden Sie eher wegen Ihrer Inhalte oder aus Sympathie gewählt?

Das kann ich schwer beantworten. Das müssten Sie die Wähler fragen. Ich vermute, es gibt beides – hoffe ich. Wobei es ja auch für das Ergebnis egal ist, oder? (lacht)

Haben Sie sich etwas Besonderes für die nächsten fünf Jahre vorgenommen?
Es wäre schön, wenn wir in fünf Jahren nicht die nächste Krise hätten.

Ist das schon der Blick auf eine neue Kandidatur in fünf Jahren?

Darüber können wir später reden. Das ist überhaupt noch nicht entschieden, hätte aber seinen Reiz.

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