
© Elvira Meisel-Kemper
Aus Fremden wurde in Ahaus eine Familie
Flüchtlingsintegration
Als noch kinderloses Paar entschieden sich Vanessa und Heiko Lissek, einen unbegleiteten Flüchtling bei sich Zuhause aufzunehmen. Schnell wurde aus Mohammed ein eigener Sohn.
Der mediale Aufruf, geflüchtete, unbegleitete Kinder und Jugendliche in die eigene Familie aufzunehmen, erreichte auch Vanessa (39) und Heiko (44) Lisseck aus Ahaus. Das damals noch kinderlose Ehepaar Lissek las das und meldete sich nach reiflicher Überlegung beim Jugendamt im Oktober 2015.
Nach der Meldung beim Jugendamt 2015, ein Flüchtlingskind aufzunehmen, bekam das Ehepaar Lisseck doch noch überraschend Felix (4) und danach noch Florian (fast 2).
Vier Jahre Flucht
„Anfang 2017, da war Felix gerade fünf Monate alt, erhielten wir einen Anruf vom Jugendamt, ob wir immer noch jemand aufnehmen wollten“, schildert Vanessa Lisseck den Vorgang der Familienerweiterung.
2015 kam Mohamad als 15-jähriger nach vierjähriger Flucht aus Homs/Syrien mit einem erwachsenen Bruder in Ahaus an. Als elf-jähriger flüchtete er vor dem Krieg aus seiner Heimat in eine ungewisse Zukunft. Dort hat er seine Eltern und elf weitere Geschwister zurücklassen müssen. Die Flucht führte die Brüder durch Ägypten, Marokko, Algerien. „Er durfte während dieser Zeit nicht die Schule besuchen. Als wir ihn kennenlernten, besuchte er seit zwei Jahren die internationale Klasse des Alexander-Hegius-Gymnasiums und er konnte schon sehr gut Deutsch“, fügt sie hinzu.
Einzug ins neue Zuhause
Vom ersten Anruf des Jugendamts bis zum Einzug von Mohamad, der nur Hamoudi gerufen wird, dauerte es gerade mal vier Wochen. Nach dem ersten Anruf kamen sein Vormund, sein Erziehungsbeistand und ein Vertreter des Jugendamts ohne Mohamad in das Heim der Familie Lissek.
„Danach haben wir Mohamad in der Flüchtlingsunterkunft in Alstätte besucht. Vier Tage danach haben wir uns entschieden, ihn aufzunehmen. Zwei Wochen später zog er bei uns ein mit Rucksack und Reisetasche“, erinnert sich die Familienmutter.
Anfangs sei er sehr schüchtern gewesen und habe oft gefragt, wie lange er bleiben dürfe.
Leibliche Mutter lebt in Frankreich
„Er kann so lange bleiben, wie er möchte, haben wir ihm geantwortet. Nach zwei Wochen hat er das nicht mehr gefragt. Und nach weiteren zwei Wochen hat er seinen Freunden Felix als seinen kleinen Bruder vorgestellt“, freut sie sich noch heute über diese gute Entwicklung.
Mittlerweile sind seine Eltern nach Frankreich geflüchtet. Der Vater starb im Mai, die Mutter ist ein Pflegefall. Dennoch möchte er in Deutschland bleiben. Beim FC Oldenburg spielt er Fußball. Im Sommer hat er seinen Realschulabschluss am Berufskolleg Wirtschaft und Verwaltung mit einem Durchschnitt von 2,2 abgelegt. Seinen Führerschein hat er im ersten Anlauf ebenfalls bestanden. Ende Oktober beginnt er ein Praktikum bei Elektro Horst in Wessum als Elektriker. Danach möchte er eine Ausbildung zum Elektriker machen.
Emotionale Momente
Zurzeit hält sich Mohamad in Frankreich bei seiner Mutter auf. In einem Telefonat bestätigt er die Absicht, seine Zukunft beruflich und privat in Deutschland zu gestalten, verbunden mit einem emotionalen Lob an seine Pflegefamilie: „Sie waren wie Fremde für mich am Anfang. Nach einiger Zeit haben sie mir das Gefühl gegeben, ihr eigenes Kind zu sein. Das war ein sehr gutes Gefühl.“
Auch Vanessa Lissek erinnert sich an emotionale Momente: „Er war der Erste, der zu mir Mama gesagt hat. Gegenüber seinen Freunden bin ich seine Mutter. Ich finde es schön, dass wir für ihn Familie sind und er für uns. Wir haben die Tür aufgestoßen, durchgegangen ist er. Heute haben wir drei Jungs.“
Elvira Meisel-Kemper ist freie Kunsthistorikerin und Journalistin. Sie hat Erfahrung als Autorin, Kunstvermittlerin, Projektbegleiterin und in der Fotografie. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten liegt in der Kunstszene des Münsterlandes.
