Kino zwischen Krise und Erlebnis: Warum das Werner Kino immer noch eine Institution ist

© Felix Püschner

Kino zwischen Krise und Erlebnis: Warum das Werner Kino immer noch eine Institution ist

rnKino

Für die deutschen Kinos lief es zuletzt nicht berauschend. Kommt nun die nächste große Krise? Das Capitol Cinema Center Werne hat schon einige davon miterlebt – und heile überstanden.

Werne

, 05.03.2019, 17:00 Uhr / Lesedauer: 5 min

Der Blick auf die Statistik dürfte bei manch einem Kino-Fan und Lichtspielhaus-Betreiber zu tiefen Sorgenfalten geführt haben. Denn 2018 war ein Negativjahr für die deutschen Kinos: Die Zahl der Besucher sank von 122 Millionen auf nur noch 105 Millionen. Entsprechend „bescheiden“ fiel auch der Umsatz aus. 900 Millionen Euro bedeuteten Einbußen von 150 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr. Und schon hört und liest man sie wieder verstärkt, die Botschaft von der „Krise des Kinos“. Aber ist das wirklich so? Hat das Kino endgültig seinen Reiz verloren? Und gehen bald womöglich für immer die Lichter aus?

Jutta (50) und Wido Wagner (51) reagieren relativ entspannt, wenn man sie auf diese Entwicklung anspricht. „Kino ist eine komische Branche. Da läuft es entweder richtig gut oder richtig schlecht. Es gab immer schon schwierige Phasen. Aber letztlich ist es ein Auf und Ab“, sagt Wido Wagner.

Herausforderungen habe es immer schon gegeben. Erst durch das Fernsehen, dann durch Video, später durch Raubkopien und übergroße TV-Bildschirme und Soundsysteme für Zuhause. Und jetzt natürlich vor allem durch Streamingdienste wie Netflix, die längst nicht mehr nur als Plattform für Filme dienen, sondern auch eigene produzieren.

„Kino ist eine komische Branche. Da läuft es entweder richtig gut oder richtig schlecht.“
Kinobetreiber Wido Wagner

Von Multiplex bis Nostalgie

„Für die kleinen Kinos war es außerdem vor allem in den 90er-Jahren schwierig, als die Multiplex-Kinos aufkamen“, sagt Wido Wagner. Das Capitol Cinema Center an der Alten Münsterstraße lässt sich wohl am ehesten irgendwo zwischen diesen riesigen Filmpalästen mit Platz für Tausende Blockbuster-Anhänger auf der einen und den meist von Nostalgie erfüllten Programmkinos mit ihrem Anti-Mainstream-Gedanken auf der anderen Seite ansiedeln.

Dass die Kinobranche die historischen Herausforderungen bislang immer gemeistert hat, liegt laut den Wagners vor allem daran, dass sich auch das Kino selbst stetig weiterentwickelt hat und heute so vielseitig ist wie nie zuvor. Anhand der Geschichte des Werner Kinos wird das ziemlich deutlich.

Denn die Anfänge des heutigen Capitol Cinema Centers reichen bis in die 1930er-Jahre zurück. Damals kaufte Widos Urgroßvater Bernhard eine Gaststätte samt Kinosaal an der Kamener Straße für seinen Sohn. Und seitdem ist das Kino, das im Jahre 1958 an die Alte Münsterstraße umzog, fest in Familienhand. Aus ursprünglich nur einem einzigen Saal sind inzwischen fünf geworden – alle mit einer ganz eigenen Atmosphäre. Da gibt es die beiden hochmodernen Räume für 3D-Filme. Aber da gibt es eben auch immer noch die etwas traditionelleren Alternativen.

Saal Nummer 1 bietet eher Theateratmosphäre als 3D-Spektakel.

Saal Nummer 1 bietet eher Theateratmosphäre als 3D-Spektakel. © Felix Püschner

Wenn der Kellner auf Knopfdruck zum Platz kommt

Wer sich etwa auf einen der roten Polstersitze in Saal 1 setzt, sieht vor sich nicht nur eine große Leinwand, sondern zunächst eine kleine Lampe samt Schalter auf einer schmalen Ablage. Und der Schalter ist nicht bloß ein Lichtschalter. Auf Knopfdruck eilt ein Kellner von der Theke am Rande des Saals herbei: „Was darf es sein? Vielleicht etwas zu knabbern oder eine Cola?“ Aus Multiplex-Kinos kennt man das eher nicht.

