Psychotherapie in Werne: Die schwere Suche nach einem Platz Zwei Betroffene berichten

Die schwere Suche nach einem Therapieplatz: Zwei Betroffene berichten
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Seit der Corona-Pandemie sind im Kreis Unna Fälle von psychischen Erkrankungen um etwa 27 Prozent angestiegen. Das geht aus Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) hervor. Zwar werden wohl die wenigsten die Dienste eines Psychotherapeuten in Anspruch nehmen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Therapieplätze Mangelware sind. Wartezeiten von sechs Monaten sind normal, mancher steht aber länger als ein Jahr auf einer Warteliste. Wir haben mit zwei betroffenen Männern aus Werne gesprochen, die aus unterschiedlichen Gründen psychologische Begleitung benötigen.

Im Kreis Unna sind laut der KVWL derzeit 90,8 Psychotherapeuten tätig. „Damit beträgt der Versorgungsgrad 112,6 Prozent gemäß aktuell gültigem Beschluss des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen in Westfalen-Lippe. Daher wäre der Planungsbereich eigentlich gesperrt. Aufgrund fehlender Quotensitze gibt es hier jedoch 6,00 weitere Niederlassungsmöglichkeiten ausschließlich für ärztliche Psychotherapeuten“, teilt KVWL-Pressesprecher Daniel Müller schriftlich mit.

Die sogenannten Quotensitze beziehen sich allgemein auf zusätzliche Niederlassungsmöglichkeiten für ärztliche Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten sowie Psychosomatiker. „Hintergrund ist, dass mit der Gesamtzahl der psychotherapeutischen Sitze in einer Region auch ein bestimmtes Verhältnis zwischen den einzelnen Fachrichtungen erfüllt sein muss. Ist dies nicht der Fall, dann entstehen zusätzliche Sitze“, so Müller weiter.

Kreis Unna gut versorgt

Die KVWL und die drei größten Krankenkassen AOK, DAK und Techniker bestätigen, dass die Versorgung im gesamten Kreis Unna verhältnismäßig gut ist, auch wenn durch die langen Wartezeiten auf einen ersten Termin - darüber sind sich alle Beteiligten bewusst - ein anderer Eindruck entsteht. Es gebe Ausnahmen, damit in ländlichen oder strukturschwachen Gebieten Niederlassungsmöglichkeiten geschaffen werden. 19,5 neue Sitze für Psychotherapeuten seien so bereits in diesem Jahr in „in ausgewählten Kommunen in Westfalen-Lippe“ geschaffen worden, so Müller.

Wie schwer es aber in der Realität ist, einen ambulanten Therapieplatz zu bekommen, trotz akuter Krankheit, wenn es einem schlecht geht, musste Aleksandar Ramanov erfahren. Der 38-Jährige leidet unter Depressionen und suchte händeringend Hilfe. Die stationäre Einweisung in eine Klinik kam für den Familienvater nicht infrage. „Ich habe nicht erkannt, dass ich mit allem überfordert war. Aber ich habe auch nie Hilfe angenommen“, sagt Ramanov. Sein Hausarzt diagnostizierte schließlich die Depression. Er bekam eine Liste mit Therapeuten, suchte zusätzlich im Internet. Dann begann die lange Suche.

Schwere Erreichbarkeit

Weil die meisten Psychotherapeuten telefonisch sehr schwer erreichbar seien, habe er zusätzlich Anfragen per E-Mail geschickt. Die Antwort fast immer: „Wir nehmen Ihre Daten auf, schreiben Sie auf die Warteliste und melden uns, wenn wir einen Platz freihaben.“ Oftmals bekam er gar keine Antwort auf seine Anfragen. Ein Umstand, den er bemängelt, denn bei Erkrankten komme das als Desinteresse an. Er hätte sich gewünscht, dass zumindest eine Mitteilung gekommen wäre, dass auf bestimmte Zeit kein Platz frei ist.

Die gleichen Erfahrungen hat auch Stephan Seidel gemacht. Der 32-Jährige hat sich einer Operation zur Gewichtsreduktion unterzogen. Begleitend dazu sollte er eine Verhaltenstherapie machen. Von seinem behandelnden Chirurgen bekam er eine Liste mit Therapeuten, die er abtelefonieren sollte. „Ich habe nur Absagen bekommen. Manche der Therapeuten bieten gar keine Verhaltenstherapie an“, erzählt er.

Stephan Seidel sitzt an seinem Laptop
Stephan Seidel hatte Glück: Er wartete zwar ein knappes halbes Jahr auf einen Therapieplatz, war aber nicht akut krank. © Laura Oswald-Jüttner

Termin-Servicestelle 116 117

Seidel sah jedoch einen entscheidenden Vorteil bei sich: Er war nicht akut krank. „Meine Therapie war durch den OP-Termin viel besser planbar. Aber auch in diesem Fall gilt: Wer nicht in der mentalen Verfassung ist, eine ganze Liste abzutelefonieren, ist schlimm dran.“ Daher empfiehlt er allen, die ebenfalls in einem planbaren Zeitraum eine psychotherapeutische Begleitung benötigen, sich stets rechtzeitig damit auseinanderzusetzen.

Die Krankenkassen unterstützen ihre Versicherten nach eigenen Angaben, so gut es ihnen möglich ist, bei der Suche nach einem Therapieplatz. Eine weitere Möglichkeit bietet die Termin-Servicestelle (TTS) der KVWL unter 116 117. Es werden hier aber keine „Wunschtermine beim Wunscharzt vergeben. Die TSS vermittelt Termine bei Ärzten, die über freie Kapazitäten verfügen. Dabei handelt es sich um Termine für Psychotherapeutische Sprechstunden, also Erstgespräche“, so die KVWL. Es können also weitere Anfahrten anfallen. Manche Therapeuten bieten Erstgespräche aber auch online an.

