Pia Marie (16) aus Werne offenbar entführt Vorwürfe an Jugendamt - Hinweise führen nach Wien

Pia Marie (16) aus Werne entführt: Vorwürfe an Jugendamt - Hinweise führen nach Österreich
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Die Polizei sucht weiter nach der 16-jährigen Pia Marie aus Werne - mittlerweile europaweit. Die Behörden sind sich sicher, dass ihr Vater – ein Bergkamener, der zuletzt in Werne gewohnt hat – sie entführt hat. Konkret besteht gegen ihn der Anfangsverdacht der Entziehung einer Minderjährigen. Unterlagen, die dieser Redaktion vorliegen, beweisen jetzt: Das Jugendamt in Werne hat sich kurz vor der Entführung gegen eine geschlossene Unterbringung des Mädchens ausgesprochen. Weitere Dokumente deuten darauf hin, dass Vater und Tochter zunächst nach Österreich gereist sind.

Ihre Mutter Lisa (Name von der Redaktion geändert) macht sich große Sorgen. Mit ihr hatte unsere Redaktion bereits in 2021 Kontakt. Schon damals gab es Probleme. Von 2017 bis 2021 hatte Lisas Tochter Pia Marie bei ihrem Vater gelebt. Es gab einen erbitterten Sorgerechtsstreit zwischen Mutter und Vater.

Mehrere Entführungsversuche

Das Sorgerecht ging zwar zuerst an den Vater, doch seit Januar 2021 hat er es nicht mehr – tatsächlich darf er sich nicht einmal mehr unbegleitet mit ihr treffen –, dennoch gehen die Behörden davon aus, dass er sich auch am 18. April dieses Jahres mit seiner Tochter getroffen hat. Die Polizei verdächtigt ihn, seine Tochter an diesem Tag aus der Wohngruppe in Ibbenbüren entführt zu haben. Es soll nicht das erste Mal gewesen sein: Den Aussagen der Mutter zu Folge gab es in der Vergangenheit bereits Entführungsversuche.

Auch im vergangenen Jahr um Ostern war Pia Marie als vermisst gemeldet worden. Die gemeinsame Reise von Vater und Tochter endete am 22. April schließlich in einer Grenzkontrolle in einem Linienbus am österreichisch-schweizerischen Grenzübergang Martina. Die Zöllner fanden 32,51 Kilo Gold im Wert von etwa 1,9 Millionen Euro, 2,15 Millionen Euro Bargeld, über hunderttausend US-Dollar und knapp 96.000 Schweizer Franken.

Warum er so viel Geld dabei hatte? Die Bundeskriminalpolizei der Schweiz hielt die Begründungen des Kindsvaters für „zumindest zweifelhaft“. Das geht aus den behördlichen Unterlagen hervor. Mittlerweile bestätigte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen den Vater. „Wir untersuchen die Herkunft des Geldes. Aber unsere Ermittlungen stehen noch am Anfang“, erklärte der Dortmunder Staatsanwalt Tobias Wendt auf Anfrage.

In einem Fall wie diesem ist es laut Experten durchaus möglich, dass Kind und Vater unter psychischen Problemen leiden. Diese können zu einer tiefen, aber auch ungesunden Beziehung führen, die sich auch auf das Sozialverhalten auswirken kann.

Diese Redaktion hatte schon 2021 berichtet, dass Lisa das Jugendamt mehrfach wegen Kindeswohlgefährdung benachrichtigt hat. Und nicht nur sie: Auch Ärzte und Lehrer hatten sich Sorgen um das Mädchen gemacht, die das Jugendamt trotz der Häufigkeit aber zunächst als nicht besorgniserregend einstufte. Seit 2020 hatte der Vater dann sogar das alleinige Sorgerecht, lebte mit seiner Tochter in Werne. Ein Gutachten hatte sich für diese Regelung ausgesprochen. Die Mutter kritisierte das und konnte auch Mängel nachweisen, aber auch Pia Marie selbst wollte bei ihrem Vater bleiben. Das ging nicht lange gut.

Pia Marie wird seit dem 18. April vermisst.
Pia Marie wird seit dem 18. April vermisst. © Höcher, Tobias

Im Januar 2021 eskalierte die Situation so weit, dass Jugendamt und Polizei das Kind aus der Wohnung des Vaters holten. Dabei wurden der Bild-Zeitung zufolge 30 Schusswaffen und rund 12.000 Schuss Munition entdeckt – der Mann war offenbar Sportschütze. Daraufhin wurde das Mädchen in Obhut des Jugendamts genommen.

