
© Leonie Sauerland
Sterbende begleiten: Diese Ängste und Erwartungen haben die neuen Helfer im Hospizdienst
Hospizgruppe Werne
Die Hand halten, nur Zuhören, Kraft geben. Zurzeit bilden sich fünf Werner zu ehrenamtlichen Mitarbeitern für den Hospizdienst aus. Sie alle haben etwas gemeinsam: Sie möchten etwas geben.
Sie möchten Zeit schenken, Trost spenden und einfach nur da sein. Es sind Menschen, die in der schwierigsten Zeit andere, fremde Menschen unterstützen. Dann, wenn ein geliebter Mensch auf seine letzte Reise geht. Dann möchten sie da sein, für den Sterbenden, aber auch für die Angehörigen. Fünf Werner lassen sich derzeit ausbilden, um künftig ehrenamtlich in der Hospizgruppe Werne zu arbeiten. Sie möchten Menschen, die bald sterben werden, zur Seite stehen. Und sie möchten die Angehörigen entlasten.
Unterschiedliche Berufe und Vorerfahrungen
So verschieden wie die Menschen sind, die sie künftig begleiten werden, so unterschiedlich sind die fünf Werner selbst auch. Während Elfriede Pfeiffer-Kuckler und Iris Schindelbauer Krankenschwestern sind und den Umgang mit erkrankten Menschen kennen, kommen die anderen drei Ehrenamtler aus ganz anderen Bereichen. Anika Wilms-Parkosch, mit 35 Jahren die Jüngste, macht gerade eine Ausbildung zur Feng-Shui-Beraterin.
Die beiden Männer, Karl-Josef Dieckmann und Hubert Brosterhues, sind wie Elfriede Pfeiffer-Kuckler bereits in Rente. Sie alle teilen sich aber den Wunsch, sich ehrenamtlich zu engagieren. Und das in einem Bereich, der viel Fingerspitzengefühl, Mitgefühl und mentale Stärke fordert. Sie möchten mehr wissen über Themen, die für andere tabu sind oder über die man ungern spricht: Tod und Trauer.
Intensiver um Menschen kümmern
„Ich möchte mich mit diesen Themen auseinandersetzen. Und ich möchte das freiwillig und bewusst machen. Nicht auf die Weise, dass man selbst oder jemand aus dem eigenen Umfeld betroffen ist. Die Arbeit im Hospizdienst finde ich interessant. Ich wollte immer wissen, wie die ehrenamtlichen oder hauptamtlichen Mitarbeiter das schaffen“, erklärt Anika Wilms-Parkosch.
Mehr Erfahrung im persönlichen Umgang mit erkrankten Menschen hat die gelernte Krankenschwester Elfriede Pfeiffer-Kuckler gesammelt. Nun möchte sie aber vor allem eins: sich intensiver um die Menschen kümmern. „Ich habe früher immer darunter gelitten, wenig Zeit mit den Patienten zu haben. Und da ist jetzt Raum und Zeit gegeben für die individuelle Begegnung. Das ist für mich ganz wichtig. Im normalen Klinikalltag ist keine Zeit, auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten einzugehen – speziell auf die Bedürfnisse von sterbenden Patienten“, sagt die 73-Jährige, die mehr als 20 Jahre im stationären Bereich gearbeitet hat.

Diese Werner möchten sich ehrenamtlich engagieren, Sterbenden und Angehörigen in schwierigen Zeiten beistehen: Die Ausbildung zum ehrenamtlichen Mitarbeiter bei der Hospizgruppe machen zurzeit (v.l.) Hubert Brosterhues, Iris Schindelbauer, Elfriede Pfeiffer-Kuckler, Anika Wilms-Parkosch und Karl-Josef Dieckmann. © Andrea Wellerdiek
Den passenden Begleiter finden
Den Umgang mit Sterbenden und den Angehörigen lernt die Gruppe in einem sechsmonatigen Seminar der Hospizgruppe Werne. Die Inhalte sind vielfältig. Externe Referenten bringen den Teilnehmern Themen wie Palliativmedizin, Patientenverfügung, Spiritualität, Beerdigung und Trauer in der Familie nahe. Die zurzeit neun Teilnehmer, die alle aus unterschiedlichen Berufen und Altersklassen kommen, lernen aber auch viel über sich selbst.
