
© Hubert Feldhaus
Als Alstätte im März 1945 durch den Bombenhagel der Royal Air Force zerstört wurde
Zeitzeugen erinnern sich
Alstätte wurde am 22. März 1945 durch den Bombenhagel der Royal Air Force fast vollständig zerstört. Zeitzeugen berichten, wie sie diesen schrecklichen Tag erlebet haben. Die Hintergründe.
Der Heimatverein Alstätte erinnert mit vier Schwerpunkten in den vier Ausgaben der Heimatblätter 2020 an die verheerende Bombardierung Alstättes im Zweiten Weltkrieg. Dazu hat Heinrich Heidemann bewegende Gespräche mit Zeitzeugen geführt. Hier sind ihre Erinnerungen an den 22. März 1945.
Als Heinrich van Weyck und Heinz Kuhlmann am Abend des 21. März 1945 in den Nachthimmel sahen, ahnten sie Schlimmes. Tagsüber war das rund 15 Kilometer entfernte Stadtlohn von den Flugzeugen der Alliierten bombardiert worden, der Feuerschein der brennenden Stadt war noch in Alstätte gut zu sehen.
Wenn eine Prophezeiung wahr wird
„Morgen sind wir dran“, prophezeiten einige der Erwachsenen – und sollten damit fürchterlich Recht haben. Dabei begann der 22. März so schön, die Sonne versprach einen wunderbaren Frühlingstag. Umso unverständlicher schien die Warnung, die der Vater von Hedwig Wigger, die als junges Mädchen van Weyck hieß, aus Ahaus an ihre Mutter übermittelte: „Bring die Kinder in die Bauerschaft, heute wird Alstätte bombardiert.“
Trotzdem befolgte Hedwigs Mutter die Warnung, brachte sie und ihre Geschwister auf einen Bauernhof. Von dort aus wollte sie wieder zurück in ihr Haus, in dessen unmittelbarer Nähe Soldaten eine Wehrschanze bauten. „Bleiben Sie hier, ich passe schon auf“, sagte Jens Hansen, als er sich auf den Weg zurück ins Dorf machte.
Royal Air Force warf 88 Fünf-Zentner-Bomben über Alstätte ab
Das war das letzte Mal, dass Hedwig und die anderen ihn lebend sahen – kurz darauf, um 10.50 Uhr, brach das Inferno über Alstätte herein, in zwei Angriffswellen warfen Bomber der Royal Air Force 88 Fünf-Zentner-Bomben über dem kleinen Ort ab und zerstörten ihn fast komplett. „That place existed“ – „Der Ort hat einmal existiert“ stand später im Einsatzbericht des Geschwaders.
Und auch den Soldaten Jens Hansen gab es nicht mehr, er wurde tot im Straßengraben liegend gefunden. Das Dorf hat er nicht mehr lebend erreicht, seine sterblichen Überreste ruhen auf dem Friedhof unter einem Grabstein, der heute noch an das kurze Leben des jungen Mannes erinnert.
Zeitzeugen berichten von traumatischen Erlebnissen
Eine Nachbarin von Änne Nienhaus starb bei dem Versuch, sich in Sicherheit zu bringen. „Sie wollte zusammen mit einem russischen Kriegsgefangenen zur Aa laufen, weil sie dachte, dort wäre es sicherer als im Dorf.“

Viele der heutigen Senioren, die die Schrecken des Kriegs als Kinder selbst miterleben mussten, sprachen für die Interviews mit Heinrich Heidemann (2.v.r.). © Bernd Schäfer
Beide fand man später mit von der Druckwelle der Detonationen zerplatzten Lungen. Änne Nienhaus selbst hatte mehr Glück: Sie duckte sich in einem noch von einem früheren Angriff stammenden Bombentrichter und überlebte darin unverletzt. Wie aus dem Nichts seien die Bomber am Himmel aufgetaucht.
Die Piloten der Royal Air Force flogen tief
Sie flogen so tief, dass ich die Piloten erkennen konnte. Und wie sie die Hebel der Bombenschächte zogen“, sagt Heinz Kuhlmann, der damals elf Jahre alt war und sich wie viele andere nicht mehr rechtzeitig in einem Bunker in Sicherheit bringen konnte.
Das konnte auch Heinrich van Weyck nicht mehr. Ein Bombeneinschlag riss dem damals 13-Jährigen den rechten Arm ab. Zum Glück für ihn waren einige Soldaten in der Nähe. „Die banden mir den Arm mit einem Fahrradschlauch ab“, erinnert sich van Weyck noch gut an die dramatische Situation – in der er ohne Hilfe wohl innerhalb kurzer Zeit verblutet wäre.
Das Krankenhaus wurde kaum beschändigt
Die Soldaten brachten ihn ins Krankenhaus des kleinen Orts, das auf fast wundersame Weise kaum beschädigt wurde. Einen Chirurgen gab es dort allerdings nicht mehr, stattdessen nahm sich Dr. Hölscher, der eigentlich „nur“ der Hausarzt des Dorfs war, des verletzten Jungen an. Und rettete ihm damit das Leben.
An die Zeit nach der schweren Verletzung hat Heinrich van Weyck noch eine überraschende Erinnerung: „Dass mir plötzlich ein Arm fehlte, fand ich gar nicht so schlimm. Erst als ich später in Münster eine Prothese bekommen sollte und dort all die anderen Menschen sah, denen manchmal sogar beide Beine fehlten – da musste ich weinen.“