In der Folge wurde Pia Marie in einer offenen Wohngruppe untergebracht. Dem Vater wurden unbegleitete Umgangskontakte untersagt, was er jedoch sogar den Behörden gegenüber ablehnte. Immer wieder traf er sich danach ohne Begleitung mit seiner Tochter. Die Verstöße wurden wiederholt mit einem Ordnungsgeld sanktioniert. Dieses ignorierte er aber ebenfalls, weshalb das Gericht gleich mehrfach Ordnungshaft gegen den Kindsvater veranlasst hat. Insgesamt liegt diese nach sechs Bescheiden bereits bei 150 Tagen.

Oft fiel die fehlende Kooperationsbereitschaft des Vaters auf. Er hielt sich offenbar weder an gerichtliche Anordnungen, noch folgte er Ladungen zu Terminen. Auch das begleitete Umgangsrecht wollte er nicht akzeptieren, geht aus den Akten hervor.

Hinweise führen nach Wien

Dieses Mal gibt es kaum Hinweise von Pia Marie und ihrem Vater, zumindest hält sich die Staatsanwaltschaft Münster bedeckt. Einen hat es aber gegeben: Am 22. April – also vier Tage nach dem Verschwinden – hat der Vater offenbar in Wien zwei Zugtickets gekauft. Entsprechende Dokumente liegen dieser Redaktion vor. Wohin die Reise ging, ist nicht bekannt. Seitdem fehlt von Vater und Tochter aber jede Spur. „Wir haben keine neuen Hinweise auf den Aufenthaltsort“, sagte Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt von der Staatsanwaltschaft Münster auf Anfrage.

Mutter hadert mit Jugendamt

Womit Lisa aber auch in der jetzigen Situation vor allem hadert: „Ich habe mehrfach gesagt, dass das genau so passieren wird“, sagt sie. In den Akten sei das festgehalten. Geglaubt habe man ihr aber nie. „Die haben mich immer für verrückt gehalten und selbst durch Untätigkeit geglänzt“, sagt Lisa.

Dem Jugendamt Werne macht sie deswegen große Vorwürfe. In einer Stellungnahme ans Amtsgericht Ibbenbüren hat es sich gegen eine geschlossene Unterbringung der 16-Jährigen ausgesprochen – offenbar ein schwerer Fehler. „Das Ergebnis war, dass eine geschlossene Unterbringung (...) und der damit einhergehende massive Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Pia als nicht zielführend (...) ergeben würde“, heißt es in den Unterlagen. Veröffentlicht am 14. April - nur vier Tage vor der Entführung. Lisa hat nicht nur deswegen bereits mehrfach Dienstaufsichtsbeschwerden gegen das Jugendamt eingelegt.

Selbst wollen sich die Verantwortlichen dort aber nicht konkret äußern. „Das Wohl des Kindes steht für das Jugendamt immer im Mittelpunkt“, heißt es in einer offiziellen Mitteilung. Aufgrund von Datenschutz und dem Schutz des Kindeswohls könne man sich nur allgemein äußern: „Dieser Fall ist komplex und geht bereits über mehrere Jahre. Deshalb haben wir immer wieder auch externe Beratungen durch andere Jugendämter und weitere Expert*innen herangezogen – auch über die gängigen Verfahrenswege hinaus.“

Auch zweieinhalb Jahre, nachdem Pia Marie Anfang 2021 von Jugendamt und Polizei aus der Wohnung des Vaters geholt wurde, wurde das Kindergeld bis Mai noch gezahlt – auch jetzt, da er mit seiner Tochter auf der Flucht ist. Zudem läuft ein Steuerstrafverfahren gegen den Vater, das Land Nordrhein-Westfalen erhebt hohe Forderungen. Dieser Redaktion liegen entsprechende Dokumente vor.

Bei der vermissten Pia Marie besteht mittlerweile wohl auch offiziell eine akute Kindeswohlgefährdung. Polizei und Staatsanwaltschaft haben ihr Foto veröffentlicht. Ob daraufhin Hinweise eingegangen sind - auch dazu schweigt die Staatsanwaltschaft.

Die 16-jährige Pia Marie hat laut der Fahndungsmeldung dunkelblonde Haare, blaugrüne Augen und ist 1,60 Meter groß. Zuletzt trug sie eine grüne Jacke, eine schwarze Jeanshose und schwarze Turnschuhe, dazu eine Umhängetasche mit Stickereien. Wer Informationen zum Aufenthaltsort der 16-Jährigen hat, wird gebeten, sich bei der Polizei Ibbenbüren unter der Telefonnummer 02551/150 zu melden.

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