Diese Form der Bedienung sei in den 1970er-Jahren aufgekommen, sagt Jutta Wagner: „Wir haben es bis heute beibehalten, weil unsere Besucher es mögen. Es kommt immer noch gut an.“ Saal 1, in dem bis heute noch ein Klavier steht, versprüht eher gemütliche Theateratmosphäre, als die passenden Rahmenbedingen für mit Adrenalin vollgepumptes 3D-Action-Spektakel zu liefern. Und die Filmplakate, die die Wände von Saal 3 zieren, in dem ein paar Sitze sogar noch aus den Fünfzigern stammen, lassen auch nicht unbedingt die Erwartung aufkommen, dass dem Zuschauer hier gleich reihenweise Spezialeffekte um die Ohren fliegen.

Video
Das Werner Kino zwischen Oldschool und Hightech

Historie hängt an der Wand

Die Bilder dokumentieren ein Stück Werner Kino-Historie. Sie zeigen die Vorgänger des heutigen Inhaber-Pärchens, Aufnahmen vom alten Kino an der Kamener Straße – und Filmplakate. Einige davon hat Jutta Wagner selbst kreiert. Das ist naheliegend, wenn man studierte Grafikdesignerin ist. „Ich wollte das eigentlich freiberuflich neben dem Kinobetrieb weitermachen. Aber dafür reicht die Zeit einfach nicht“, sagt die 50-Jährige. Denn ein Kino zu betreiben, das bedeutet mehr als nur Tickets verkaufen, Filme einlegen und nach der Vorstellung die Popcornreste zwischen den Sitzreihen aufzusammeln.

„Es sind die Sachen, die man nicht sieht. Viel Bürokram, Wareneinkauf, Abrechnung mit den Filmverleihen, Technikpflege…“, beginnt Wido Wagner aufzuzählen. Dieser Umstand hätte beinahe dazu geführt, dass er vor einigen Jahren nicht in die Fußstapfen seiner Eltern und Großeltern getreten wäre: „Als ich jung war, wollte ich natürlich viel lieber mit meinen Kumpeln rumhängen, als hier jeden Abend und am Wochenende im Kino zu helfen. Nach der Bundeswehrzeit ist mir dann aber klar geworden, dass es doch etwas Gutes hat, wenn man sein eigener Chef sein kann“, sagt er und grinst. Und natürlich wolle man einen solchen Familienbetrieb auch nicht einfach so aufgeben.

FOTOSTRECKE
Bildergalerie

Das Werner Kino

So sieht es im Capitol Cinema Center an der Alten Münsterstraße aus...
05.03.2019

Heiratsantrag auf der Leinwand

Das klingt ein bisschen nach Verpflichtung. Das klingt nach Gewohnheit. Ist das Geschäft deswegen eintönig? Nein, sagt Jutta Wagner. Und das liege keineswegs nur daran, dass die Filme wechseln. Es liege vor allem an Ereignissen, die sich nicht direkt auf der Leinwand abspielen: „Ich finde es immer wieder toll, wenn Leute total begeistert aus dem Saal herauskommen und gemeinsam lachen – oder aber wenn ein Film so traurig war, dass alle Tränen in den Augen haben. Wenn Filme eine besondere Wirkung haben und die Leute eine Reaktion zeigen – das ist schön zu sehen.“

Manchmal komme es sogar vor, dass die Zuschauer nach einer Vorstellung noch applaudieren. Vor vielen Jahren sei außerdem mal ein Besucher im Kino vergessen worden. Er sei wohl während der Vorstellung eingenickt und im Sitz hinuntergerutscht, sodass ihn das Personal übersah. Als er aufwachte, habe der gute Mann dann den Notausgang benutzt. Und dann habe es da noch diesen Tag gegeben, als jemand seiner Herzensdame einen Heiratsantrag in Form einer Video-Botschaft gemacht habe, die über die Leinwand flimmerte.

Klingt sehr nach Hollywood. Klingt ziemlich kitschig. Ist aber nichtsdestotrotz etwas Besonderes. Etwas, das in einem kleinen Kino mit nostalgischer Note eben ganz anders wirkt als im großen Multiplex-Haus. Und erst recht ganz anders als auf der Couch zwischen zwei Netflix-Serien-Folgen.