Es geht darum, Grenzen zu sehen und diese zu signalisieren. „Wenn man sich selbst in der Umgebung nicht wohlfühlt, dann kann man den Betroffenen auch nicht helfen“, erklärt Anika Wilms-Parkosch. Es muss passen. Die beiden Koordinatorinnen der Hospizgruppe Werne, Annette Alfermann und Martina Bußmann, kennen die Familien und die insgesamt 33 aktiven Ehrenamtler gut. Sie wissen, wer in welcher Situation der passende Begleiter ist.
„Wenig Zuneigung, wenig Hoffnung“
Gepasst hat es auch bei Karl-Josef Dieckmann. Der 71-Jährige hat bereits erste Erfahrungen in der Begleitung eines sterbenden Menschen gemacht. In regelmäßigen Abständen besucht er einen bettlägerigen Mann, der ständig eine Betreuung benötigt. „Er ist normalerweise guter Dinge und mit ihm kann man sich gut unterhalten. Ich bin dann zwischen zwei und zweieinhalb Stunden da. Die Familie hat sich an die Hospizgruppe gewandt und hat darum gebeten, jemanden zu schicken, mit dem man sich unterhalten kann. Jemand, der viel unterwegs gewesen ist.“ Karl-Josef Dieckmann schmunzelt: „Und das war ich.“
Der Werner war früher als Mitarbeiter in einem Exportunternehmen viel in Indien und Pakistan unterwegs. „Ich habe dort viele Menschen sterben sehen, oft in den Straßen. Die Leute haben während der letzten Stunden nie Trost bekommen. Sie haben niemanden gehabt, wenig Zuneigung, keine Hoffnung“, erzählt er. Er selbst möchte mithelfen, Trost zu schenken. Wenn er bei seinem Gast – so wird die zu begleitende Person genannt – ist, dann entlastet er in diesem Moment die Angehörigen. „Sie nehmen das sehr positiv auf, weil sie sonst nicht weggehen könnten. Denn einer muss immer da sein“, erklärt Dieckmann.
„Ich wollte etwas machen, das elementar ist“
Für Jemanden da zu sein, der Hilfe benötigt, das möchten die ehrenamtlichen Mitarbeiter schaffen. „Ich möchte mich gern einbringen, ich möchte etwas geben. Ich finde es toll, auch in der häuslichen Umgebung Jemandem zu helfen. Vielleicht geht es darum, den Angehörigen einfach Mal für zwei Stunden zu entlasten, damit er einkaufen gehen kann oder sich mit einer Freundin treffen kann. Dann aber zu wissen, da achtet jemand auf meinen Liebsten oder auf meine Liebste – das ist ein gutes Gefühl. Ich habe schon verschiedene Sachen gemacht, bei denen ich mich ehrenamtlich engagiert habe. Jetzt möchte ich gern einmal etwas ganz anderes machen und etwas, was elementar ist. Ich selbst hoffe auch, dass wenn man selbst einmal so weit ist, dass da auch jemand ist, der einen unterstützt oder meine Familie“, sagt Iris Schindelbauer.
Balance zwischen Nähe und Distanz
Die Krankenschwester, die selbst einen Angehörigen begleitet hat, möchte künftig auch fremden Menschen auf ihrem letzten Weg beistehen. Vielleicht ist der gewisse Abstand für die Betroffenen auch hilfreich. „Vielleicht sind sie manchmal auch dankbar, wenn da jemand sitzt, der emotional ganz anders mit der Lebensgeschichte verbunden ist“, sagt die 53-Jährige. Doch wie es wirklich in der Begleitung der Familien wird, ist für die fünf Ehrenamtler noch reine Spekulation.
Und auf vieles können sie sich trotz des Seminars gar nicht vorbereiten, glauben sie. Wie kann ich die Balance zwischen Nähe und Distanz finden? Wo sind meine persönlichen Grenzen? Welcher ist der richtige Umgang mit den Betroffenen? All diese Fragen können sie in der Theorie erörtern, aber nur in der Praxis lernen. Auch das Thema Loslassen lässt sich individuell nur schwer im Vorfeld beantworten.
