
© Felix Püschner
Leben im Kloster Werne: Zwischen Youtube und Seelsorge
Kapuziner
Pater Tobias Link lebt seit fünf Jahren im Kloster in Werne. Im Interview spricht der Kapuziner über das Gelübde und Sorgen in der Pandemie - aber auch über Youtube und Tankstellen-Erlebnisse.
Man könnte meinen, Pater Tobias Link habe ein besonders schlechtes Timing, wenn es um Jubiläen geht. Seit fünf Jahren lebt Link im Werner Kapuzinerkloster. Im vergangenen Jahr feierte er sein 50. Priesterjubiläum, an Palmsonntag 2021 seinen 80. Geburtstag. Wobei der Ausdruck „Feier“ in Pandemiezeiten nicht ganz treffend ist. Im Interview spricht der Pater unter anderem über Begegnungen an der Tankstelle, Youtube-Videos, Gelübde und aufmerksame Friseure.
Pater Tobias, Sie hatten in den vergangenen Monaten gleich mehrfach Grund zum Feiern - wie sehr hat die Pandemie die Stimmung getrübt?
Schon ein wenig. Ich hatte zwar nicht vor, groß zu feiern, aber vor allem an meinem Geburtstag war es schon sehr überschaubar. Pater Romuald hat in der Messe ein paar Worte gesagt, dann haben wir hier zu fünft noch ein Glas Sekt getrunken. Und das war’s. Geplant war zunächst, dass ein Festprediger kommt und ein Chor singt. Darauf mussten wir leider verzichten.
Angesichts der Corona-Krise müssen die Menschen auf vieles verzichten. Das dürfte einem „geübten“ Ordensbruder ja eigentlich nicht so schwerfallen, oder?
Verzicht ist ja nichts Einfaches. Das ändert sich nicht dadurch, dass man ein Gelübde ablegt. Mir fehlen zum Beispiel die Treffen mit der Herzsportgruppe und die Meditationen, die ich sonst immer hier im Kloster mit den Menschen mache. Auch der Bibelkreis kann nicht stattfinden. Das ist nicht schön - aber man hat dadurch mehr Zeit für andere Dinge.
Welche zum Beispiel?
Etwa die Vorbereitung der Gottesdienste. Ich habe jetzt mehr Zeit zum Lesen. Und ich fotografiere gerne. Das geht auch in Corona-Zeiten. Nur zum Malen fehlt mir gerade ein wenig die Muße.

In der Klosterkirche sieht es so aus, wie es sich nun mal für eine Kirche gehört. Dennoch hat sich im Orden eine Menge geändert, sagt Pater Tobias. © Felix Püschner
Malen und fotografieren sind aber wahrscheinlich nicht die Gründe dafür, dass Sie sich vor vielen Jahren dazu entschieden haben, in einen Klosterorden einzutreten...
Nein, aber ich habe ein bischöfliches Internat besucht. Da wurde einem nahegelegt, dass man Priester werden kann. Ich habe aber auch gespürt, dass es mich da hinzieht. In den Kapuzinerorden bin ich bereits 1964 eingetreten, sechs Jahre vor meiner Priesterweihe. Ein Gelübde abzulegen und in einen Orden einzutreten - das fand ich damals schon gut, weil man damit ganz bewusst ein Zeichen setzen kann.
Inwiefern?
Mich hat einmal jemand an der Tankstelle angesprochen, als ich meinen Habit getragen habe. Der Mann wusste damit überhaupt nichts anzufangen. Er kannte das nicht und hat mich gefragt, wer ich bin und was ich mache. Das habe ich ihm dann erklärt. Zum Beispiel, dass wir Kapuziner keinen Wert auf Reichtum legen, dass wir auf alles verzichten und das auch nach außen zeigen wollen. Das fand er interessant. Unsere Gelübde sind ja auch gar nicht so weltfremd, wie man vielleicht meint. Das merkt man gerade jetzt in Pandemiezeiten.
Woran denn?
Wir Kapuziner leisten Gehorsam. Das scheint im Alltag ein Fremdwort geworden zu sein. Man sieht das daran, wie manche Leute auf die Einschränkungen und Corona-Regeln reagieren. Zudem wird Reichtum heutzutage besonders groß geschrieben, obwohl man ihn nicht braucht.
Aber es gibt ja noch weitere Gelübde...
Ja, das Keuschheitsgelübde. Das ist wohl der größte Einschnitt für einen Priester. Es ist nicht einfach, auf Ehe und Familie zu verzichten. Und man denkt später durchaus mal darüber nach, dass es doch schön gewesen wäre, geheiratet zu haben und Kinder zu haben. Aber Priester sein ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Und weil es eine Berufung ist, bekommt man auch die Kraft und Gnade, um das durchzustehen. Ich bereue es nicht, mich damals so entschieden zu haben.
Als Kapuziner ist man viel unterwegs, wird oft in andere Klöster versetzt. Ist das nicht irgendwann nervig?
Es ist zumindest nicht einfach, wenn man immer wieder loslassen und neu anfangen muss. Früher wurden wir sogar alle zwei oder drei Jahre versetzt. Inzwischen sind es sieben oder acht. Als Kapuziner ist man nun mal auf Wanderschaft. Das hat aber zwei Seiten: Zum einen ist es eine Form des Verzichts, den Ort zu verlassen, an dem man sich gerade erst eingelebt hat. Auf der anderen Seite lernt man immer wieder Neues kennen und kann Impulse an anderen Orten geben.
Auf ihrem Wanderweg stehen jetzt schon zehn Stationen. Haben Sie ein Lieblingskloster?
Am ehesten mein Heimatkloster in Bad Mergentheim, das inzwischen leider geschlossen wurde - so wie viele andere Klöster, weil Personal und finanzielle Mittel fehlten. Da geht es uns in Werne noch vergleichsweise gut. Die Leute stehen zu ihrem Kloster, der Freundeskreis Kapuzinerkloster unterstützt uns in vielerlei Hinsicht. Das ist keine Selbstverständlichkeit - und es war für mich einer der Gründe, hier hinzukommen.

