Zähne mit vier Wurzeln, serienweise Zähne ziehen und eine Odyssee zum Anfang: Mit vielen Eindrücken ist Dörte Oesterschulze (28) von dem zahnärztlichen Einsatz auf Madagaskar zurückgekehrt.

von Andrea Wellerdiek

Werne

, 22.05.2019, 17:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Wo soll man nur anfangen? Wenn Dörte Oesterschulze von ihrem freiwilligen, zahnärztlichen Einsatz in Madagaskar berichtet, weiß die 28-Jährige gar nicht so recht, womit sie anfangen soll.

Zu viele Eindrücke hat die Zahnärztin bei ihrem dreiwöchigen Aufenthalt für die gemeinnützige Hilfsorganisation „Planet Action - Helfende Hände“ in dem Entwicklungsland gesammelt. So beginnt sie zunächst in chronologischer Reihenfolge mit der Anreise, die aber alles andere als planmäßig verlief.

Unfreiwillige Einreise in Kenia

„Das war die reinste Katastrophe. So etwas habe ich noch nie erlebt“, erzählt Dörte Oesterschulze. Nach dem Flug von Dortmund über Amsterdam nach Nairobi hatte sie gemeinsam mit ihren Kollegen von „Planet Action“ einen Aufenthalt von sechs Stunden.

15 Minuten bevor es weiter in Richtung Madagaskar gehen sollte, wurde der Flug gestrichen. „Dann hat man uns gesagt, dass wir in ein Hotel kommen. Dafür mussten wir aber noch einmal durch die Passkontrolle, um in Kenia einreisen zu dürfen“, erzählt die 28-Jährige, die nun auch über ein Visum für Kenia verfügt.

Dörte Oesterschulze und ihr Team aus Deutschland.

Dörte Oesterschulze und ihr Team aus Deutschland. © Dörte Oesterschulze

Halber Tag Verspätung

Irgendwann ging es dann für drei Stunden ins Hotel, ehe die Gruppe am Abend wieder zum Flughafen gefahren wurde. „Als ich endlich im Flugzeug nach Madagaskar saß, habe ich mal die Augen zugemacht.“

Um 2 Uhr guckte sie wieder auf die Uhr. Da stand das Flugzeug immer noch im Flughafen von Nairobi. Mit einem halben Tag Verspätung kam sie schließlich in Antananarivo, der Hauptstadt von Madagaskar, an.

Behandlung unter besonderen Umständen: Während Dörte Oesterschulze (2.v.r.) einen Patienten behandelt, sorgen die Kollegen - unter anderem mit dem Smartphone - für die richtige Beleuchtung.

Behandlung unter besonderen Umständen: Während Dörte Oesterschulze (2.v.r.) einen Patienten behandelt, sorgen die Kollegen - unter anderem mit dem Smartphone - für die richtige Beleuchtung. © Dörte Oesterschulze

Von Zahnreinigung bis Serien-Extraktion

Nach der Odyssee, bei der Dörte Oesterschulze zwischenzeitlich schon daran gedacht hatte, alles hinzuschmeißen, baute sie mit ihrem Team tags darauf die zahnärztliche Praxis auf. Was die junge Wernerin dann bei den Behandlungen erlebte, wird sie genauso wenig vergessen wie die chaotische Anreise.

„Kinder hatten keine Schuhe an. Entsprechend sahen ihre Füße aus. Da konnte man gar nicht hingucken“, sagt Dörte Oesterschulze.

Gleichzeitig zeigte sich in der Hauptstadt aber auch, dass die Menschen teilweise schon regelmäßig zur zahnärztlichen Behandlung gehen. So kamen auch einige Einwohner lediglich für eine Zahnreinigung oder zur Kontrolle zu Dörte Oesterschulze und ihrem Team.

Insgesamt 465 Patienten behandelt

Deutlich dramatischer stellte sich die Situation allerdings eine Woche später in dem Dorf Fandriana dar. Hier haben einige Menschen noch nie eine Zahnbehandlung bekommen. Zweimal wöchentlich kommt lediglich eine Zahnärztin in das Dorf. Das Team von „Planet Actiont“ hat 260 Patienten behandelt. Insgesamt mussten hier 1043 Zähne gezogen werden (zum Vergleich: In der Hauptstadt wurden 205 Patienten und 541 Extraktionen gezählt).

„Da mussten wir teilweise serienweise Zähne ziehen - wirklich von dem einen Weisheitszahn bis zur anderen Seite des Kiefers“, erzählt Dörte Oesterschulze. Bei einem Patienten wurden etwa 16 Zähne gezogen.

