Es war ein Familienbesuch, zu dem Psychologe Dr. Omar Chehadi aus Werne am Anfang Februar 2023, ins türkische Gaziantep aufgebrochen ist. Fünf Tage später wollte wollte er zurückfliegen. Da bebte mit unvorstellbarer Wucht in der Nacht zu Montag, 6. Februar, die Erde und ließ ihn in der Großstadt stranden. Chehadi und seine Familie blieben unverletzt. Zumindest äußerlich. Innerlich sieht es wohl anders aus. „Es war ein Schock“, sagt Chehadi und fügt an: „Es war wie ein Albtraum.“
Eine Woche nach den verheerenden Erdstößen sprechen wir mit dem 42-Jährigen per Whatsapp-Verbindung. Die ist gut und stabil. „Die Handy-Kommunikation hat bis auf kleine Aussetzer immer funktioniert“, sagt Chehadi. Das habe zum Beispiel dafür gesorgt, dass ein Bekannter seiner Familie sowie dessen Frau aus den Trümmern ihres Wohnhauses geborgen werden konnten. „Er hatte sein Handy in der Hand, als der Fußboden einbrach. Unter den Trümmern liegend hat er seinen Bruder angerufen. Man konnte die beiden leicht verletzt retten.“
Verheiratet in Werne
Chehadi ist mit Angela Chehadi-Köster aus Werne verheiratet. Sie haben zwei kleine gemeinsame Kinder, wohnen in der Lippestadt. Der Psychologe arbeitet mit seiner Frau in einer gemeinsamen Psychologischen Praxis sowie an der Ruhr-Universität in Bochum. Chehadi ist Syrer, kam 2001 nach Deutschland. Seine Familie blieb zunächst in Syrien und flüchtete vor dem Bürgerkrieg ins türkische Gaziantep. Dort wollte Omar Chehadi seine Eltern, seine drei Brüder und deren Familien besuchen. Aus der Familie-Idylle wurde ein Albtraum.
Omar Chehadi erinnert sich. Er war in der Wohnung seines jüngsten Bruders untergebracht, bei dem auch die Eltern leben. Um 4.17 Uhr erbebte plötzlich der Boden. „Wir schliefen im Erdgeschoss. Ich dachte erst, es sei ein Traum. Die Erde schüttelte sich eine gefühlte Ewigkeit.“ Später habe er erfahren, dass es rund zwei Minuten waren.

Fliesen von der Wand gebrochen
Alle waren aus dem Schlaf gerissen, waren konfus, schrien. Chehadi ging, aus welchem Grund auch immer, ins Badezimmer. „Dort waren Fliesen von der Wand gebrochen und regelrecht zerborsten.“ Er bekam Angst, hastete hinaus mit der Familie ins Freie. Aus Angst, dass das mehrstöckige Gebäude über ihnen zusammenbricht. Die ganze Familie, bestehend aus zehn Personen, quetschte sich in einen Kombi. Sie wollten nur noch weg. „Irgendwo ins Freie“, sagt der 42-Jährige.
Sie fuhren zu einer Art Stadtpark. Immer wieder Nachbeben, Einwohner, die auf die Straßen geflüchtet waren. „Es lag noch Schnee, gleichzeitig regnete es, es war kalt. Schrecklich“, erinnert er sich. Dazu die Sorge um die anderen Familienmitglieder. Zum Glück funktionierten die Handys. Den beiden anderen Brüdern geht es gut. „Gott sei Dank, niemandem aus meiner Familie ist etwas passiert.“

Unbeschreibliches Chaos
In einem unbeschreiblich Chaos aus Feuerwehr, Krankenwagen, flüchtenden Menschen, Kälte und Nachbeben verbrachten sie die Nacht im Auto. Am nächsten Morgen hatte jemand die Idee, zu einem Gebäude einer privaten Hochschule außerhalb der Stadt zu fahren. „Dort sind wir dann zunächst provisorisch untergekommen.“ Kein Strom, kein Gas, Winterkälte. Wegen der zahlreichen Nachbeben habe die Familie zwei Nächte im Auto geschlafen. „Das war ganz schlimm.“
Als sich die Lage etwas beruhigt hatte, habe die Familie Matratzen und Decken aus der Wohnung in das große Gebäude der Hochschule geholt. „Parallel dazu starteten wir unsere Hilfsarbeit“, sagt Omar Chehadi. Der Vorteil: Sein Bruder habe vor einigen Jahre die Hilfsorganisation „Orange“ gegründet, um sich um syrische Flüchtlinge in der Türkei zu kümmern. Nun wurde alles auf die Erdbeben-Bewältigung umgestellt. „Mein Bruder kennt viele andere Organisationen. Es kam schnell System in die Sache.“

Helfer im Erdbeben-Gebiet
Und so wurde Omar Chehadi aus Werne, der eigentlich am 7. Februar zurückfliegen wollte, zum Helfer vor Ort. „Es wurde viel gespendet. Wir haben alles in den Räumen der Hochschule gesammelt und sind dann im Jeep meines Bruders losgefahren, um Decken oder Lebensmittel zu verteilen“, sagt er. Obwohl die Zerstörungen in Gaziantep nicht ganz so massiv sind wie in anderen Regionen, würden auch dort viele Menschen Not leiden.
Viele schlimmer sei es aber beispielsweise auf der anderen Seite der türkisch-syrischen Grenze. „Mein Bruder ist in einem Konvoi dorthin gefahren, um Hilfsgüter zu verteilen. Dort ist alles dem Erdboden gleich gemacht.“ In der türkischen Großstadt sei zwei Tage nach dem Beben der Strom wieder geflossen. Gas war eine Woche unterbrochen. „Das war die größte Sorge, weil es so kalt ist.“ Aber am Sonntag, 12. Februar, war Gaziantep wieder ans Gasnetz angeschlossen. „Das war die erste warme Nacht“, berichtet der Werner am Montagmorgen im Gespräch mit der Redaktion.
Flug in die Heimat gebucht
Die Lage normalisiert sich allmählich. Omar Chehadi erzählt, dass er einen Flug in die Heimat für Dienstag, 14. Februar, buchen konnte. Er hofft weiterhin auf Spendenbereitschaft, auch von den Menschen in Werne und Umgebung. „Geld wäre am besten, denn Waren gibt es vor Ort und die sind billig zu erstehen.“ Das gehe schneller, als wenn man Sachspenden per Lkw in die Katastrophengebiete karren würde.
Omar Chehadi ist promovierter Psychologe, spezialisiert auf Schmerz und Trauma. Wie geht er selbst mit dieser Grenzerfahrung um? „Bisher kannte ich nur theoretisch, was meine Patienten erleiden: Schock, Entsetzen, Bewegungs-Unfähigkeit. Jetzt habe ich es am eigenen Leib erfahren.“
Spenden-Möglichkeit
Omar Chehadi sagt: „Vermehrt haben wir Anfragen erhalten, ob man mir das Geld direkt überweisen kann, da bei Auslandsüberweisungen in die Türkei Gebühren anfallen. Wer möchte, kann seine Spende daher mit dem Verwendungszweck „Orange Erdbeben Hilfe“ auf das Konto des Vereins Wissen ohne Grenzen e.V. überweisen.
IBAN: DE074 305000 1003343 4994.
Das Geld werde ich gesammelt überweisen.“
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