Zu schade für die Tonne: 32.000 Ehrenamtler retten noch genißebare Lebensmittel vor der Mülltonne. Auch eine Gruppe in Werne engagiert sich seit einigen Wochen – mit Erfolg.

Zu schade für die Tonne: 32.000 Ehrenamtler retten noch genißebare Lebensmittel vor der Mülltonne. Auch eine Gruppe in Werne engagiert sich seit einigen Wochen – mit Erfolg. © Stefanie Lehnes/Foodsharing e.V.

Was Pavarotti und Paprika verbindet

rnFoodsharing in Werne

In Werne stehen zwei Kisten, an denen sich jeder bedienen darf. Prall gefüllt mit Lebensmitteln. Wo die herkommen und was mit ihnen geschieht, haben wir uns von echten Lebensmittel-Rettern erklären lassen.

von Andrea Wellerdiek

Werne

, 19.06.2018, 05:45 Uhr / Lesedauer: 3 min

Eine Paprika, Rhabarber, kiloweise Kartoffeln, ein Glas Apfelmus, Bananen und Süßigkeiten – Pavarotti hat heute einiges zu bieten. Er fängt Lebensmittel auf, die eigentlich im Müll landen sollten. Pavarotti ist eine simple Kiste.

„Viele Lebensmittel werden einfach arglos weggeworfen und woanders hungern Menschen“, sagt Karina Psoch. Die 37-Jährige wollte das ändern und hat sich als sogenannte Foodsharing-Botschafterin angemeldet. Sie und 32.000 andere Ehrenamtler retten in Deutschland, Österreich und der Schweiz noch genießbare Lebensmittel, um sie mit anderen zu teilen (daher der englische Name Foodsharing). Um sie fair zu teilen. Dafür gibt es Fair-Teiler-Stationen. Die erste in Werne steht vor dem Haus von Karina Psoch. Es ist eine Box für Gartenmöbel-Auflagen. Psoch hat sie Pavarotti getauft – einfach, weil der Name gut klingt.

Pavarotti hat einiges zu bieten: Obst, Gemüse, Kartoffeln, Süßigkeiten. Es sind noch verzehrbare Lebensmittel, die der Handel aussortiert hat oder etwa ein Landwirt, der sein Lager für neu geerntete Kartoffeln leer räumen musste. Die Lebensmittel-Retter Nancy Bubel, Inga Schneider, Karina Psoch und Sabrina Berloger (v.l.) freuen sich auf Abnehmer.

Pavarotti hat einiges zu bieten: Obst, Gemüse, Kartoffeln, Süßigkeiten. Es sind noch verzehrbare Lebensmittel, die der Handel aussortiert hat oder etwa ein Landwirt, der sein Lager für neu geerntete Kartoffeln leer räumen musste. Die Lebensmittel-Retter Nancy Bubel, Inga Schneider, Karina Psoch und Sabrina Berloger (v.l.) freuen sich auf Abnehmer. © Andrea Wellerdiek

Foodsaver rücken aus

Die Regeln sind ganz einfach: „Es kommen nur Sachen in die Kiste, die man selber noch essen würde“, sagt Mitstreiterin Inga Schneider und zeigt auf die Bananen. „Sie sind zwar etwas braun. Aber man kann sie noch essen. Nur verkaufen kann man sie nicht.“ Deshalb dürfen die Foodsaver (zu deutsch: Lebensmittelretter) die Ware mitnehmen.

Sie fahren regelmäßig zu Discountern, Bäckereien oder Bioläden, um Ware abzuholen, die aufgrund von kleinen Mängeln nicht mehr verkauft werden kann. Die Mitarbeiter, die durch das Foodsharing keine Belastung erfahren dürfen, stellen die Ware zum vereinbarten Termin nach draußen. Die Foodsaver, die sich ausweisen müssen, sortieren dann mit Handschuhen die Lebensmittel und teilen sie auf die acht Fairteiler-Stationen in der Region auf. Alles könnte Pavarotti in Stockum sowieso nicht aufnehmen. Ans Wegwerfen möchte hier natürlich keiner denken.