„Zum Glück hatten wir Absauganlagen zur Verfügung. Denn 16 offene Wunden bluten ziemlich viel“, sagt Oesterschulze.

Auf einer Terrasse wurde im Dorf Fandriana die „Praxis“ aufgebaut.

Auf einer Terrasse wurde im Dorf Fandriana die „Praxis“ aufgebaut. © Dörte Oesterschulze

Fliegen im Behandlungsbesteck

Die Behandlungen fanden allesamt auf einer Terrasse am Haus des Generals statt. „Man darf nicht zart besaitet sein. Ich hatte auch schon mal Fliegen zwischen dem Besteck“, erzählt Dörte Oesterschulze. Man habe die Patienten so hygienisch wie es unter diesen Umständen nur möglich war behandelt.

Von etwa 9 bis 17.30 Uhr ohne große Unterbrechungen fanden die Behandlungen statt. Bis zu 80 Patienten habe man am Tag behandelt, so Oesterschulze. Dabei hat die 28-Jährige Zähne mit außergewöhnlichen Wurzel-Anatomien zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen.

Backenzähne mit vier Wurzeln

„Da gab es Backenzähne im Unterkiefer mit vier Wurzeln. Normal sind zwei“, erklärt die Zahnärztin. Bei ihren Behandlungen in Werne bereitet sie sich mit Röntgenbildern vor. Die gibt es auf Madagaskar natürlich nicht. Eine von vielen Herausforderungen bei diesem speziellen Einsatz.

Schmerzhaft mit anzusehen war auch der Karies-Befall von Milchzähnen. „Die Zähne, die nachkommen, werden sicherlich auch wieder Karies haben“, sagt Oesterschulze.

Bild mit der Drohne: Das Team von „Planet Action“ mit einigen Patienten.

Bild mit der Drohne: Das Team von „Planet Action“ mit einigen Patienten. © Dörte Oesterschulze

„Tropfen auf den heißen Stein“

Die Behandlung von Kindern bleibt ihr besonders in Erinnerung. Als sie bei einem zwölfjährigen Jungen mehrere Zähne entfernen musste und er dabei die ganze Zeit geweint hatte, ist auch Dörte Oesterschulze an ihre Grenzen gestoßen. „Er hatte richtig Angst. Irgendwann musste ich auch mitweinen“, sagt die 28-Jährige und hält kurz inne.

Sie beschreibt, dass die Einsätze der Hilfsorganisation „Planet Action“ - so wichtig sie auch sind - eigentlich „ein Tropfen auf den heißen Stein“ bedeuten. Viel mehr Hilfe zur Selbsthilfe müsste in dem Entwicklungsland passieren, viel mehr vorbeugende Maßnahmen für die Zahngesundheit müssten erfolgen.

Zwei Wochen lang taten Dörte Oesterschulze, vier weitere Zahnärzte und drei Zahnarzthelferinnen aus Deutschland ihr Möglichstes, um möglichst vielen Menschen zu helfen, um ihnen die Schmerzen zu nehmen.

Tour durch den Urwald

Nach ihrem Einsatz nutzte die Wernerin noch die Möglichkeit, das Land zu erkunden. Sie besuchte Naturreservate und machte eine Tour durch den Urwald. Chamäleons, Lemuren und andere exotische Tiere konnte sie aus nächster Nähe sehen.

Unvergesslich bleiben neben der Natur und den Tierbeobachtungen aber auch die Temperaturen. „In einer Nacht konnte man die Luft schneiden. Da hatten wir eine Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent“, erzählt Dörte Oesterschulze.

Gemischte Gefühle bei der Rückkehr

Dazu kamen viele Mücken. Um sich vor den Insekten und anderen Krabbeltieren zu schützen, schlief Oesterschulze jede Nacht in einem Schlafsack mit Moskitonetz. „Das war sehr beruhigend. Ich habe mich damit sicherer gefühlt“, sagt sie.

Dörte Oesterschulze blickt zwei Wochen nach ihrer Rückkehr in Werne mit gemischten Gefühlen zurück. Sie hat mit ihrem Engagement Gutes geleistet, doch wie nachhaltig der Einsatz war, muss sich zeigen. Klar ist für die 28-Jährige aber, dass es nicht der einzige Einsatz dieser Art für sie war.

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Dörte Oesterschulze (28) vor ihrer Abreise: Mit im Gepäck hatte sie ein gefülltes Impfbuch, ein Zeige-Wörterbuch und viel Behandlungsmaterial.

Dörte Oesterschulze (28) vor ihrer Abreise: Mit im Gepäck hatte sie ein gefülltes Impfbuch, ein Zeige-Wörterbuch und viel Behandlungsmaterial. © Andrea Wellerdiek

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