Die Zeche in Werne wurde 1899 gegründet – es war das erste Mal, dass der Bergbau die Lippe übersprang. Was würde es ohne ihn heute nicht geben? Wäre die Lippestadt gar viel kleiner?
Die Zeche Werne hat 76 Jahre lang – rund drei Generationen – aktiv das Wohl und Wehe der Stadt beeinflusst. Hat für Wohngebiete und Wohlstand gesorgt, für Arbeitsplätze und Infrastruktur. Hat die Entwicklung Wernes wie mit einem Turbolader beschleunigt. Wie sähe Werne heute aus, hätte es die Zeche nicht gegeben?
„Das ist natürlich schwer zu sagen“, antwortet Wernes Planungsdezernent Ralf Bülte auf diese Frage. „Auf jeden Fall würde ein bedeutendes Stück Stadtgeschichte fehlen.“ Womöglich würde auch die Bahnstrecke Münster-Werne-Dortmund fehlen. Ganz sicher gäbe es die Arbeitersiedlung Evenkamp nicht, ebenso wenig die Beamtenwohnungen an Kamener Straße und Freiherr-vom-Stein-Straße. Wahrscheinlich gäbe es Rünthe nicht.

Vielleicht gäbe es ohne die Zeche auch Rünthe nicht, sagt der Stadtplaner – hier ein Luftbild der Marina. © Oskar Neubauer (Archiv)
„Vielleicht“, denkt Bülte nach, „vielleicht wären wir dann heute eine kleine Landgemeinde von der Größe Aschebergs mit 15.000 Einwohnern oder von der Größe Nordkirchens mit 10.000 Einwohnern.“
Kalte Solequellen nach ersten Probebohrungen
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts rückt der Bergbau langsam Richtung Norden vor. Probebohrungen, noch südlich der Lippe, zapfen erste, kalte Solequellen an. 1873 stoßen die Bergingenieure dann nördlich der Lippe, direkt vor den Toren der Kleinstadt mit dem mittelalterlichen Stadtkern, auf eine heiße Solequelle. Heilerfolge befördern die schnelle Entwicklung in Richtung Thermalbad Werne.
„Kurbad“, sagt Heidelore Fertig-Möller, „dann wären wir vielleicht ein großes Kurbad.“ Dank der Sole, die die Bergingenieure bei der Suche nach dem schwarzen Gold entdeckten, meint die Vorsitzende des Fördervereins Heimatmuseum und ehemalige Museumsleiterin.
Bergbau ließ Einwohnerzahl explodieren
Schließlich verzeichnen die Archive bereits im Jahr 1890 mehr als 2000 Badegäste in Werne. Allerdings wäre die Stadt einwohnermäßig trotzdem deutlich kleiner geblieben. Denn der Bergbau war es, der die Einwohnerzahl explodieren ließ. So etwa zwischen 1900 und 1910, als Werne von 4000 auf 8000 Bürger wuchs.
Auch Fertig-Möller kann sich, wie Ralf Bülte, vorstellen, dass die Eisenbahnlinie Münster-Dortmund ohne den Bergbau keinen Halt in der Lippestadt gemacht, sondern eher über die damalige Kreisstadt Lüdinghausen geführt hätte.

Erst durch die Bergleute konnte der evangelische Glaube in Werne Fuß fassen. Hier die Martin-Luther-Kirche an der Wichernstraße. © Helga Felgenträger (Archiv)
Die evangelische Kirche, 1904 gebaut, hätte es so nicht gegeben“, ist sich die ehemalige Museumsleiterin sicher. Denn erst durch den massiven Zuzug von Bergleuten konnte der evangelische Glaube in dem einst streng katholischen Flecken Fuß fassen.
Doch warme Sole konnte die entstehende Schwerindustrie nicht mit Energie versorgen. Die Kohlesuche ging weiter und war erfolgreich. Das führte einerseits 1899 zur Gründung der Zeche Werne (erste Kohleförderung 1902) sowie zum Versiegen der Solequelle im Jahr 1905.
Zechengelände damals fast größer als die Innenstadt
Rasch wuchs das Bergwerk auf dem dreieckigen Gelände zwischen Kamener Straße und Freiherr-vom-Stein-Straße. Rasch wuchs die Belegschaft, rasch wuchs alles, was man dafür benötigte. Schienen und Straßen, Wohnsiedlungen und Schulen, Freizeitanlagen und Einkaufsmöglichkeiten.

Zwei Fördertürme standen auf dem Zechengelände: die Schächte 1 und 2. © Stadtmuseum
Es war das erste Mal, dass der Bergbau die Lippe übersprang. Dadurch war eine städtebaulich ungewohnte Kombination anzutreffen: hier ein moderner, qualmender, lauter Industriegigant – und wenig weiter die beschauliche, mittelalterliche Innenstadt mit viel Fachwerk. Planer Ralf Bülte: „Das Gelände der Zeche war damals fast größer als die gesamte Werner Innenstadt.“
„Die Zeche hat Naturraum zerstört“
Er glaubt, dass Werne auch ohne Zeche zugelegt hätte. Aber natürlich nicht in dem Tempo. „Die Stadt hätte sich ausgedehnt, aber langsam und in konzentrischen Kreisen.“ Wer weiß, vielleicht wären dann auf dem Zechengelände Häuser für Wohlbetuchte in Nähe der Lippeauen entstanden.
Apropos Lippeaue: „Die Zeche hat natürlich auch Naturraum zerstört“, sagt Bülte. Vielleicht hätte Werne ohne den Bergbau heutzutage eine viel größere und ökologisch wertvollere Lippeaue beziehungsweise ein Naturschutz- oder Naherholungsgebiet.
Zechengelände wartet auf eine Nachnutzung
43 Jahre liegt die Schließung der Schachtanlage zurück, die in der Spitze 4000 Menschen Arbeit gegeben hat. Die heute noch stehenden Gebäude kamen zum Bedauern Bültes „leider nicht unter Denkmalschutz“. Auch die Wohnsiedlung Evenkamp nicht. Restaurierte und geschützte Bergbau-Siedlungen seien in anderen Städten wie Waltrop oder Hamm zu kleinen Schmuckstücken der Stadtentwicklung avanciert.

Das Foto zeigt die Zechenkolonie an der Brachtstraße um 1935. Ohne die Zeche würde es den Evenkamp in seiner jetzigen Form heute nicht geben. © Regio Verlag
Die Freiflächen der ehemaligen Zeche Richtung Lippe warten auf eine Nachnutzung. Die Ruhrkohle möchte das Areal gewinnbringend vermarkten, die Stadt Werne „eine gute städtebauliche Entwicklung“, sagt Bülte. Wohnbebauung ist wegen der vermuteten Bodenbelastung eher schwierig, „Gewerbeansiedlungen wären gut möglich“, so Bülte. Sicher eine Perspektive: Schließlich sucht die Stadt dringend nach neuen Ansiedlungsflächen.
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