Vor einigen Wochen protestierten Lehrer aus dem Münsterland gegen eine Zwangsversetzung an Schulen im Ruhrgebiet. Dieses Modell soll dabei helfen, Lehrermangel zumindest ansatzweise zu kompensieren. Auch Lehrer des Anne-Frank-Gymnasiums (AFG) werden derzeit an anderen Schulformen eingesetzt.
Die Idee dahinter: Lehrkräfte vom Gymnasium sollen mit halber oder voller Stundenzahl an einer anderen Schulform unterstützen. Denn gerade an Grundschulen ist der Lehrermangel aktuell besonders zu spüren. Über diese sogenannten Vorgriffstellen und die Bereitschaft, eine halbe Stelle an einer anderen Schulform zu unterrichten, wird Lehrkräften eine feste Stelle am Gymnasium garantiert.
Vor- und Nachteile
Laut AFG-Schulleiter Marcel Damberg sind aktuell sechs Lehrerinnen und Lehrer vom Gymnasium an andere Schulen abgeordnet: zwei Hauptschulen, eine Förderschule und eine Kollegin unterrichtet 12,5 Stunden in der Woche an der Wiehagenschule. Damberg betont, dass niemand dauerhaft versetzt wurde, die Kollegen seien überwiegend mit der halben Stundenzahl an anderen Schulen beschäftigt.
Das Modell habe sicherlich Vor- und Nachteile. Vorteilhaft sei auf jeden Fall, dass die Pädagogen durch den Einsatz in anderen Schulen mehr Eindrücke sammeln. Dass dieses Modell aber nachhaltig den Lehrermangel beseitigen kann, bezweifelt der Oberstudiendirektor. Nicht zuletzt deshalb, weil es zu viele offene Vertretungsstellen gebe. „Die will ja keiner haben, weil sie zeitlich begrenzt sind.“

700 Vollabordnungen
Obgleich sich die Personalsituation an Schulen im Regierungsbezirk Arnsberg im vergangenen Jahr ein wenig entspannt habe - 570 mehr Stellen als 2022 konnten besetzt werden, waren am 1. Dezember 2023 immer noch 1482 Stellen unbesetzt.
Schon Ende 2022 war die Möglichkeit des Lehrkräfte-Ausgleichs als Handlungskonzepts durch NRW-Schulministerin Dorothee Feller verabschiedet worden. Feller beruft sich dabei auf das Recht der Kinder und Jugendlichen auf Bildung, Erziehung und individuelle Förderung. Verbeamtete Lehrkräfte als auch Tarifbeschäftigte können sich freiwillig für eine Abordnung melden, sie können aber auch aus dienstlichen Gründen vorübergehend abgeordnet werden.
Dieses Konzept stößt auf viel Kritik: Unter anderem wegen der fehlenden Planungssicherheit für die Lehrkräfte und der Unfreiwilligkeit, die mit dieser Maßnahme verbunden ist. Im Regierungsbezirk Arnsberg sind, nach Angaben der Bezirksregierung, mit Stichtag 2. Oktober 2023 insgesamt 1673 Abordnungen in allen Schulformen vollzogen worden. Davon waren 700 Vollabordnungen und 973 Teilabordnungen.
Zugangsbeschränkungen
Nicola Buschkotte, Schulleiterin an der Wiehagenschule, sieht die Abordnung kritisch. „Sicherlich füllt es einen kleinen Teil, es fehlen aber immer noch Stellen“. Aktuell könnten an der Wiehagenschule drei zusätzliche Lehrer eingestellt werden. Nach den Sommerferien werden es mehr. Daran mag die Schulleiterin aber noch nicht denken.
Ein generelles Problem in NRW sei beim Grundschullehramt der sehr hohe Numerus Clausus - also die Hürde, die Studierende überwinden müssen, um zu einem Studium für das Primarstufe-Lehramt zugelassen zu werden. An der Uni Dortmund stand er zuletzt bei 1,8. Außerdem sei eine „falsche Stellenpolitik“ betrieben worden. Das Lehramt sei ein Beruf, in dem sehr gut geplant werden könne. Eine Nachbesetzung für Kollegen, die in Pension gehen, hätte daher rechtzeitig in Angriff genommen werden können.
„Tropfen auf den heißen Stein“
„Wir haben das große Glück, dass die Kollegin, die wir bekommen haben, bereits ein Jahr an der Uhlandschule gearbeitet hat. Die Pädagogik im Bereich der Sekundarstufe II (Gymnasium) ist anders, da muss der Kollege sich erst einfinden und geschult werden“, sagt Buschkotte. Sie sei dankbar für jede zusätzliche Kraft, denn der Bedarf sei da, er steige in Zukunft sicherlich noch. Trotzdem: „12,5 Stunden sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist eine Möglichkeit, dem Dilemma ein wenig entgegenzuwirken, aber das Problem lässt sich so nicht lösen“, so Buschkotte.
Tatsächlich sind die Grundschulen im Kreis Unna (Stand: 1.12.2023) mit einer Personalausstattungsquote von 94,24 Prozent deutlich schlechter ausgestattet als beispielsweise Realschulen (97,18 Prozent), Gesamtschulen (98,59 Prozent), Gymnasien (99,02 Prozent) oder Hauptschulen mit sogar 102,19 Prozent. Allerdings liegen sie auch vor den Förderschulen, die eine Personalausstattungsquote von nur 91,79 Prozent aufweisen oder auch leicht vor Sekundarschulen (94,12 Prozent).

Personaldefizit fast überall
Die Vorbereitungen hinsichtlich weiterer Abordnungen für das kommende Schuljahr erfolgten derzeit. „Eine valide Auskunft zu der Zahl der künftigen Abordnungen kann zu diesem Zeitpunkt nicht mitgeteilt werden“, berichtet Christoph Söbbeler, Sprecher der Bezirksregierung, auf Anfrage. Seit Einführung der Maßnahme seien „fast alle Städte und Kreise von Personaldefiziten betroffen“, besonders aber die Stadt Dortmund, der Kreis Soest sowie der Ennepe-Ruhr-Kreis.