Nach der Umgestaltung des „Mittelalterraums“ stehen im Stadtmuseum auch inhaltliche Veränderungen an. Exponate aus einem ganz bestimmten Bereich werden dringend gesucht.

Werne

, 05.08.2019, 17:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Im „Mittelalterraum“ des Stadtmuseums laufen bereits die Umbauarbeiten. Dass dies nach gut 40 Jahren auch allerhöchste Zeit war, darüber sind sich Stadt, Museumsleitung und Förderverein einig. Sobald das Landesministerium grünes Licht gibt, soll auch das Obergeschoss deutlich mehr als nur eine Frischzellenkur bekommen. Museumsleiterin Constanze Döhrer (37) erklärt im Interview, was die Besucher erwartet.

Frau Döhrer, im neuen Konzept für das Stadtmuseum stehen immerhin schon mal Begriffe, die modern klingen. Zum Beispiel „Interaktion“. Was heißt das konkret?

Das umfasst viele Aspekte. Es geht aber definitiv nicht nur darum, dass Besucher auf ihren Handys durch QR-Codes zusätzliche Infos zu Ausstellungsobjekten bekommen. Interaktion meint, dass die Leute nicht nur lesen, sondern selbst aktiv werden.

Und wie soll das gehen?

Wir denken da unter anderem an große Tablets und Stationen, an denen die Besucher etwas ausprobieren können. Wir wollen die Themen spielerisch und digital aufbereiten. Das finden erfahrungsgemäß nicht nur Kinder, sondern auch erwachsene Besucher gut. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass jemand auf dem Tablet ein Schiff über die Lippe steuert oder ein Fachwerkhaus baut, sich durch eine Grube unter Tage lenkt und durch einen Schacht läuft. Wir wollen die Hardware also nicht dazu nutzen, um den Besuchern historische Dokumente oder zusätzliches Audio- und Bildmaterial an die Hand zu geben. Für so etwas reichen auch kleinere Smartphones.

„Die meisten Objekte wirken nicht für sich alleine. Und so etwas wie die Büste der Nofretete haben wir hier leider nicht.“
Constanze Döhrer

Das neue Konzept beinhaltet auch eine „ständige Konferenz“ und „Partizipation“. Das klingt nicht nur ziemlich abstrakt, sondern auch nicht unbedingt spannend...

Das wird es aber, da bin ich mir sicher! Partizipation funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Zum Beispiel, indem die Besucher eine Meinung hinterlassen. Das kann eine allgemeine Bewertung zum Museum sein - etwa als Schulnote nach dem Besuch. In erster Linie geht es aber darum, Meinungen zu Themen oder gar einen eigenen Gegenstand im Museum zu hinterlassen.

Also klebe ich demnächst einen Zettel an die Vitrine und liefere bei der Gelegenheit auch gleich noch das alte Spinnrad von meinem Dachboden bei Ihnen ab?

Nein, bloß nicht, bitte nicht noch ein Spinnrad! Davon haben wir schon genug. Sie dürfen aber eine Diskussionsbotschaft hinterlassen. Das ist auch mit der „ständigen Konferenz“ gemeint. Die Besucher sollen sich nicht nur mit den Exponaten auseinandersetzen, sondern miteinander darüber diskutieren. Ich gebe mal ein ganz einfaches Beispiel, das aber nicht unbedingt ins Museum passt...

Viel zu sehen gibt es im Karl-Pollender-Stadtmuseum gerade nicht. Der Grund: die Vorarbeiten für die Umgestaltung des "Mittelalterraums" in einen Bürgerraum.

Viel zu sehen gibt es im Karl-Pollender-Stadtmuseum gerade nicht. Der Grund: die Vorarbeiten für die Umgestaltung des "Mittelalterraums" in einen Bürgerraum. © Felix Püschner

Immer her damit!

Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem Ikea-Glas. Der Mann neben Ihnen spricht Sie an und sagt, dass er nicht gerne bei Ikea einkauft und auch nicht versteht, warum andere das tun. Es selbst kaufe ausschließlich mundgeblasene Gläser aus dem Harz. Sie sind aber anderer Meinung und sagen, heutzutage müsse man eben auch wirtschaftlich und global denken. Wenn man so miteinander ins Gespräch kommt, dann wird das Glas überhaupt erst interessant. So ist das mit Exponaten im Museum auch.

Aber sollte man im Museum nicht eigentlich still sein, anstatt miteinander zu plaudern?

Also vollkommene Stille ist bei uns sowieso nicht möglich. Dafür knacken die Bodendielen viel zu sehr (lacht). Das Museum soll aber auch gar kein Schweigeort werden. Das würde überhaupt nicht in unser Gesamtkonzept passen.

Gibt es denn schon Skizzen, wie das Museum genau aussehen soll, wenn es fertig ist?

Nein, bislang ging es erst einmal ums Konzept. Der nächste Schritt ist, Gestalterbüros einzuladen, die uns dann Entwürfe erarbeiten. Die Gestaltung von Museen ist ein Fach für sich. Und es ist ein unheimlich wichtiger Punkt. Die Anordnung von Dingen im Raum ist das, was ein Museum ausmacht. Wir haben natürlich schon eine Grundvorstellung: Es soll vor allem schlichter werden, mit weniger Exponaten, die dann häufiger wechseln. Aber eben auch mit moderner Technik, LED-Strahlern und so weiter.

Das hört sich im Vergleich zu jetzt fast schon nach einem „leeren“ Museum an.

Nein, leer wird es auf keinen Fall sein. Ein bisschen Inszenierung ist schon wichtig, um eine gewisse Atmosphäre zu schaffen. Denn die meisten Objekte wirken nicht für sich alleine. Natürlich gibt es Ausnahmen wie die Büste der Nofretete im Ägyptischen Museum in Berlin. Aber die haben wir hier leider nicht. Wir hatten hier zuletzt aber zu viele Objekte. Das hat man klassischerweise so in den 80ern gemacht, als man alles zeigen wollte, was man hat.

„Ich glaube, bei den Leuten zuhause schlummert noch das ein oder andere interessante Objekt.“
CONSTANZE DÖHRER

Was spricht denn dagegen?

Wenn es zu viele Objekte sind, kann man sich nicht richtig auf sie einlassen - erst recht nicht, wenn sie einem auch noch fremd sind. Wenn die Kinder heute beispielsweise in den Landwirtschaftsraum gehen, kennen sich keines der Geräte dort. Sie stehen also letztlich vor einer Wand voll Holz. Das sagt ihnen nichts. Wenn man nicht ganz so viele solcher Objekte hat und dafür dann aber eine passende Erklärung, die man auch noch spielerisch vermittelt, dann gibt man sich auch mehr Mühe, die Dinge zu verstehen.

Und was geschieht mit den Exponaten, die Sie nicht mehr benötigen? Werden die nun entsorgt?

Natürlich nicht. Aber es werden eben nicht mehr alle auf einmal zu sehen sein. Wir werden die Exponate öfter austauschen, um für Abwechslung zu sorgen. Und ich hoffe darauf, dass noch einige neue Objekte hinzukommen.

Und woher?

Das ist auch eine Form der Partizipation. Die Besucher dürfen gerne Objekte aus ihrem Besitz hier abgeben, die etwas mit der Werner Geschichte zu tun haben. Das tun sie auch schon jetzt, aber ich erhoffe mir von der neuen Ausrichtung, dass es bald andere Dinge sind als altes Geschirr oder eben Spinnräder. Wir wollen schließlich thematisch etwas ändern.

Constanze Döhrer an der Nachbildung eines hölzernen Schachtes der Zeche Werne. Aus der Bergbau-Ära gibt es nicht allzu viele Objekte im Museum.

