Jürgen Lube klagte gegen Neubau Viele Jahre und Tausende Euro später gibt es ein Ergebnis

Jürgen Lube (64) scheitert mit Klage gegen Neubau: „Man hat keine Chance“
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„Schauen Sie mal, so sah das hier früher aus“, sagt Jürgen Lube (64) und deutet auf das Bild an der Wand, die sein Grundstück von dem des Nachbarn trennt. Auf dem Foto ist ein kleines Häuschen zu sehen, erbaut um das Jahr 1900. Das Haus gehörte Lubes früherem Nachbarn, der 2018 verstorben ist. Kurz darauf kaufte ein Investor das Grundstück, riss das Gebäude ab und errichtete ein Zehnfamilienhaus. In einer Größe, die dem 64-Jährigen überhaupt nicht in den Kram passt.

Dabei gehe es nicht nur um die Höhe, sondern vor allem um die Länge beziehungsweise Breite. Außerdem habe sich die Zahl der Anlieger in der Straße durch den Neubau aus dem Jahr 2022 „auf einen Schlag verdoppelt“, sagt Lube. Als er von den Plänen des Investors hörte, habe er zunächst Kontakt mit der Stadtverwaltung aufgenommen - und reichte schließlich 2020 Klage gegen die Stadt Werne als Genehmigungsbehörde des Bauvorhabens ein.

Recht besteht „nur auf dem Papier“

Sein Ziel: Das Bauprojekt verhindern. Zumindest in der Form, in der es geplant war - und später auch umgesetzt wurde. Lube hat alle Unterlagen, die etwas mit dem Vorgang zu tun haben, aufbewahrt. Inzwischen ist daraus ein dicker Ordner geworden. Das jüngste Schreiben datiert von Anfang Juni 2023. Darin teilt das Oberverwaltungsgericht in Münster dem Werner mit, dass sein Antrag auf Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen abgelehnt wurde. Lube hatte gehofft, zumindest noch Schadensersatz zu bekommen.

„Ich habe über Jahre etliche Gespräche geführt, Briefe geschrieben und viel Geld für den Anwalt bezahlt“, sagt er zerknirscht. Und nun müsse er feststellen, dass manches Recht wohl bloß auf dem Papier existiere: „Als Nachbar hat man bei solchen Bauvorhaben keine Rechte und keine Chancen. Da kann man anderen Leuten nur raten, sich die Zeit und das Geld zu sparen.“ Er selbst habe mehrere Tausend Euro in das Verfahren investiert. Bekommen hat er für sein Geld nur eine gehörige Portion Enttäuschung.

Jürgen Lube zeigt auf ein Bild des ehemaligen Hauses aus dem Jahr 1900.
So sah es hier früher aus: Jürgen Lube hat an der Wand zwischen den beiden Grundstücken Fotografien angebracht. „Aus nostalgischen Gründen", sagt er. © Felix Püschner

Tatsächlich drängt sich beim Lesen der zahlreichen gerichtlichen Dokumente der Eindruck einer gewissen Skurrilität auf. Zudem bleiben die Aussagen oftmals im Konjunktiv oder auch schwammig. Da heißt es beispielsweise in einem Protokoll eines Ortstermins, die Gerichtskammer halte die erteilte Baugenehmigung „objektiv-rechtlich für jedenfalls nicht unbedenklich“.

Das hängt unter anderem damit zusammen, dass sich ein Neubau hinsichtlich Grundfläche, Höhe und Geschossigkeit an den Bestandsgebäuden orientieren beziehungsweise in die vorhandene Bebauung „einfügen“ muss. Und in diesem Punkt tanzt das Mehrfamilienhaus sozusagen aus der Reihe.

In dem Protokoll heißt es allerdings auch, dass „mit der möglicherweise vorhandenen objektiven Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung nicht zwangsläufig eine Rechtsverletzung des Klägers korrespondiert“. Der Neubau stelle zwar eine Beeinträchtigung für Lube dar, doch sei diese noch zumutbar, da die vorgeschriebenen Abstandsflächen zwischen den Gebäuden eingehalten würden und der Neubau keine „bedrückende Wirkung“ habe. Das entspricht dem sogenannten Rücksichtnahmegebot.

So sieht das Haus aus, das der Werner am einstigen Standort seines Elternhauses errichtet hat.
So sieht das Haus aus, das der Werner am einstigen Standort seines Elternhauses errichtet hat. © Felix Püschner

Auf besagtem Ortstermin einigten sich die beteiligten Parteien laut Protokoll jedoch darauf, bestimmte Anpassungen vorzunehmen. Zum Beispiel sollte der Balkon im zweiten Obergeschoss des Neubaus durch eine Milchglasscheibe geschlossen werden. Der Kläger würde in diesem Fall erwägen, von einem Gerichtsverfahren abzusehen und die Baugenehmigung „schweren Herzens zu akzeptieren“.

Doch es kam anders, wie weitere Dokumente des Gerichts zeigen. Auch die hat Lube natürlich abgeheftet. Das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen folgte dabei im Wesentlichen der Argumentation aus dem Protokoll des Ortstermins. Lube hatte darauf gehofft, dass die „Wannsee-Entscheidung“ des Bundesverwaltungsgerichts die Angelegenheiten zu seinen Gunsten kippen könnte. Doch die Entscheidung bezog sich laut Gericht lediglich auf Gebiete beziehungsweise Grundstücke, für die es einen Bebauungsplan gibt. Und das ist bei dem Grundstück in Werne nicht der Fall.

Kein Bebauungsplan vorhanden

Für Lube ein Unding. „Wenn jemand in ein Grundstück ohne Bebauungsplan investiert, kann er sich also quasi frei entfalten und darf nur nicht rücksichtlos sein - was auch immer das bedeuten soll. Da fehlt mir das Verständnis.“ Das sei wohl ein Mitgrund dafür, dass es vergleichbare Fälle auch zunehmend an anderen Stellen im Werner Stadtgebiet sehe. Auch dort würden sich die Neubauten nicht in die Bestandsbebauung einfügen.

Schade sei das vor allem, wenn es sich um alte Gebäude oder Siedlungen mit einer besonderen Geschichte handle. Lubes eigenes Haus - so viel räumt er ein - ist auch noch nicht sonderlich alt. Er hat es Ende der 90er Jahre gebaut. An dem einstigen Standort seines Elternhauses, das er abreißen ließ. „Aber welches dieser beiden Gebäude fügt sich hier besser in die Umgebung ein“, fragt Lube und wirft erneut einen Blick auf das Foto an der Wand. So wie damals wird es hier wohl definitiv nie wieder aussehen.

Und so sieht der Neubau nebenan aus.
Und so sieht der Neubau nebenan aus. © Felix Püschner

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