Beate Niemann berichtet über die Verbrechen ihres Vaters in der NS-Zeit und stellt sich den Fragen der Schüler der 9. Klasse der Marga-Spiegel-Sekundarschule. © Julian Reimann

Novemberpogrom

Wenn der eigene Vater ein Nazi-Verbrecher war

Beate Niemann (76) hat 50 Jahre geglaubt, ihr Vater sei unschuldig. Doch er war ein NS-Verbrecher. Sie schrieb ein Buch darüber und klärt in Schulen auf.

Werne

, 09.11.2018 / Lesedauer: 3 min

Als ihr Vater 1949 verschwand und für tot erklärt wurde, war Beate Niemann (76) noch ein kleines Kind. Dass er jedoch lebte, fanden sie und ihre Familie erst drei Jahre später heraus. Bruno Sattler, der Vater, saß in der DDR in einem Zuchthaus ein. Als Naziverbrecher bezichtigte man ihn der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Er sollte unter anderem die Vergasung mehrerer Juden, darunter auch Frauen und Kinder, 1942 in Belgrad befohlen haben. Auch sei er während seiner Zeit bei der Gestapo und der SS direkt an der Tötung vieler Menschen beteiligt gewesen.

Urteil gegen den Vater wurde zunächst aufgehoben

Ein Jahr, nachdem Niemann erfahren hat, dass ihr Vater noch lebt und lebenslänglich verurteilt worden ist, wird eben jenes Urteil in West-Berlin aufgehoben. Ihr Vater sei unschuldig, erklärt man Niemann. Es liege ein „Unrechtsurteil“ vor. Doch das sollte sich als Fehleinschätzung herausstellen.

„Mein Vater war ein Massenmörder, der nach seiner Weltanschauung handelte.“Beate Niemann (76), Tochter eines NS-Verbrechers und Autorin

Niemann hat mehr als 50 Jahre an die Unschuld ihres Vaters geglaubt. Sie besuchte ihn einige wenige Male im Gefängnis, nachdem sie 16 Jahre alt geworden war und in die DDR einreisen durfte. Sprechen konnte sie mit ihrem Vater jedoch nie über das, was er getan haben soll. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands ging sie schließlich so weit, einen Antrag auf Rehabilitierung zu stellen. Als Antwort bekam sie die Aussage, dass man ihren Vater vermutlich auch in der BRD verurteilt hätte. „Was weiß ich über meinen Vater wirklich?“, hat sie sich gefragt.

Beate Niemann veranlasste eine neue Untersuchung

Um herauszufinden, ob ihr Vater nun schuldig oder unschuldig war, veranlasste Niemann eine erneute Untersuchung des Falls – kurz darauf bereute sie den Schritt. Denn nun kam die Wahrheit ans Licht, die ihr die Beamten in Westdeutschland, aber auch ihre eigene Familie vorenthalten hatte: Bruno Sattler hatte genau das getan, was ihm vorgeworfen wurde.

„Mein Vater war ein Massenmörder, der nach seiner Weltanschauung handelte“, ist sich Niemann heute sicher. Viele Jahre hat sie damit verbracht, die Taten ihres Vaters ans Licht zu bringen. Die Ergebnisse ihrer Recherchen hat sie 2005 in einer Täterbiografie niedergeschrieben und veröffentlicht. Durch die vielen Reaktionen auf das Buch, vor allem auch von Historikern, wurde Niemann klar, dass ihr Vater nicht nur ein Naziverbrecher gewesen ist, sondern dass er auch bekannter ist, als sie angenommen hat.

Die Schwester wusste die ganze Wahrheit

Niemanns ältere Schwester fragte sie in einem Gespräch, warum sie das Buch hatte veröffentlichen müssen. Ob die Beschreibung der Verbrechen denn falsch sei, war Niemanns Gegenfrage. Die Schwester musste eingestehen, dass alles der Wahrheit entsprach. Und sie hatte über alles Bescheid gewusst.

Beate Niemann konnte es nicht ertragen, dass die Verbrechen ihres Vaters verschwiegen wurden. „In allen Familien mit Naziverbrechern wurde geschwiegen“, erklärt Niemann. „Dieses Schweigen will ich nicht zulassen.“

Aufklärungsarbeit in Schulen

Darum besucht sie noch heute Schulklassen, wie die 9. Klasse der Marga-Spiegel-Sekundarschule gestern, zum 80. Jahrestag des Novemberpogroms. Auch ihr Vater hat an diesem Tag deutsche Juden gejagt. Niemann berichtet von den Verbrechen ihres Vaters und stellt sich den Fragen der jungen Schüler. Ihr Ziel ist dabei ganz klar: Über die Schrecken der NS-Zeit aufzuklären, damit sie sich nie wiederholen.

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