Der Wohnraummangel erscheint allgegenwärtig. Auch in Werne ist der Bedarf an Neubauten groß. So argumentierten Stadt und Politik zumindest, als sie in den vergangenen Jahren den Weg für neue Baugebiete ebneten - etwa im Baaken oder das Wohnquartier Bellingholz-Süd. Zudem gibt es bekanntlich Pläne für mehrere weitere Projekte.
Aber wie kam es eigentlich dazu, dass der Bedarf so groß ist? Lässt sich das allein auf die steigende Bevölkerungszahl zurückführen? Wir analysieren die Situation mithilfe der kürzlich veröffentlichten Daten aus dem Zensus 2022 und 2011 sowie weiterer Zahlen des Landesbetriebs IT.NRW.
Vergleicht man den Bevölkerungsstand zum Zeitpunkt der Datenerhebung für den Zensus 2011 mit dem von 2022, dann lässt sich durchaus ein leichter Anstieg erkennen - und zwar von 29.614 auf 30.229 Einwohner. Ein Plus von 615 Menschen also. Schaut man sich demgegenüber den Wohnungsbestand an, könnte man meinen, jede dieser Personen habe mehr als eine Wohnung für sich selbst beansprucht. Denn die Zahl der Wohnungen in Gebäuden mit Wohnraum (dazu gehören auch Gebäude, die teilweise gewerblich genutzt werden) ist 2022 gegenüber 2011 sogar um 714 gestiegen - von 14.173 auf 14.887.
Auch die Zahl der Gebäude mit Wohnraum ist im Vergleich um 350 gestiegen. Die große Mehrheit der zwischen 2011 und 2022 fertiggestellten reinen Wohngebäude waren Einfamilienhäuser (366), wie aus weiteren Daten des Landesbetriebs hervorgeht. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 461 neue Wohngebäude fertiggestellt. Dadurch entstanden insgesamt 937 neue Wohnungen. (Anmerkung: Stichtag für diese Daten war der 31. Dezember, die Daten für den Zensus wurden bereits im Mai erhoben.)
Wohnformen und -bedürfnisse haben sich geändert
Doch wenn so viel neuer Wohnraum entstanden ist, woraus resultiert dann der gegenwärtige Mangel? Um das erklären zu können, muss man sich die Haushaltsstrukturen genauer anschauen. „Die Wohnformen haben sich geändert. Es gibt mehr Single-Haushalte als früher und auch die Familien wünschen sich heutzutage mehr Platz“, hatte Planungsdezernent Ralf Bülte bereits im Mai 2023 im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt.
Die nun veröffentlichten Daten aus dem Zensus bestätigen diese Aussage. Gab es in Werne 2011 noch 13.083 Haushalte, waren es 2022 bereits 14.321. Die Zahl der Single-Haushalte ist im Vergleich der beiden Jahre von 4236 auf 5568 gestiegen - und lag damit 2022 deutlich über der Zahl der Paarhaushalte ohne Kinder (4361) und solchen mit Kindern (3139). Elf Jahre zuvor gab es noch deutlich weniger Paarhaushalte ohne Kinder (3901), aber mehr Paarhaushalte mit Kindern (3721).
Dass sich die Bewohner mehr Platz wünschen, zeigt sich einerseits daran, dass zwischen 2011 und 2022 dreimal so viele Einfamilienhäuser errichtet wurden wie Zwei- und Mehrfamilienhäuser - andererseits aber auch an der Zahl der Wohnungen, die mehr als 100 Quadratmeter Wohnfläche haben. Davon gab es 2022 stolze 6286. Elf Jahre zuvor waren es lediglich 5541. Die Zahl der Wohnungen, die zwischen 120 und 139 Quadratmeter groß sind, ist fast unverändert (1740 in 2011 gegenüber 1763 in 2022).
Weniger Leerstände und fehlende Sozialwohnungen
Zwei Punkte deuten darauf hin, dass neuer Wohnraum dringend benötigt wird. Punkt Nummer eins: Gemessen an der Quote gab es in Werne 2022 deutlich weniger Wohnungsleerstände als in den meisten anderen Kommunen. Der NRW-Schnitt lag bei 3,3 Prozent - in Werne waren es nur 2,2 Prozent. Punkt Nummer zwei: Die Nachfrage nach Sozialwohnungen steigt. Immer mehr Menschen beantragten in Werne zuletzt einen Wohnberechtigungsschein. Das bestätigte Sozialdezernentin Kordula Mertens zuletzt im März im Gespräch mit unserer Redaktion.
Auf der anderen Seite fallen in den kommenden Jahren viele Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung. Voraussichtlich 170 werden es allein im Jahr 2025 sein. Ein Großteil der Wohnungen gehört dem Bauverein Werne. Dessen Vorsitzende Nadine Ruck hatte bereits im September 2023 auf Anfrage unserer Redaktion erklärt, man wolle die Wohnungen nicht verkaufen, sondern im Bestand behalten - und sie auch an Menschen ohne Wohnberechtigungsschein vermieten.
In den Reihen der Politik gab es angesichts dieser Entwicklung Überlegungen, die bei Neubauprojekten ab zehn Wohneinheiten geforderte Quote von 30 Prozent öffentlich gefördertem Wohnraum künftig zu erhöhen. Die gute Nachricht mit Blick auf den Wohnraummangel: Es stehen schon viele weitere Projekte in der Pipeline. Das größte davon stellt nach dem Wohnquartier Bellingholz-Süd das Neubaugebiet auf dem Tecklenborg-Gelände dar. Hier sollen mehr als 200 Wohneinheiten entstehen.
Ob die in einigen Jahren tatsächlich auch noch benötigt werden, wird sich noch zeigen müssen. IT.NRW prognostiziert jedenfalls, dass Werne in den kommenden Jahren deutlich schrumpfen wird. 2050 soll die Lippestadt unter die Marke von 27.000 Einwohnern rutschen. Die hätten dann aber immerhin wohl reichlich Wohnraum zur Verfügung, um sich entfalten zu können.