60 Jahre Freilichtbühne Werne: Unzählige Darsteller haben schon bei dem beliebten Amateurtheater mitgewirkt. Doch was macht das Ganze so faszinierend? Ein Selbstversuch soll Klarheit bringen.
Es kribbelt. Ich wippe vom einen auf das andere Bein. Dann höre ich die Eingangsmelodie. Das ist unser Zeichen. Es geht los.
Diese Nervosität, die ich gerade spüre, kann ich gar nicht richtig erklären. Eigentlich gibt es da gar keinen Grund für. Eigentlich weiß ich, was ich zu tun habe. Aber: Die Generalprobe zwei Stunden vor der Aufführung für das Stück „Die Schatzinsel“ fällt an diesem Morgen kurz aus.
„Mach einfach mit!“
Die einzelnen Szenen, in denen ich mitwirken darf, gehen wir noch einmal durch. Musik abwarten, oben von der Tribüne auf die Bühne kommen, in die Kneipe gehen und an den Tisch setzen und Rum trinken. Wobei der Rum natürlich nur kalter Eistee ohne Zucker ist. So weit, so gut.
Doch kurz bevor es ernst wird, beginne ich auf einmal zu grübeln. Wie war das noch gleich? Wo gehe ich noch einmal von der Bühne ab? „Bleib einfach an meiner Seite“, habe ich von Kimberley (18) und „Mach einfach mit“, habe ich von Simone mehrmals gehört.
Raum für Spontanität
Improvisieren ist also angesagt. Regisseur Marius Przybilla gibt klare Anweisungen, lässt aber auch genügend Spielraum für Spontanität. Als Gast auf einer Geburtstagsfeier verhalte ich mich also in etwa wie auf einer echten Party. Ich unterhalte mich mit meinen Tischnachbarn, lache, stoße an und trinke ein Gläschen. Vieles kommt von selbst.
Als Jim Hawkins plötzlich laut schreit, erschrecke ich mich. Das muss man nicht proben... Als die Schatzkarte, die einmal einem gewissen Käpt’n Flint gehört haben soll, zum Vorschein kommt, reiße ich überrascht die Augen auf. „Das kann ja wohl nicht wahr sein! Das ist ja nicht zu glauben!“ Und dann beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel.

Zu Gast bei einer Geburtstagsfeier: Hier ist Improvisieren angesagt. Lachen, anstoßen, erschrecken und Nase rümpfen. © Mario Bartlewski
Hinter den Kulissen
Für mich geht es hinter die Kulissen. Ganz locker ist die Stimmung hier. Ich sitze mit den anderen Darstellern, die gerade Pause haben, zusammen. „Wann sind wir wieder dran?“, frage ich. Es kann noch ein bisschen dauern.
Kimberley, die mich vorher frisiert und geschminkt hat und nicht von meiner Seite weicht, erzählt mir, dass sie schon in einigen Stücken der Freilichtbühne mitgemacht hat. Neben der 18-Jährigen hat sich die kleine Ronja auf einen Stuhl in der Sonne gelümmelt. Ihre Augen werden immer kleiner. Schon um sechs Uhr haben sich die Mitwirkenden und viele freiwillige Helfer an der Freilichtbühne getroffen, um alles für den Auftritt vorzubereiten.
Familiäre Atmosphäre
Bevor die ersten Schauspieler in die Maske gehen, frühstücken noch alle gemeinsam. Diese familiäre Atmosphäre zeichnet die Freilichtbühne aus. Ich fühle mich auch gleich wohl, werde für meinen Bühnenbesuch sofort freundlich in die Gemeinschaft aufgenommen. „Wie war es für dich?“, werde ich oft gefragt.
So auch nach der zweiten Szene, in der ich mitwirke. Da besuche ich einen Markt, soll mich umschauen und auf die andere Seite der Bühne laufen, um mit anderen Marktbesuchern zu plaudern. Mein sicherer Hafen ist wieder Kimberley.