„Es wird bestimmt Stolpersteine geben“
„Es ist auch eine Frage, wie nah man dann rankam, wie persönlich das unter die Haut geht. Ich glaube, es ist auch etwas anderes, als wenn man jemanden aus der Familie begleitet. Das ist noch einmal etwas anderes, den Verlust zu spüren“, sagt Iris Schindelbauer. Häufiger mit dem Tod konfrontiert war Hubert Brosterhues als ehemaliger Mitarbeiter der Freiwilligen Feuerwehr.
„Damit konnte ich ganz gut umgehen. Aber jetzt, wo wir einen Gast über einen Zeitraum begleiten, wird es bestimmt den einen oder anderen Stolperstein geben. Wir haben ein Praktikum in einem Hospiz in Lünen gemacht. Wenn dort die Menschen sterben, sind das schon harte Eindrücke. Und das ist da geballt. Das nimmt einen schon ganz schön mit“, erzählt der Landwirt. Er schaltet in solchen Momenten bei einem langen Spaziergang mit seinem Hund ab. „Dann kann ich das Stück für Stück verpacken.“
Respekt vor der intimen Atmosphäre
Er ist gespannt auf die Arbeit als ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Hospizgruppe Werne. Er hat aber auch Ängste. „Zum Beispiel, dass ich nicht sensibel genug bin. Das ist das, was mich am meisten beschäftigt. Dass man vielleicht die kleinen Dinge übersieht, die den Leuten wehtun oder die sie stören. Da werde ich mit ganz viel Fingerspitzengefühl hineingehen“, sagt der 63-Jährige.
Vor der persönlichen Atmosphäre, die der ambulante Hospizdienst mit sich bringt, hat hingegen Elfriede Pfeiffer-Kluckler den größten Respekt. „Für mich, wo ich so lange im stationären Bereich gearbeitet habe, wird es etwas ganz anderes sein, in die Wohnungen der Menschen zu kommen. Das ist so ein intimer Bereich und das kenne ich so nicht. Für mich wird das eine Herausforderung“, sagt die ehemalige Krankenschwester.
„Ich bin ganz neutral hineingegangen. Wenn man wirklich in einen anderen Haushalt kommt, gibt es schon eine Menge Eindrücke, die man verarbeiten muss. Da stürzt schon vieles auf einen ein“, antwortet Hubert Brosterhues, der auch erste Erfahrungen in der Begleitung gesammelt hat.
Theoretische Ausbildung stößt an Grenzen
Wo die eigenen Grenzen sind, können die ehrenamtlichen Mitarbeiter erst in der Praxis erfahren. Vieles werden sie erst während ihrer Begleitung lernen können. „Das ist auch gut so. Wenn ich mit zu festen Vorstellungen in so eine Begleitung reingehen würde, dann würde ich schon Erwartungen mitbringen. Und die kann die Person oder die Familie vielleicht gar nicht bedienen, weil die ganz anders sind“, sagt Iris Schindelbauer, die sich wie die anderen durch das Seminar aber gut für die kommenden Aufgaben gewappnet sieht.
Manchmal schwingt allerdings schon eine gewisse Unsicherheit bei den Teilnehmern mit. Bin ich wirklich die oder der Richtige für die Arbeit? Um Zweifel auszuräumen, stehen die beiden Koordinatorinnen der Hospizgruppe, Annette Alfermann und Martina Bußmann, mit den Mitarbeitern und den Angehörigen in Kontakt.
Wechsel der Begleiter ist möglich
Auch sie sehen Grenzen bei der theoretischen Ausbildung. „Das ist beim Thema Sterbeprozess der Fall: Sterben – wie geht das? Wir sind alle noch nicht gestorben. Das ist immer anders. Jeder Angehörige geht anders damit um. Jeder Tod ist genauso individuell wie jede Geburt. Und wir können es nicht voraussehen“, sagt Alfermann.
Gut einschätzen können sie hingegen, welche Begleiter zu welchen Familien passen. Wenn es doch nicht funktioniert, können Betreuer in andere Familien wechseln. Das passiert aber laut Alfermann eher selten. „Man muss sich das eingestehen. Man denkt vielleicht, dass man es nicht geschafft hat. Aber damit hat es gar nichts zu tun. Es hat einfach nicht gepasst“, erklärt Elfriede Pfeiffer-Kruckler.
