Das Jahr 2006 spielt in Andreas Bünders Leben eine wichtige Rolle. Es markiert eine Art Wendepunkt. „Das war das Ende meiner Spielsuchtkarriere“, sagt der heute 63-Jährige mit ernster Stimme. Die Spielsucht hat lange sein Leben geprägt. Nicht im positiven Sinn: Schulden, Jobverlust, Beschaffungskriminalität und zerbrochene Beziehungen waren die Folge. Zeitweise wohnte Bünder sogar abgeschieden in einem Industriegebiet in Werne. In einem Wohnmobil. Ohne Strom.
Seine „Karriere“ startet bereits in jungen Jahren. Er wächst in Olfen auf und besucht ein Gymnasium in Lüdinghausen. Mit 17 geht er regelmäßig in den Pausen und Freistunden zocken. Zunächst nur am Flipper, dann am Glücksspielautomaten. Ein Spiel kostet damals zwar nur 20 bis 30 Pfennig, doch das hindert den jungen Mann nicht daran, sein Taschengeld komplett zu verzocken. Immer wieder leiht er sich Geld, hat schnell Schulden bei Freunden und Familie.
Für Lotto oder Sportwetten – das Angebot ist damals noch überschaubar – interessiert er sich nicht. Die bunt leuchtenden Automaten in den Spielhallen haben es ihm angetan. Hier hat er seine Ruhe, kann den Alltag vergessen. Ein Gefühl von Kontrolle, zumindest vorübergehend: „Am Ende des Tages bleibt eigentlich nur das Gefühl von Ohnmacht“, sagt Bünder rückblickend. Ob er gewinnt oder nicht, ist bald Nebensache. Nicht alles, was er seinerzeit tut, um an Geld zu kommen, ist legal. Näher darauf eingehen möchte er nicht. Nur so viel: Diebstahl ist keine Seltenheit.
Hilfsangebot für Betroffene jetzt auch in Lünen
- Bereits 1991 wurde der Arbeitskreis gegen Spielsucht e.V. in Unna gegründet – mit dem Ziel, durch strukturelle Prävention die Ausweitung des Glücksspiels einzudämmen und Elemente des Spielerschutzes zu etablieren. Aufklärung, Schulungen, individuelle Beratung, Gesprächsgruppen und die Vermittlung von Therapieangeboten gehörten seither unter anderem zu den Aufgaben des Arbeitskreises.
- Seit dem 1. Januar 2025 wird die Beratung durch die Suchthilfe gGmbH Unna durchgeführt. Die ambulante Rehabilitation wird in Trägerschaft der LWL Klinik Dortmund fortgeführt. Beide Angebote finden in den Räumlichkeiten der Suchthilfe am Standort Schillerstraße 18 in Unna statt.
- Inzwischen gibt es auch eine Anlaufstelle in Lünen. Sozialarbeiterin Jennifer Kress bietet immer freitags von 9 bis 17 Uhr im Gesundheitshaus am Roggenmarkt Erst- und Informationsgespräche für Betroffene und Angehörige an – nach Terminvereinbarung unter Tel. 0157 85 59 23 04.
- Die Treffen der Selbsthilfe- beziehungsweise Motivationsgruppe finden mittwochs am Standort in Unna statt. Ab Mai soll es solche Treffen zusätzlich auch in Lünen geben.
- Weitere Infos gibt es unter www.arbeitskreis-spielsucht.de und www.suchthilfe-unna.de.
Sein Spielsuchtproblem fällt während seiner Zeit bei der Bundeswehr auf. „Ich hatte mich verpflichtet, weil ich wusste, dass ich dort gutes Geld verdienen konnte“, erinnert er sich. Weil ein Großteil davon in den Automaten landet, muss er sich allerdings immer wieder Geld von seinen Kameraden leihen. Nach zwei Jahren Dienst kehrt er zurück in die Heimat und arbeitet unter anderem als Journalist.