Constanze Döhrer an der Nachbildung eines hölzernen Schachtes der Zeche Werne. Aus der Bergbau-Ära gibt es nicht allzu viele Objekte im Museum. © Jörg Heckenkamp

Inwiefern?

Aus der Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs haben wir bislang kaum etwas. Ich glaube, dass bei den Leuten zuhause noch das ein oder andere interessante Objekt aus dieser Zeit schlummert: Orden, Briefe oder sogar Waffen. Auch aus dem Bergbau könnten wir noch mehr Exponate gebrauchen. Und zum Thema Migration gibt es bislang nichts. Dabei lassen sich gerade hierbei wichtige Bezüge herstellen. Flucht spielte in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg genauso eine Rolle wie heute. Warum sollten wir also Zeitzeugenberichte von Leuten, die damals geflüchtet sind, nicht neben die eines syrischen Flüchtlings stellen?

So viele Zeitzeugen gibt es aus der NS-Zeit inzwischen aber gar nicht mehr...
Und genau deswegen wollen wir ein „lebendiges Gedächtnis“ schaffen, einen digitalen Speicher. Wenn bisher jemand ins Museum kam und mir von seinen Erlebnissen berichtete, habe ich mir immer Notizen gemacht. In Zukunft werden es Videos sein. Das passt auch ganz gut zu einem anderen Themenbereich.

Zu welchem?

Die Entwicklung im Bereich der Medien und Kommunikation, Meinungsbildung und Meinungsmache. Warum sollte man unter diesem Aspekt nicht mal Flugblätter aus dem Krieg von 1870 mit Twitter-Posts von Donald Trump vergleichen? Wir müssen bei diesen Dingen halt nur darauf achten, dass wir einen Bezug zu Werne herstellen können. Das ist mir wichtig.

  • Voraussichtlich im Herbst entscheidet das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, ob es das Projekt des Werner Stadtmuseums fördert. Sicher ist das aber noch nicht.
  • Der „Mittelalterraum“ wird aktuell bereits zum „Bürgerraum“ umgestaltet. Hier sollen künftig Veranstaltungen stattfinden wie zuletzt im Rahmen der Reihe „Afterwork bei Karl“. Vorstellbar sind laut Döhrer auch weitere Schnupperworkshops der VHS - zum Beispiel Yoga, Meditation und Fantasiereisen: „Nur von einer Disco werden wir hier absehen müssen. Dann würden die Objekte in den Vitrinen wohl zu sehr herumhüpfen“, so Döhrer mit einem Schmunzeln.
  • Im Erdgeschoss wird es thematisch künftig um die Zeit bis zur Ankunft der Preußen gehen. Denn dies stellt laut Döhrer einen echten Umbruch für die Lippestadt dar: „Bis dahin war die Verteidigung der Lippe sozusagen Wernes Identitätsgrund als befestigte Stadt – weil es das Bistum nach Süden verteidigt hat. Mit der Ankunft der Preußen fiel diese Aufgabe weg.“
  • Die Zielgruppe möchte die Museumsleitung ausweiten, durch die neuen Themenbereiche vor allem auch mehr Jugendliche und Schüler der Sekundarstufe 2 ins Museum locken.
  • Kein Rundumschlag: „Wir werden nicht mit den Fingern schnipsen - und plötzlich ist alles anders. Institutionen wie die Stube bleiben natürlich so wie sie sind“, sagt Döhrer.
  • Der Zeitplan: Die Umbauarbeiten umfassen mehrere Phasen. Die Fertigstellung des Obergeschosses ist aktuell für 2022 geplant und kostet 140.000 Euro. Der Eigenanteil der Stadt liegt bei 14.000 Euro.
  • Das Konzept mit allen Themenbereichen gibt‘s in der Ratsinformation über die Homepage der Stadt Werne.
  • Museum geschlossen: Aufgrund der Bauarbeiten im Erdgeschoss ist das Museum derzeit geschlossen - voraussichtlich noch bis zum 27. August.