„Es kann auch heiter und humorvoll sein“
Sie hofft, dass sie bei zukünftigen Begleitungen eine angenehme Atmosphäre aufbauen kann. „Es geht darum, dass die Stunde, die man miteinander lebt, nicht immer traurig sein muss. Trotz aller Traurigkeit kann es auch heiter und humorvoll sein. Dann entsteht eine gewisse Leichtigkeit, die mitschwingt.“
„Und ein Stück Normalität“, pflichtet Iris Schindelbauer ihr bei. Sie sagt: „Ich wünsche mir, dass die Angehörigen sagen: Es hat uns gut getan. Ich hoffe, ich habe dann das Gefühl, dass ich etwas geben konnte. Es ist ja einfach Zeit, die wir schenken können.“
Von eigenen Erlebnissen berichten
Die Ausbildung zum ehrenamtlichen Begleiter bietet die Hospizgruppe Werne seit 2012 an. Im Rhythmus von zwei Jahren beginnt ein neuer Kurs. Für den Inhalt der Qualifizierungsmaßnahme gibt es keine gesetzlichen Vorgaben, aber verbandsinterne Empfehlungen, wie Koordinatorin Annette Alfermann von der Hospizgruppe Werne erklärt. „Mit den 120 Stunden Seminarinhalt sind wir in Werne aber sehr, sehr gut aufgestellt“, sagt sie.
Vor allem die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und bisherigen Erfahrungen mit Trauer und Verlust seien neben den Fachinformationen wichtige Inhalte in der Ausbildung. Dabei erzählen die Teilnehmer auf Vertrauensbasis von ihren Erlebnissen, alle stehen unter absoluter Schweigepflicht. Die Menschen, die sich für solch eine Ausbildung in der Vergangenheit interessiert haben, kämen aus den unterschiedlichsten Berufs- und Altersgruppen. Die jüngste Teilnehmerin war 19 Jahre, die älteste 76 Jahre alt.
Hände still zu halten ist oft schwierig
Viele Fragen in der Ausbildung würden sich um das Thema Kommunikation drehen, erzählt Alfermann. Was mache ich, wenn jemand nicht mehr reden kann – aufgrund von Demenz oder einer anderen Erkrankung? „Man muss die Ohren offen halten und sensibel auf Mimik und Gestik reagieren. Dafür muss man ein Gespür bekommen. Das wird auch in Rollenspielen im Seminar gelernt“, sagt Alfermann.
Oft sei es für die Begleiter auch schwer, die Hände still zu halten, wie die Koordinatorin sagt. Viele möchten mit anpacken, die Pflegekraft unterstützen. Doch das ist gesetzlich verboten. „Man möchte dem Betroffenen vielleicht ein Getränk anreichen. Das ist manchmal schwierig. Denn die Begleiter dürfen zwar die Hand führen, aber den Becher nicht an den Mund führen. Eine Lösung ist es da, einen Strohhalm hinzulegen“, sagt sie. Auch wenn die Betreuung Grenzen hat, alle können helfen, indem sie eins tun: Zeit schenken.
Im Moment begleiten die Mitarbeiter der Hospizgruppe Werne, die es seit 1999 gibt, zehn Familien. Die Hospizgruppe hat 200 Mitglieder und finanziert sich durch Spenden. Über die Arbeit der Hospizgruppe können sich Interessenten am Welthospiztag, der am Samstag, 13. Oktober, begangen wird, informieren. Dazu lädt die Hospizgruppe von 10 bis 14 Uhr auf den Marktplatz und Kirchplatz ein. „Schwerstkranken und sterbenden Menschen die letzte Zeit ihres Lebens ihren Vorstellungen entsprechend zu gestalten, dafür sind wir von der Hospizgruppe seit fast 20 Jahren da. Das wollen wir gemeinsam mit allen interessierten Werner Bürgern würdig begehen“, so die Koordinatorinnen Annette Alfermann und Martina Bußmann.
Der Welthospiztag steht dieses Mal unter dem Motto „Weil du wichtig bist!“. Damit schlägt er eine Brücke zum internationalen Motto „Because I matter“ und stellt die gelebte Erfahrung von schwerstkranken und sterbenden Menschen in das Zentrum.