Auch die Website der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) www.bptk.de bietet die Möglichkeit einer regionalen Suche, genau wie das Portal psychotherapiesuche.de, ein Angebot der Deutschen Psychologen Akademie.

Die LWL-Tagesklinik am St.-Marien-Hospital in Lünen
Die LWL-Tagesklinik am St.-Marien-Hospital in Lünen ist Teil des Therapieangebotes für psychische Erkrankungen. © Torsten Storks (Archiv)

Tagesklinik

Sechs Monate dauerte es, bis Aleksandar Ramanov endlich über das Psychotherapie Team Münster einen Termin mit einer Therapeutin bekam. Im Team haben sich mehrere Psychotherapeuten zusammengeschlossen, um so ein möglichst großes Feld an psychischen Erkrankungen behandeln zu können, da die Psychologen auf verschiedene Krankheitsbilder spezialisiert sind. Hier fand er nach langen Monaten endlich Hilfe.

Zusätzlich zu den Sitzungen in Münster ließ der 38-Jährige sich noch in die LWL-Tagesklinik in Lünen einweisen. „Das war die beste Entscheidung“, sagt er heute, mehrere Monate nach Abschluss der Therapie. Dort habe er sich endlich öffnen können, merkte, dass er nicht allein ist mit seiner Krankheit ist. Der Austausch mit anderen Patientinnen und Patienten habe ihm geholfen.

Ein halbes Jahr musste auch Stephan Seidel warten, dann bekam er bei einem ortsansässigen Psychotherapeuten einen Platz. Zusätzlich leitet er eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit einem gestörten Essverhalten.

Aleksandar Ramanov in seinem Gewächshaus
Arbeiten im Gewächshaus ist für Aleksandar Ramanov eine Möglichkeit, das mentale Gleichgewicht wiederzuerlangen. © Laura Oswald-Jüttner

Es braucht mehr Kassensitze

Aleksandar Ramanov empfiehlt: „Wenn ihr merkt, dass was nicht in Ordnung ist, sucht euch direkt Hilfe, denn es dauert lange, bis man einen Termin beim Psychologen hat.“ Zusätzlich sollten Betroffene sich an ihren Hausarzt wenden. „Wenn der gut ist, findet der auch schon was raus“, ist er sicher. Das bestätigt auch die AOK: „Häufig können die Hausärztinnen und Hausärzte im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung bei akuten psychischen Problemen bereits ausreichend Hilfestellungen geben.“

Der 38-Jährige sagt, er sei noch lange nicht gesund, aber auf einem guten Weg. Er habe Mechanismen entwickelt, mit denen er schlimme Phasen überstehe. Eine davon steht in seinem Garten: ein kleines Gewächshaus. Die Arbeit an den Gemüsebeeten helfe, die Gedanken zu ordnen. Und die Kinder finden es auch toll. An die Politik sendet er einen klaren Appell: Es brauche dringend mehr Psychologen mit Kassenzulassung.

Zum Thema

Fünf Schritte zum Therapieplatz

Es gibt fünf Schritte auf dem Weg zum Therapieplatz.

Schritt 1: Psychotherapeutische Sprechstunden

Bevor eine Psychotherapie beginnen kann, müssen Sie eine Sprechstunde von insgesamt mindestens 50 Minuten bei einem zugelassenen Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin wahrnehmen. Diese Sprechstunde kann auf zwei Sitzungen mit jeweils 25 Minuten aufgeteilt werden. Dabei wird abgeklärt, ob eine psychische Erkrankung vorliegt, und es wird eine erste Diagnose gestellt.

Schritt 2: Akut-Therapie

Wird in der Sprechstunde eine psychische Erkrankung festgestellt, die besonders dringend behandelt werden muss, kann unmittelbar im Anschluss eine Akutbehandlung beginnen. Diese Akutbehandlung kann bei einem längerfristigen Behandlungsbedarf auch in eine Psychotherapie überführt werden.

Schritt 3: Probatorische Sitzungen

Nach der psychotherapeutischen Sprechstunde folgen sogenannte „probatorische Sitzungen“ mit einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin. In diesen zwei bis vier Sitzungen besprechen Sie grundlegende Dinge: Ob eine Psychotherapie das Richtige für Sie ist, wenn ja, welche Form, ob Sie gut miteinander zurechtkommen oder ob Sie eventuell besser in eine andere Praxis wechseln. Bevor eine Psychotherapie beginnen kann, sind mindestens zwei probatorische Sitzungen verpflichtend.

Schritt 4: Ärztliche Untersuchung

Wenn Sie eine Psychotherapie bei einem Psychologischen Psychotherapeuten beginnen, ist nach den probatorischen Sitzungen eine körperliche Untersuchung durch einen Arzt oder eine Ärztin notwendig. Sie soll sicherstellen, dass keine organische Erkrankung die Ursache für Ihr Leiden ist.

Schritt 5: Beantragung der Psychotherapie

Sind die probatorischen Sitzungen zu Ende und auch die ärztliche Untersuchung erfolgt, kann die Psychotherapie beantragt werden. Den Therapieantrag stellt die Therapeutin oder der Therapeut zusammen mit Ihnen. Die erforderlichen Unterlagen hat die Praxis vor Ort. Online können Sie eine Psychotherapie nicht beantragen.