
© Felix Püschner
FDP-Kandidat Slunjski: Vom falschen Bahnsteig in den Bundestag
Bundestagswahl 2021
Wenn er in den Bundestag gewählt wird, möchte Lucas Slunjski (26) aus Hamm idealerweise mit dem ICE nach Berlin pendeln. Für einen Rollstuhlfahrer könnte das aber schwierig werden, sagt er.
Wenn Lucas Slunjski (26) mit dem Zug unterwegs ist und am Bahnhof ankommt, gestaltet sich die Weiterreise für ihn oftmals zu einer Art Glücksspiel. Gibt es am Bahnsteig einen Aufzug? Und wenn ja - funktioniert der auch? Was das betrifft, hat der Rollstuhlfahrer, der für die FDP im Wahlkreis Hamm - Unna II kandidiert, bereits mehrfach schlechte Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel am Bahnhof Köln Messe. Statt eines Fahrstuhls gab‘s dort lediglich einen Ratschlag vom Bahnpersonal: „Fahren Sie doch weiter bis zum Hauptbahnhof und rollen Sie dann die zwei Kilometer zurück.“
Einen ähnlichen „Tipp“ erhielt er auch schon mal gegen 0.30 Uhr am Bahnhof in Hamm. „Der Aufzug am Bahnsteig war defekt. Also sollte ich mit dem nächsten Zug nach Dortmund und von dort aus wieder zurückzufahren - in der Hoffnung, dass ich dann an einem anderen Gleis ankomme“, erinnert sich der 26-Jährige. Kaum verwunderlich, dass eines seiner zentralen politischen Themen die Barrierefreiheit ist.
Slunjski sitzt bereits seit seinem 5. Lebensjahr im Rollstuhl. Die Querschnittslähmung ist die Folge eines Verkehrsunfalls. „Ich denke, es ist leichter, wenn so etwas in ganz jungen Jahren passiert. Ich habe meine ganze Schulzeit im Rollstuhl erlebt. Und heute ist zum Glück auch vieles möglich. Ich konnte zum Beispiel 2015 meinen Führerschein machen und fahre jetzt einen umgebauten Bulli“, sagt der FDP-Politiker.
Möglich ist tatsächlich vieles. Vor allem in der Theorie. Woran es hapert, ist oftmals die Praxis. Auch abseits von Bahnhöfen. Zum Beispiel mit Blick auf öffentliche Toiletten. Die zu finden sei nicht nur in seiner Heimatstadt Hamm schwierig. Von barrierefreien Toiletten ganz zu schwiegen.

Das Wahlplakat des FDP-Kandidat ziert der Satz "Barrierefreiheit beginnt im Kopf - Wie frei bist du?" © Felix Püschner
Über das kleine und große Geschäft redet man in der Politik ungern
„Über das kleine und große Geschäft redet man in der Politik eben nicht ganz so gerne“, sagt Slunjski mit einem Schmunzeln: „Aber das sind ganz alltägliche, reale Probleme.“ Und für diese gebe es nicht nur recht simple Lösungen, sondern zudem Fördergelder. Nur werden die nicht immer abgerufen. Manchmal wohl schlichtweg aus Unwissenheit. In anderen Fällen vielleicht sogar aus Sorge vor den bürokratischen Hürden. Das war auch in Slunjskis Schulzeit der Fall.
Um in den Informatikraum zu gelangen, waren fünf Treppenstufen zu bewältigen. Seine Klassenkameraden mussten ihn immer wieder hochtragen. Die Lehrer durften das aus versicherungstechnischen Gründen nicht. Und ein Treppenlift war zu teuer, hieß es. „Bis ich dann irgendwann runtergefallen bin. Drei Wochen später war der Treppenlift plötzlich da“, sagt der Finanzbeamte und schüttelt den Kopf. Es sei schon verrückt, dass häufig erst so etwas passieren muss, damit wirklich gehandelt wird.
Dabei beschränke sich der Kreis derjenigen Menschen, die von solchen Maßnahmen profitieren, ja nicht bloß auf Rollstuhlfahrer. Auch Senioren mit Rollatoren und Eltern mit Kinderwagen hätten schließlich etwas davon, wenn es weniger Treppenstufen oder zumindest alternative Zugangsmöglichkeiten gibt.
Das und der Mangel an barrierefreiem Wohnraum sind aber nicht die einzigen Dinge, die den FDP-Kandidaten stören: „Noch viel mehr stören mich eigentlich die Vorurteile gegenüber Behinderten. Ein Rollstuhl wird beispielsweise oft mit einer geistigen Behinderung assoziiert. Aber es gibt so viele Formen der Behinderung. Man kann nicht einfach alle Leute in einen Topf werfen.“ Dazu passt sein Wahlkampfmotto: „Barrierefreiheit beginnt im Kopf – wie frei bist du?“
Slunjski könnte diese Dinge bald auf der großen Bühne im Bundestag ansprechen - auch wenn er weit davon entfernt ist, sich als Favorit in seinem Wahlkreis zu sehen. Bislang konnte er für seine Themen „nur“ auf kommunalpolitischer Ebene werben. Zum Beispiel im Behindertenbeirat der Stadt Hamm oder im Ausschuss für Verwaltungsmodernisierung.
Mit Modernisierung hat auch das zweite große Thema des Hobby-Fotografen zu tun: die Digitalisierung. Und die fängt schon in der Schule an. Als Slunjski davon spricht, mischt sich zum ersten Mal so etwas wie eine Politiker-Floskel in seine Erzählung ein. „Das ist ein Thema, das uns weiterhin begleiten wird...“ Kaum hat der 26-Jährige diesen Satz gesagt, meldet sich plötzlich die Smart-Watch an seinem Handgelenk. „Ich bin mir nicht sicher“, ertönt es aus dem Gerät. Slunjski muss lachen.
Schnelles Internet für Schulen und Unternehmen
Dann spricht er wieder Klartext: „Wenn der Overhead-Projektor im Unterricht immer noch der Standard ist und man als IT-Experte gilt, weil man eine E-Mail mit Anhang verschicken kann, dann läuft definitiv irgendetwas falsch.“ Viele Lehrer müssten sich noch mehr öffnen für den Unterricht mit digitalen Medien, fordert Slunjski. Und wo es noch an der nötigen Hardware und Software fehle, müsse man diese natürlich schnellstmöglich anschaffen.
Genauso konsequent müsse man den Ausbau mit schnellen Internet vorantreiben. Denn davon hänge in Zukunft vieles ab. „Zum Beispiel, ob sich Unternehmen überhaupt in bestimmten Regionen ansiedeln“, sagt Slunjski. Womöglich sind das dann sogar Firmen, die Aufzüge für Bahnhöfe bauen.
Geboren 1984 in Dortmund, studierte Soziologie und Germanistik in Bochum und ist seit 2018 Redakteur bei Lensing Media.
