Was geschah nach dem Kriegsende in Werne? Kinobesitzer übernahm die Geschäfte des Bürgermeisters

Von Heidelore Fertig-Möller
Kinobesitzer übernahm nach Kriegsende die Geschäfte des Bürgermeisters
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Nachdem am 31. März die amerikanischen Soldaten in Werne eingezogen waren und auf der Zeche Werne der Guardian des Kapuzinerklosters Pater Venantius die Übergabe zum großen Glück für die Werner Bevölkerung kampflos getätigt und die Tochter von Käthe Rittner einem amerikanischen Panzer-Soldaten einen Blumenstrauß übergeben hatte, requirierten amerikanische Offiziere ein paar größere Gebäude bzw. Hotels (unter anderem den Centralhof am Markt) als Unterkunft. Ansonsten war man nur froh, dass mit dem Einmarsch der Amerikaner die Bomberflotten ihre Kondensstreifen zwar weiterhin am Himmel zogen, ihre Ziele aber nun im Osten lagen. Werne war fast unzerstört geblieben.

Am 1.4.1945 übernahm mit Zustimmung der alliierten Besatzung der Kinobesitzer Carl Brauckhoff die Geschäfte des Bürgermeisters, da, wie Zeitzeugen berichten, er einige Brocken Englisch sprach. Am 16. April 1945 wurde er dann vom Architekten Theodor Wenning abgelöst, der dieses Amt bis zum 1. Mai 1947 innehatte. Er blieb dann zwar Bürgermeister, die Verwaltungsgeschäfte gingen aber von diesem Zeitpunkt an nach der von der englischen Verwaltung eingeführten vorläufigen Gemeindeordnung auf den Stadtdirektor Dr. Zumloh über.

Waffen auf dem Marktplatz abgelegt

Einer der ersten Erlasse Anfang April 1945 ordnete an, dass alle Bürger, die im Besitz von Waffen, Kameras, Fotoapparaten und Radiogeräten waren, diese auf dem Vorplatz des Kapuzinerklosters ablegen mussten. Nach Tagen durften die Geräte, soweit sie nicht konfisziert wurden, wieder abgeholt werden.

Gemäß einer Direktive von Mitte April 1945 mussten alle Schulen den Betrieb sofort einstellen, sofern sie nicht schon zuvor geschlossen worden waren. So hatten die Kinder sehr viel Freiraum, da die Väter zum großen Teil noch im Krieg oder in Gefangenschaft waren und die Mütter genug damit zu tun hatten, ein tägliches Essen auf den Tisch zu bringen.

Das Haus der Familie Wenning in Werne
Das Haus der Familie Wenning in Werne: Theodor Wenning war nach dem Krieg für gut zwei Jahre Bürgermeister. © Archiv Förderverein Stadtmuseum

Viel Kriegsgerät war von der deutschen Wehrmacht zurückgelassen, auch gab es Munitionsdepots, die nicht gesprengt worden waren. Wie Karl-Heinz Stengl, heute 90-jährig, in den 1940er Jahren wohnhaft in der Nähe des ehemaligen Vinzenzstiftes und der damaligen Maybachschule, in seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen schreibt, war das für die Kinder ein sehr gefährliches „Spielzeug“:

„Wenn wir zum Beispiel auf nicht demontierten Flugabwehrgeschützlafetten Karussell fuhren, wobei wir oft nicht wussten, ob diese noch funktionsfähig waren oder wenn wir Munitionsdepots aufsuchten und mit der Munition zündelten. Im Werner Stadtwald war ein solches verlassenes Munitionslager, aus dem wir Granaten der Kaliber 7,5 und 8,8 cm aus ihren aus Binsengeflecht bestehenden Verpackungskörben herausholten, ihnen die Granate von den Kartuschen schlugen, um an das Treibmittel zu kommen, die aus Pulversäckchen und Pulverstangen bestanden, Ja, Glück haben wir gehabt! Dass die Granaten keine Zünder trugen, war uns zu diesem Zeitpunkt unbekannt.

Weiter schreibt Stengl: „Mit den Pulverstangen konnte man tolle Raketenstarts vollziehen. Einzeln, oder gebündelt, zündeten wir ein Ende dieser Stangen an. Mit demselben Ende in die Erde gesteckt, entwickelten sie nach kurzer Zeit einen gewaltigen Schub und sausten unter lautem Zischen und enormer Rauchentwicklung in den Himmel… Und so könnte ich fortfahren, von Sprengungen mit Tellerminen, vom Abschuss einer Panzerfaust auf einen alten Lippekahn, von Pistolenschießen oder von der missglückten Sprengung eines Unterstandes am Eick.“

In diesem Bereich des Stadtwaldes, damals Stadtbusch genannt, befand sich ein geheimes Munitionslager der Nazis.
In diesem Bereich des Stadtwaldes, damals Stadtbusch genannt, befand sich ein geheimes Munitionslager der Nazis. © Jörg Heckenkamp

Aufgrund einer Direktive vom Juli 1945 waren alle Lehrkräfte, die vor Mai 1937 der NSDAP beigetreten waren, sofort zu entlassen, wenn sie aus dem Krieg oder der Gefangenschaft wieder zurückkamen. Im September, Monate nach der endgültigen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945, konnten die Schulräte der Volksschulen über die Bezirksregierungen einen Antrag auf Wiedereröffnung der Schulen an die englische Militärregierung stellen - aufgrund des Lehrermangels war ein regulärer Schulbetrieb aber nur begrenzt möglich.

So nach und nach kehrte dann wieder Ordnung ein. Die ersten Hilfskräfte der Polizei, noch ohne Uniform und mit Armbinde, versuchten mit der mittlerweile nachgerückten englischen Besatzungsmacht die zum Teil chaotischen Zustände zu ändern. Überall herrschte Mangelwirtschaft, so bei der Beschaffung von Lebensmitteln, von Brennstoffen, die oft von der Zechenhalde oder aus den umliegenden Wäldern genommen wurden, von Kleidern und vielem mehr – das Geld war nichts mehr wert. All das änderte sich erst mit der Währungsreform 1948, als es danach plötzlich wieder fast alles zu kaufen gab.