Karl-Heinz Stengl hat als Zeitzeuge seine Erinnerungen an den Krieg dokumentiert. Im Hintergrund ist die Flugabwehr der deutschen Luftwache bei Schulze-Froning in Holthausen 1940 zu sehen. © Stengl/ Förderverein Stadtmuseum

Stadtgeschichte

Der Krieg in Werne: „Nachts kamen die schweren Panzer“

Mit dem dramatischen Verlauf des Ukraine-Kriegs, wächst bei einigen die Sorge, er könne auch nach Deutschland kommen - so wie zuletzt vor rund 80 Jahren. Was genau spielte sich damals in Werne ab?

von Heidelore Fertig-Möller

Werne

, 06.03.2022 / Lesedauer: 4 min

Wenn wir jetzt täglich die schrecklichen Bilder vom Krieg in der Ukraine sehen, kann man sich vielleicht vorstellen, wie es unseren Eltern oder Großeltern ergangen ist, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, und die gegnerischen Truppen ins Deutsche Reich eindrangen, nicht nur im Osten, sondern ebenso im Westen, nach Westfalen und auch nach Werne. Deutschland unter Hitler und seinen Nationalsozialisten hatten den Krieg begonnen und schreckliches Leid über ganz Europa gebracht – jetzt rächten sich die einrückenden Truppen auch an der Zivilbevölkerung.

Seit 1943 wurden vermehrt ganze Städte und Landstriche durch Bombenabwürfe zerstört und ab Ende 1944 begannen die sowjetischen Truppen, in die östlichen Reichsteile vorzudringen. Im Westen waren es vor allem die Briten und Amerikaner, die bis zum Rhein und im Februar / März 1945 auch darüber hinaus nach Westfalen und weiter gen Osten vorstießen.

„Sie flogen oft so tief, dass wir die Piloten mit ihren Lederkopfhauben erkennen konnten“ Karl-Heinz Stengl

Die Fliegerbomben, die 1944 und 1945 auf unsere Nachbarstädte Münster, Dortmund, Hamm und auch auf Bergkamen fielen und die Innenstädte oftmals zu 95 Prozent zerstörten, flogen über Werne hinweg, da hier, außer der Zeche, kein für sie lohnendes Ziel vorhanden war. Einige wenige Bombenschäden sind aber auch in Werne dokumentiert: Am 30. August 1940 fielen auf das Gehöft Südfeld an der Selmer Landstraße die ersten Brandbomben – wenig später wurde auch der Hof Kranemann und das Wohnhaus Bücker in Varnhövel zerstört.

Tiefflieger trifft Moormanns Autohalle

Anfang 1945, vor 77 Jahren, trafen Bomben das Anwesen Högemann und am 21. März zerstörten Tiefflieger Moormanns Autohalle. Am 26. März fielen sogar Bomben auf Evenkamp – zum Glück waren es Blindgänger. Auf die Zeche Werne wurde seltsamerweise keine Bombe abgeworfen, so dass der Betrieb nach Kriegsende sofort wieder aufgenommen werden konnte.

Nur das einstige Maschinenhaus von Schacht III in Rünthe und die Zechenbahn wurden von Bomben getroffen. Wie Karl-Heinz Stengl in seinen Erinnerungen schreibt, waren die letzten Wochen vor Kriegsende, als die Front immer näher kam, für die Zivilbevölkerung besonders schlimm:

„Am Himmel reihten sich am Tage schwere Bomber in endlosen Formationen mit dem Ziel, noch nicht zerstörte Städte zu bombardieren. In Bodennähe huschten ihre Jagdflugzeuge von früh bis spät über Hecken und Zäune und schossen auf alles, was ihnen auch immer kriegswichtig erschien. Wir Kinder standen oft vor Schreck wie gelähmt, wenn sie uns beim Spielen oder auf dem Schulweg überraschten. Sie flogen oft so tief, dass wir die Piloten mit ihren Lederkopfhauben in den Kanzeln ihrer Maschinen erkennen konnten – sie verbreiteten in der letzten Phase des Krieges Angst und Schrecken. Nach solchen Erlebnissen kamen wir oft mit nasser Hose zu Hause bei Mutter an und weinten uns bei ihr aus. Was wussten wir schon von den Sorgen der Familien während der täglichen Bombenalarme. Als unsere Lehrerin dann mit fremden Kindern in unsere Klasse kam und sagte, dass es sich um Kinder ausgebombter Familien handelte, die obdachlos und geflüchtet waren, wurden wir ganz still und hofften, dass dies nicht auch uns treffen würde.“

Der Horchtrichter der Flugwache in Hotlhausen. © Archiv Förderverein Stadtmuseum

Noch am Gründonnerstag, den 29. März 1945, sprengte man kurz vor dem Eintreffen der Amerikaner nicht nur die Lippebrücke an der Kamener Straße, sondern auch die südlich von Mutter Stuff ausgelagerte Munition – es war ein riesiges Feuerwerk, das große Waldflächen einfach abrasierte.

Wie die Werner Bevölkerung den Karfreitag 1945 erlebte, als die amerikanischen Truppen nach Werne einmarschierten, kann man am besten in den Zeitzeugenberichten, die 1995 in der Geschichtswerkstatt des Museums und der VHS zusammengetragen und veröffentlicht wurden, nachlesen. Da heißt es:

„Von 3 bis 6 Uhr im Keller gesessen – auf einmal ging eine tolle Schießerei los. Dann hieß es: Der Tommy kommt - alle weißen Fahnen raus, danach wieder, die Stadt wird verteidigt, bis es um 5 Uhr dann lautete, die Stadt wird kampflos übergeben. Um 12 Uhr kam der erste amerikanische Wagen mit Soldaten vor das Stadthaus gefahren, dann kamen nachts die schweren Panzer - wir waren die ganze Nacht im Keller, es war furchtbar!“

Pater zog Amerikanern mit weißer Fahne entgegen

Durch das beherzte Eingreifen von Pater Venantius vom Kapuzinerkloster, der mit einer weißen Fahne den Amerikaner entgegenzog, gelang es, dass trotz vereinzelnder Gegenwehr von versprengten Nazis, Werne ohne Blutvergießen an die Amerikaner übergeben werden konnte.

Am Ostersonntag war in Werne dann alles vorbei und man konnte endlich wieder zu Hause ruhig schlafen, ohne Bomben, ohne Schießereien und ohne Feueralarm. Es gibt noch zahlreiche weitere Schilderungen dieser letzten Kriegstage vor 77 Jahren, die man in der Broschüre ‚Kriegsende in Werne‘ nachlesen kann – die Zeitzeugen, die darüber berichtet haben, sind leider größtenteils bereits verstorben.

Ein wenig kann man vielleicht bei diesen Schilderungen den Schrecken und die Todesangst nachvollziehen, die die Bevölkerung in der Ukraine durch den furchtbaren Krieg in ihrem eigenen Land durchmachen muss und das geschieht im 21. Jahrhundert.

Vielen Dank für Ihr Interesse an einem Artikel unseres Premium-Angebots. Bitte registrieren Sie sich kurz kostenfrei, um ihn vollständig lesen zu können.

Jetzt kostenfrei registrieren

Einfach Zugang freischalten und weiterlesen

Werden auch Sie RN+ Mitglied!

Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.

Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung

Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung durch Klick auf den Link in der E-Mail, um weiterlesen zu können.
Prüfen Sie ggf. auch Ihren Spam-Ordner.

E-Mail erneut senden

Einfach Zugang freischalten und weiterlesen

Werden auch Sie RN+ Mitglied!

Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.

Sie sind bereits RN+ Abonnent?
Jetzt einloggen