„Kino bleibt ein Erlebnis. So etwas erfährt man nicht, wenn man zu Hause auf dem Sofa sitzt.“
Jutta Wagner

Zocken auf der großen Leinwand

Bei all der Bequemlichkeit, die Streamingdienste mit sich bringen, könne das Kino eben doch noch in einigen Sachen punkten, sagen die Wagners: Ausgehen sei eben Ausgehen. Ein Erlebnis. Im Kino lache man gemeinsam mit vielen anderen Menschen. Manchmal unterhalte man sich nach der Vorstellung sogar kurz mit Menschen, die man überhaupt nicht kennt. Und überhaupt: Die meisten Filme wirkten im Kino nicht zuletzt aufgrund der großen Leinwand ohnehin ganz anders als vom heimischen Sofa aus. „Die Technik gibt heute viel her. Und wir können den Leuten viel bieten. Nicht nur 3D und tollen Sound. Bei uns kann man beispielsweise sogar einen Saal mieten und auf der Leinwand Playstation spielen“, sagt Wido Wagner.

Jetzt auch noch zocken auf der Leinwand. Klingt vielversprechend – nach ganz großem Kino. Aber warum dann diese maue Statistik? Warum diese miesen Besucherzahlen, die sich auch im Kino an der Alten Münsterstraße bemerkbar gemacht haben? „Das hat mehrere Gründe“, sagt Jutta Wagner. Netflix sei sicherlich einer davon. „Aber man muss auch sagen, dass wir letztes Jahr extrem lange warmes Wetter hatten.“ Was eigentlich alle Menschen freue, sei für Kinobetreiber nun mal nicht ganz so optimal. Und vielleicht sei auch einfach das Filmangebot nicht so gut gewesen, wie in den Jahren zuvor.

Ein schlechtes Jahr und die Hoffnung auf Besserung

Ähnlich äußerte sich bereits Anfang Februar Peter Dinges, Vorsitzender der Filmförderungsanstalt (FFA), bei der Präsentation der aktuellen Kinostatistik. Die Zahlen (siehe Grafik) waren so schlecht, wie seit 25 Jahren nicht mehr: „Das Kinojahr 2018 war schlecht, da gibt es nichts zu beschönigen. Wir hatten ein gutes Mittelfeld, aber die Blockbuster fehlten. Zum Schluss hat das letzte Jahr aber gezeigt, dass Kino nach wie vor erfolgreich sein kann, wenn Qualität und Rahmenbedingungen stimmen“, so Dinges.

Filme wie „Bohemian Rhapsody“, „Phantastische Tierwesen 2“ oder „Der Junge muss an die frische Luft“, die erst im vierten Quartal in die Kinos kamen, seien schließlich super angelaufen. Und auch der Blick auf 2019 stimmt die FFA optimistisch: Dann starten unter anderem US-Blockbuster „Godzilla“ (30. Mai), „Men in Black“ (13. Juni) und „Star Wars“ (19. Dezember).

Alles nur eine Momentaufnahme?

Von einer „Krise des Kinos“ könne keine Rede sein, wie FFA-Pressesprecherin Ann-Malen Witt auf Anfrage unserer Redaktion erklärte: „Die Statistik für 2018 war eine Momentaufnahme. Klar ist aber auch, dass etwas passieren muss. Wir brauchen ein neues Konzept.“ Genau an dem arbeiten Verbände und Organisationen der Branche gerade. Wie genau es am Ende aussehen wird, ließe sich jetzt noch nicht sagen. Nur auf das „Prinzip Hoffnung“ zu setzen, erscheint jedoch nicht als Option.

„Es spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle. Streamingdienste sind natürlich eine Konkurrenz für das Kino, aber es geht auch um Aspekte wie das veränderte Freizeitverhalten“, sagt Witt. Dazu gehört mitunter längst die Erkenntnis, dass jüngere Menschen heute eben nicht mehr so oft ins Kino gehen wie früher – wenngleich die Besucher-Analysen der Verbände freilich noch wesentlich tiefer ins Detail gehen.

Ob Streaming auf dem Sofa, Multiplex oder kleines Kino – letztlich bleibt das wohl auch eine Typsache. Und wenn es sie denn tatsächlich (einmal mehr) geben sollte, die „Krise des Kinos“, dann heißt das sicherlich nicht, dass gleich für immer die Lichter ausgehen. Das hat die Vergangenheit schon häufiger gezeigt. Das Kino kann Krisen überstehen – nicht nur das Werner Lichtspielhaus an der Alten Münsterstraße.