Doch nachdem er seinem Arbeitgeber Geld stiehlt, verliert er seinen Job. Den Wohnort wechselt er in den folgenden Jahren häufig. Mal lebt er in Datteln, dann in Waltrop, schließlich in Werne – und heute in Bergkamen. Mehrfach hat Bünder Ärger mit seinen Vermietern. Nur zwei Dinge bleiben vorerst konstant: die Schulden und die Spielsucht.

Zur „Entgiftung“ in der Klinik
Empathie sei nie seine große Stärke gewesen, sagt der Bergkamener: „Aber es war schon krass. Ich hatte zu den Spielautomaten einen besseren Draht als zu meinen vier Kindern und zu meiner Frau.“ Die versucht zwar viel, um ihrem Mann zu helfen, wirft ihn dann aber 2005 aus der Wohnung. Verständlich, wie Bünder sagt. Mehrfach hat er versucht, seine Sucht in den Griff zu bekommen – ohne Erfolg.
Von den Automaten fernzubleiben, das schafft er allenfalls ein paar Wochen oder Monate: „Das waren kleine Pausen, aber keine Erfolge. Dass ich spielsüchtig bin, war mir schon in den 80ern bewusst. Deswegen hatte ich mir damals einen Psychologen gesucht und mich später sogar in die Klinik einliefern lassen.“ Dort macht er eine „Entgiftung“. Die anderen Patienten auf der Station sind Alkoholiker. Die Erfahrungen in der Klinik halten ihn aber nicht davon ab, später wieder die Spielhallen aufzusuchen.
Schuld waren immer die anderen
Erst als er sich 2006 in besagtem Wohnmobil in Werne wiederfindet, wird ihm klar, dass er etwas ändern muss. „Ich habe die Schuld für mein Spielproblem immer bei anderen gesucht. Das ging jetzt nicht mehr, weil ich alleine war. Da habe ich mir dann gesagt: ‚Wenn Du jetzt nichts änderst, wird es schon bald zu spät sein.‘“ Unterstützung findet er – nicht zum ersten Mal – beim Arbeitskreis gegen Spielsucht in Unna.
Am 23. Mai 2006 beginnt er eine Therapie, die Früchte tragen wird. Für sechs Wochen geht es in eine Klinik ins Saarland. Am Tag seiner Rückkehr nach Werne läuft die Fußball-WM auf Hochtouren: Halbfinale, Deutschland gegen Italien. Bünder verfolgt das Spiel in einem Biergarten. Während das „Sommermärchen“ für Fußball-Deutschland an diesem Abend endet, überwindet er den Punkt, an dem er schon so oft gescheitert war: der Moment, in dem er sich dachte, den Alltagsproblemen entgehen zu können, indem er einen Automaten füttert.

Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige
Was folgt, liest sich ein bisschen wie ein Drehbuch für einen Film, an dessen Ende alles gut ausgeht: Bünder begleicht seine Schulden Stück für Stück. Bis er sie abbezahlt hat, dauert es rund zehn Jahre. Zu seinen mittlerweile erwachsenen Kindern hat er heute ein gutes Verhältnis, wie er sagt. 2020 gründet er sogar eine Firma für Lager- und Betriebseinrichtungen neu: „Heute bin ich mit mir selbst und meiner Lebenssituation zufrieden. Ganz anders als früher.“
Das Bedürfnis, eine Spielhalle zu betreten, hat er schon lange nicht mehr. Das Thema beschäftigt den Bergkamener trotzdem weiter. Er besucht die Treffen der Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige bei der Suchthilfe Unna, die alle zwei Wochen in den Räumen an der Schillerstraße stattfinden. Die Gruppe bietet einen geschützten Raum, in dem sich Gleichgesinnte austauschen können. Was sie gemeinsam haben, ist eine Krankheit. Das ist dem 63-Jährigen wichtig, zu betonen. „Niemand ist mit Absicht spielsüchtig. Spielsucht ist eine Krankheit, die man in den Griff bekommen kann.“ Bünder ist das gelungen.