Einfach zugreifen

IInzwischen steht Pavarotti immer mittwochs (und nicht mehr donnerstags) und samstags an der Brucknerstraße in Stockum und wartet darauf, geleert zu werden. „Einfach zugreifen“, sagt Karina Psoch. Keiner muss sich in eine Liste eintragen oder im Gegenzug selbst noch essbare Lebensmittel in die Kiste legen. Erlaubt und ausdrücklich erwünscht ist es aber. So kam Pavarotti an die Giotto-Rollen. „Die mag bei uns keiner“, sagt Inga Schneider. Fehlkäufe oder Mengen, die man selbst nicht verzehren kann – darf jeder in die Kiste legen. Teilen ist eben immer besser als Wegwerfen.

Und es kann für mehr Experimentierfreudigkeit sorgen. „Ich gucke, was es in der Kiste gibt und schaue dann, was man daraus machen kann. Man passt sich dem Foodsharing an und probiert neue Sachen aus“, erzählt Karina Psoch. Ihre Mitstreiterin Nancy Bubel erzählt, dass sie sich nun anders ernährt und auf Fertigprodukte verzichtet, weil beim Foodsharing immer viel Obst und Gemüse angeboten wird.

Zweite Fairteiler-Station in Werne

Nancy Bubel hat sich nun auch dazu entschlossen, sich um eine Fairteiler-Station zu kümmern. „Tante Tilde“ steht dienstags und freitags von 15 bis 20 Uhr an der Waldstraße in Werne. Denn die Nachfrage ist groß. „Die Faiteiler-Station Pavarotti wird sehr gut angenommen - auch wenn sie nicht immer leer ist. Aber was übrig bleibt, friere ich dann zum Beispiel ein“, erklärt Karina Psoch.

Die beiden Frauen kümmern sich neben ihrer Arbeit ehrenamtlich um das Aufstellen und das Auffüllen der Box. Sie opfern ihre Freizeit. „30 Minuten brauchen wir, um die Lebensmittel für das Foodsharing abzuholen. Genauso lange dauert es auch, wenn ich einkaufen würde“, sagt Karina Psoch, die sich wie alle anderen in ihrer Freizeit für das Foodsharing engagiert. Und es schont den Geldbeutel.

Viel Resonanz

Karina Psoch selbst ist durch eine Freundin aus Berlin auf die Bewegung aufmerksam geworden. „Ich hätte nicht gedacht, dass es in einer Kleinstadt wie Werne funktioniert. Aber die Resonanz ist bislang groß“, sagt sie. Ihr Sohn Fabian hat eine Gruppe im sozialen Netzwerk Facebook eröffnet. Sie zählt schon 219 Mitglieder.

Und Pavarotti erntet neugierige Blicke am zweiten Tag, an dem er an seiner Position in Stockum steht. „Was hat das eigentlich auf sich?“, fragt eine Nachbarin. Nachdem Karina Psoch erklärt, was dahinter steckt, greift die Frau beherzt in die Kiste: „Ich kann noch Baguette gebrauchen.“ Danach kommt eine Mutter mit ihrer Tochter vorbei. „Wir können ein bisschen Rhabarber mitnehmen.“ Eine Süßigkeit wandert auch in die Hände des Kindes. Weil die Kiste frei zugänglich ist, dürfen keine Arzneimittel, Energy Drinks sowie Alkohol reingelegt werden.

„Wir sind keine Konkurrenz zur Tafel. Es darf sich jeder bedienen“, erklärt Karina Psoch, die mit ihren Mitstreitern ihren Teil an dem großen Wegschmeißen leisten möchte.

Großes Wegschmeißen in Deutschland

In Deutschland werden jährlich 18 Millionen Lebensmittel weggeworfen. Das bedeutet, ein Drittel aller Lebensmittel werden verschwendet. Und dabei wird laut der Umweltorganisation WWF nicht nur das Lebensmittel an sich weggeworfen, sondern auch die Ressourcen die zum Beispiel in Anbau, Ernte, Verpackung, Transport und Lagerung geflossen sind. Laut WWF wurden in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren viele Maßnahmen umgesetzt, die das Land zu einem „Pinonier bei der Vermeidung von Lebensmittelabfällen“ macht. Mit dem Projekt Foodsharing, das es seit Dezember 2012 in Deutschland gibt, wurden bereits 15.000 Tonnen Lebensmittel gerettet. Das Prinzip mit Fairteiler-Stationen wurde laut Foodsharing schon weltweit kopiert - etwa in Japan, Saudi-Arabien und Indien.

Mehr Infos auf www.foodsharing.de