Das Problem der sogenannten Altschulden trifft schon seit Jahrzehnten auch und mitunter besonders stark die Städte und Gemeinden im Kreis Unna.
In sieben von zehn Städten und Gemeinden des Kreises Unna haben sich nach einer Umfrage dieser Redaktion die Altschulden aktuell auf nicht weniger als 427,2 Millionen Euro aufgehäuft.
Besonders stark belastet durch Altschulden sind Lünen, Kamen, Schwerte, Selm, Werne und Bergkamen. Allein die Zinslasten für ihre alten Kassenkredite erreichen mehrere Millionen Euro pro Jahr – ohne dass ein Euro der Schulden getilgt wäre.
- Was sind Altschulden überhaupt? In der Regel werden darunter die Liquiditätskredite der öffentlichen Hand gefasst, die zu langfristigen Verbindlichkeiten geworden sind, weil man sie nicht in Frist zurückzahlen konnte.
- Diese auch Kassenkredite genannten Darlehen werden eigentlich nur aufgenommen, um einen kurzfristigen Engpass im laufenden Verwaltungsgeschäft zu überbrücken. In der privaten Haushaltsführung würde man so gesehen seinen Dispo auf dem Girokonto immer weiter aufhäufen – wenn es für den Überziehungskredit nicht ein Limit der Hausbank gäbe.
- Nicht gemeint sind hingegen die Investitionskredite zum Beispiel für die Bauvorhaben in der Kommune. Sie sind ohnehin langfristig angelegt. Sie machen zudem insofern weniger Sorgen, als die Städte und Gemeinden für das Geld einen bleibenden Gegenwert aus Beton, Stein und Holz erhalten. Wenn mit Liquiditätskrediten aber schlicht die Auszahlung von Gehältern sichergestellt werden muss, ist das Geld einmal ausgegeben und damit für immer weg.
Ein besonders prägnantes Beispiel dafür, was man mit dem Geld machen könnte, müsste man es nicht für den Schuldendienst verwenden, liefert Kamens Kämmerer. „Sofern die Zinsen für Kassenkredite nicht zu bedienen wären, könnten beispielsweise circa zehn weitere Mitarbeitende eingestellt werden“, sagt Christian Völkel, der 65 Millionen Euro Kassenkredite bedienen muss. Er musste zuletzt jährlich 550.702 Euro Zinsen für Kassenkredite berappen.
Selms Kämmerin Sylvia Engemann – ihre Stadt steht mit 42,3 Millionen Euro in der Kreide – bringt es ebenfalls auf eine einfache Formel: „Durch den erhöhten Zinsaufwand bleiben weniger Spielräume für freiwillige Leistungen, die häufig das Leben vor Ort lebens- und liebenswert machen.“ Also bespielhaft Zuschüsse für Vereine und Verbände oder Unterstützungen im Sport- und Freizeitbereich.
Bergkamen beispielsweise konnte seine Kassenkredite allerdings seit 2017 von damals 81 Millionen Euro auf aktuell 30 Millionen mehr als halbieren. Sprudelnde Gewerbesteuerzahlungen hätten diesen Schritt erleichtert, erläutert Kämmerer Marc Alexander Ulrich. „Wir haben uns angestrengt, viel zu tilgen“, so Ulrich, der als Mitglied im Finanzausschuss des Städte- und Gemeindebundes auf Landes- und Bundesebene die Finanzinteressen der Kommunen vertritt.
Auch in Unna ist der Berg an Kassenkrediten stark geschmolzen. Nachdem sie dort 2008 noch 25,4 Millionen Euro betragen hatten, sind sie aktuell mit 1,5 Millionen Euro schon fast moderat zu nennen.
Schwankende Gewerbesteuer
Das Tilgen sei aber eine Sisyphos-Arbeit. Soll heißen, dass die ehrgeizigen Bemühungen der Kommunen im Nu zunichte gemacht werden können. „Die Ruhrgebietskommunen haben eine sehr schwankende Gewerbesteuer“, gibt Ulrich zu bedenken. Bricht sie also in schwacher Konjunktur ein und sind die Kommunen ihrer wichtigsten Einnahmequelle los, fängt das Schuldenmachen von vorn an.

Inflation und erhöhte Kreditzinsen
Ein neuer Schuldentreiber ist längst Realität geworden. Darauf macht Wernes Kämmerer Marco Schulze-Beckinghausen aufmerksam. Er hat 30,6 Millionen Euro Altschulden zu verwalten: „Die Inflation trifft die Kommunen mit ähnlich großer Wucht wie jeden anderen. Allein die Kosten für den Energieverbrauch schlagen massiv auf den Haushalt der Stadt Werne durch.“
Sein Kollege aus Lünen, Dr. André Jethon, hebt als weiteren Beschleuniger der Belastungen die Erhöhung der Leitzinsen für Kredite hervor: „Der Zinsaufwand ist nach Änderung der Zinspolitik eine der am stärksten ansteigenden Aufwandspositionen im Haushalt der Stadt Lünen.“

Doch es gibt im Kreis Unna auch drei Kommunen, die schuldenfrei sind, also nur ihre Investitionskredite nebst Zinsen zu tilgen haben. Neben Fröndenberg und Holzwickede ist das die Gemeinde Bönen. „Der aktuell letzte noch bestehende Kassenkredit wird im Juni komplett getilgt“, vermeldet Kämmerer Dirk Carbow.
Landrat Mario Löhr, der als ehemaliger Bürgermeister von Selm von kommunalen Schulden ein Lied singen kann, ist der Meinung, dass sich die Städte und Gemeinden aus eigener Kraft nicht aus der Schuldenspirale werden befreien können. Ende April hatte Löhr daher in einem Gespräch mit den Abgeordneten des Bundestages aus dem Kreis Unna für einen Schuldenschnitt geworben.
Sein Kämmerer Mike-Sebastian Janke hatte bereits vor drei Jahren das Land NRW gewarnt, dass die Schuldenlast „Kinder und Enkelkinder erdrückt“.
„Reiche“ Kommunen warnen vor Geschenken
Die Übernahme von Schulden durch Bund und Land istallerdings kein neuer Ansatz. „Seit Jahren höre ich, dass im Hintergrund Gespräche geführt werden“, sagt Marc Alexander Ulrich. Schwertes Kämmerer Niklas Luhmann ist gar aktives Mitglied im deutschlandweit agierenden „Aktionsbündnis für die Würde unserer Städte“. Eine Lösung für die Altschulden sieht das Bündnis als unabdingbar dafür an, finanzschwachen Kommunen zu helfen.
Dass ein Schuldenschnitt nicht von der gesamten kommunalen Familie gutgeheißen wird, macht indes ein Statement des schuldenfreien Holzwickeder Kämmerers nur zu deutlich: „Verschuldete Kommunen dürfen keinen Vorteil gegenüber nicht oder gering verschuldeten Kommunen erfahren“, sagt Andreas Heinrich mit Blick auf von den klammen Städten und Gemeinden erwartete Hilfe.