Ein riesiges Schiff ist als Requisite auf der Bühne zu sehen. © Mario Bartlewski
„Du kannst einfach bei mir bleiben und mit mir von der Bühne gehen oder eben mit den anderen Mädels auf der anderen Seite.“ Eine richtig klare Ansage ist das nicht. Ich darf meinen Marktbesuch wieder nach meinem Geschmack interpretieren.
Wählerische Kundin
Erst einmal kaufe ich ein – einen Fisch bei Kimberley. Ich bin eine wählerische Kundin, lasse mir drei verschiedene Fische anbieten. Als ich mich entscheide, drückt mir Verkäufern Kimberley den Fisch in die Hand.
Und nun? Kein Beutel dabei. Egal, ich halte den Fisch einfach in der Hand und drehe mich um in die Richtung der anderen Marktbesucher. Wir winken uns zu. Ich zeige stolz meinen ergatterten Fisch. „Gehen wir jetzt wieder von der Bühne?“, frage ich leise. Noch nicht.

Endlich entschieden: Von den Marktbeschickern hat die Statistin nach langem Überlegen einen Fisch gekauft. © Mario Bartlewski
Planänderung inklusive
Erst setzen wir uns zu den spielenden Kindern am Rande der Bühne. Eine Planänderung. Aber so lange jemand an meiner Seite ist und mir sagen kann, wann es wieder für mich losgeht, bleibe ich ganz entspannt. Zum ersten Mal habe ich jetzt aber die Zeit, mich umzuschauen.
Ich sehe viele, sehr viele Mädchen und Jungen auf der Tribüne. In den ersten Reihen sind zusätzliche Bänke aufgebaut. Mit etwa 1240 Besuchern ist die Vorstellung ausverkauft. Heute steigt die Aufführung für Kindergärten und Schulklassen aus Werne und umliegenden Städten.

Die Piraten liefern sich ein Duell. © Mario Bartlewski
Spezielle Herausforderung
Es ist eine besondere Herausforderung für die Schauspieler, wie Regisseur Marius Przybilla vorher erklärt. „Man weiß nie, wie sie reagieren. Ob sie lachen, wann sie lachen oder ob sie mitmachen“, sagt er. Dieses Mal wirken die Mädchen und Jungen im ersten Teil des Stückes konzentriert.
Als Darstellerin auf der Freilichtbühne Werne
Das ist zumindest der Eindruck, den die Schauspieler mit mir hinter der Bühne teilen. „Es ist ein Stück, bei dem man aufpassen muss, um die Geschichte verfolgen zu können“, sagt ein Darsteller. Er schmunzelt. „Gleich wird das anders. Dann knallen die Kanonen.“ Wie wird die Reaktion dann sein?
Applaus und Autogramme
Wir sind so gespannt wie ich bei meinem ersten Schritt auf die Bühne. Dann kracht es. Geschrei auf der Tribüne. Gelächter hinter der Tribüne. „Und jetzt, noch ein Knall!“, sagt ein Darsteller hinter den Kulissen. Wieder ist die Reaktion der Kinder gut zu hören – sehr zur Freude der Darsteller.
Es ist der Höhepunkt des zweistündigen Theaterstückes. Zum Abschluss bin ich noch einmal auf der Bühne, um die Rückkehr der Abenteurer zu feiern. Danach werden die 30 Darsteller gefeiert. Mit langem Applaus, „Zugabe“-Rufen und Autogramm-Wünschen. Und es kribbelt wieder.
- Sonntag, 7. Juli, 16 Uhr
- Mittwoch, 7. August, 16 Uhr
- Samstag, 10. August, 19.30 Uhr
- Karten (Kinder 6 Euro und Erwachsene 8 Euro) gibt es im Büro der Freilichtbühne, Ovelgönne 28, Tel. (02389) 532696; bei Bücher Beckmann, Magdalenenstraße 2; in der Tourist-Info, Markt 19; bei Spielen und Träumen, Südkirchener Straße 1, Selm; Reisen-Lotto Corinna Stammer, Münsterstraße 85, Lünen; in der Tourist-Info Nordkirchen, Schlossstraße 11, Nordkirchen; sowie per E-Mail an info@freilichtbuehne. de oder im Internet unter www.freilichtbuehne-werne.de
Lebt und arbeitet gerne digital - egal, ob mit Texten, Fotos oder Videos. Hat in Essen Literatur und Medienpraxis studiert, arbeitet seit 2014 bei den Ruhr Nachrichten und ist seit 2018 als Redakteur in Werne tätig.