Pater Gisbert, Pater Tobias und Pater Romuald in der großen Bibliothek des Werner Klosters. © Jörg Heckenkamp
So viele Jahrzehnte im Kloster - was hat sich in dieser Zeit eigentlich verändert?
Einfach alles! Oder zumindest sehr viel. Ein Mitbruder hat deswegen mal gesagt, dass es den Orden, in den er eingetreten ist, nicht mehr gibt. Es wird nicht mehr so viel gebetet, die Tonsur gibt es auch nicht mehr. Man ist offener und das Leben im Kloster ist moderner geworden. Als ich nach Werne gekommen bin, habe zum ersten mal einen PC bekommen. Das war gar nicht so einfach, sich da in meinem Alter einzuarbeiten. Die Medien sind bei uns stärker im Vordergrund.
Nutzen Sie auch Social Media?
Mit Facebook kann ich nicht viel anfangen. Aber mit Youtube. Ich lade da zwar keine eigenen Videos hoch, aber ich schau mir vieles an. Vor allem tolle Vorträge von Bischöfen und Wissenschaftlern. Das Schöne daran ist: Man muss nicht mehr weit reisen, um diese Menschen zu sehen und ihnen zuhören zu können.
Beichte und Seelsorge zählen immer noch zu den Schwerpunkten Ihrer Arbeit. Hat sich da ebenfalls etwas geändert?
Ja, es wird heute beispielsweise nicht mehr so viel gebeichtet wie früher. Da haben die Menschen wohl den Zugang etwas verloren. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass man im 20. und 19. Jahrhundert zu viel gebeichtet hat. So viel, wie in der ganzen vorherigen Kirchengeschichte nicht. Man hat das Beichten überbetont. Vielleicht fehlt den Menschen heute aber auch das Sündenbewusstsein. Ich halte das Beichten und die Seelsorge trotzdem für sehr wichtig.

Das Kapuzinerkloster in Werne wurde 1671 errichtet. © Felix Püschner
Warum?
Die Beichte ist eine Rückkehr in die Taufwirklichkeit und zudem ein gutes Angebot: Jemand hat sich verfehlt, darf das bekennen – und dann ist dort einer, der ihm im Namen Gottes zuspricht, seine Sünden seien ihm vergeben. Das ist doch einmalig! Wo gibt‘s denn sonst so etwas? Und dann auch noch kostenlos (lacht).
Inwiefern haben sich die Sorgen der Menschen denn verändert?
Einsamkeit ist heute ein großes Problem. Gerade bei älteren Menschen. Viele haben außerdem große Sorgen wegen ihrer Krankheiten. Es ist wichtig, dass man sich Zeit für diese Menschen nimmt und ihnen zuhört. Das hilft schon. Man muss sich aussprechen können. Das macht Seelsorge aus. Deswegen sagt man ja auch, dass Friseure Seelsorger sind.
Kann man immer helfen?
Wir können im Kloster natürlich nicht alle Probleme lösen. Manchmal kann man trösten. Man darf aber nicht vertrösten und am Menschen vorbei reden. Und wenn jemand wirklich psychisch krank ist, dann muss man ihm auch raten, einen Psychologen aufzusuchen.
Sie selbst könnten bald wieder ein anderes Kloster aufsuchen. Immerhin sind Sie schon fünf Jahre in Werne...
Mit 80 Jahren wird man zum Glück nicht mehr so oft versetzt. Ich würde mir auch wünschen, dass ich noch eine Weile hier bleiben kann. Allein schon, weil die Koffer mir allmählich zu schwer werden.
Geboren 1984 in Dortmund, studierte Soziologie und Germanistik in Bochum und ist seit 2018 Redakteur bei Lensing Media.
