Weihnachtsmusik ertönt aus den Räumen der Musikschule Margarita an der Capeller Straße. „Last Christmas“ von Wham. Ein Ohrwurm, der manche Leute nervt, bei anderen für Belustigung sorgt - bei dem aber definitiv jedem klar wird, dass spätestens jetzt die besinnliche Adventszeit begonnen hat. Die Jugendlichen, die hier gerade proben, scheinen tatsächlich eher in nachdenklicher Stimmung zu sein. Das hat einen traurigen Grund.
Als sie eine Pause einlegen, lassen sich Olexander (13), Victoria (12), Zlata (12) und Mykola (18) auf eines der Sofas in der Zimmerecke fallen. Sie kommen ursprünglich aus Kiew und leben nun schon seit Ende Februar beziehungsweise Anfang März in Werne, besuchen eine Schule und haben eigene Wohnungen. Geflohen sind sie damals vor dem Krieg in ihrer Heimat. Viele ihrer Freunde und Verwandten – darunter auch Cousinen, Tanten und Großmütter – sind dortgeblieben. Manche konnten nicht anders, manche wollten nicht.
„Wir haben aber noch Kontakt zu ihnen. Sie haben sich an den Krieg gewöhnt, gehen arbeiten und leben halt weiter ihr Leben. Es ist für sie Routine geworden“, sagt Victoria. Dann fällt ihr Olexander ins Wort: „Eigentlich wollen wir auch zurück nach Hause, weil wir unsere Heimat vermissen. Aber wir können nicht, weil es zu gefährlich ist. Das liegt alles an ihm.“
Mit „ihm“ ist Wladimir Putin gemeint. Wenn die Jugendlichen vom Krieg in ihrer Heimat sprechen, dann ist immer nur von „ihm“ die Rede. Nicht Russland habe ihr Land angegriffen, sondern er, der tyrannische Präsident, sagen sie.
Die ersten Tage des Überfalls
An die ersten Tage des Überfalls auf die Ukraine können sie sich noch gut erinnern. Kurz vor dem Beginn der „Schlacht um Kiew“ am 24. Februar sei die Stimmung in ihrer Heimatstadt schon angespannt gewesen. Aber nur die wenigsten hätten ernsthaft geglaubt, dass wirklich ein Krieg ausbrechen würde.
Als dann die ersten Schüsse und Explosionen zu hören waren, brach ganz plötzlich „extreme Panik“ aus, erinnert sich Mykola. Menschen flüchteten in Scharen, die Straßen waren schnell überfüllt. Nicht nur im unmittelbaren Umfeld von Kiew: „Wir haben für eine Strecke von 120 Kilometern sieben Stunden gebraucht.“

Obwohl sie noch sehr jung sind, wirken die Jugendlichen gefasst, als sie über ihre Erfahrungen sprechen. Musikschulleiterin Margarita Lebedkina glaubt zu wissen, woran das liegt: „Diese Kinder sind erwachsen geworden. Weil sie sich mit Problemen auseinandersetzen mussten, die man als Kind eigentlich noch nicht hat. Sie bekommen auch jetzt noch alles mit, was in ihrem Land passiert.“
Die 43-Jährige unterrichtet derzeit 22 ukrainische Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 18 Jahren. Sie alle sind vor dem Krieg geflüchtet, kamen teils traumatisiert in Deutschland an. Nun spielen sie Instrumente wie Klavier und Gitarre. „Manche Kinder haben anfangs nicht gesprochen und waren schreckhaft. Eines der Mädchen konnte auch keine Trommel schlagen“, sagt Lebedkina. Den Grund dafür könne man sich denken.
Musik hilft bei der Integration
Die Musik helfe den Kindern und Jugendlichen aber auch, ihre Erlebnisse zu verarbeiten und sich auszudrücken - vor allem, wenn es mit der Sprache noch ein bisschen hapert. „Durch die Musik können die Kinder und ihre Eltern Kontakte zu anderen knüpfen. Das hilft bei der Integration“, sagt Lebedkina. Sie organisiert schon seit Beginn des Krieges Hilfen für Betroffene, unterstützt beim Umgang mit Behörden und bei der Wohnungssuche.
Aktuell sucht sie wieder eine Wohnung für eine Mutter mit Kind. Deren Verwandte sind ebenfalls in der Ukraine geblieben. Dort, wo die Adventszeit in diesem Jahr alles andere als besinnlich ist. Und das liegt vor allem an „ihm“.
- Seit Mai bekommen ukrainische Flüchtlinge durch Stipendien finanzierten Unterricht in der Musikschule Margarita. In Tsimafei Birukous Projekt „Musik für Frieden“ erhalten die Kinder wöchentlichen Bandunterricht. Margarita Lebedkina unterrichtet zusammen mit den ukrainischen Flüchtlingen Oksana Bohoml und Mykyta Poltavtzev Gesang, Musiktheorie und Gitarre. Das gesamte Projekt wird vom Landesmusikrat und dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen finanziert.
- Beim Projekt „Piano Frieden Welt“ werden Kinder von 3 bis 7 Jahren und auch deren Eltern spielerisch in Gruppen unterrichtet. Am 23. Dezember findet um 17 und um 18.30 Uhr im Musiksalon an der Capeller Straße 43 ein dazugehöriges Konzert statt.
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