Achteckige Sakristei des Star-Architekten in Werne vor dem Abriss Pläne für Neubau nach Dauerstreit

Achteckige Sakristei vor dem Abriss: Gemeinde stellt Pläne für Neubau vor
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Die Sakristei der altehrwürdigen Kirche St. Christophorus im Herzen von Werne hat Ecken und Kanten - genau acht. Daran stoßen sich Betrachter seit 25 Jahren - seitdem 1999 der moderne Neubau neben der gotischen Kirche seiner Bestimmung übergeben worden war. Nicht nur die Ecken eckten an, sondern auch das Baumaterial: im Wesentlichen Stahl und Beton. Schnell war die Rede vom Ufo, vom Raketensilo, vom Fremdkörper auf dem beschaulichen Kirchplatz. Die Zeiten, als Kirche so anstößig daherkam, sind auch in Werne bald vorbei. Wie sie sich künftig auf dem Kirchplatz präsentieren will, wird am Donnerstag (12. September, 19 Uhr) verraten.

Alle Interessierten seien dann eingeladen zur Vorstellung der Neubaupläne für eine neue Sakristei, heißt es auf der Homepage der katholischen Kirchengemeinde. Diese Versammlung wird auf der anderen Seite der Kirche stattfinden, der dem polarisierenden Metallkörper abgewandten Teil des Kirchplatzes: in einem der prägendsten Fachwerkhäuser der Stadt, dem mehr als 300 Jahre alten Pfarrheim. Auf so ein stolzes Alter wird es die Sakristei auf der anderen Seite nicht mehr bringen. Überregionale Beachtung hat sie aber längst gewonnen - nicht nur wegen des Streits um ihre inzwischen besiegelte Zukunft.

Prof. Dr. Stephan Böhm, ältester Spross der international renommierten Architekturdynastie Böhm (‚Die Böhms – Architektur einer Familie‘ lief 2020 im Kino), ist der Schöpfer des umstrittenen Gebäudes. „Mit großer Selbstverständlichkeit steht ,Böhm‘ für gutes Bauen. Bauen, das nicht auf Rendite und Spektakel schielt, sondern noch die Architektur als solche vor Augen hat“, ist in der Architekturfachzeitschrift DBZ (Deutsche Bauzeitschrift) zu lesen. Stephan Böhm wolle Architektur machen, die einen „ergreift“, die Emotionen weckt, keine sachlich-kühle Gebrauchsarchitektur.

Sanierung wäre unwirtschaftlich

Beispiele dafür füllen ganze Bildbände für Architektur: Fotos von der rot eingefärbten Zentrale der Kölner Berufsfeuerwehr mit runder Leitzentrale und langgestreckter Feuerwehrschule oder von dem Biosphärenhaus in Fischbach, das als ein Projekt der Weltausstellung Expo angelegt war, mit massivem Sockel aus rötlichem Beton und quadratischem Glaskubus. Oder eben von dem Oktaeder in Werne, der an eine mehrstöckige Mondlandekapsel erinnert, aus der ein gläserner Gang in die Kirche führt.

Unkonventionell nennen das Böhms Bewunderer, unzweckmäßig seine Werner Kritiker. Durchgesetzt hat sich die zweite Gruppe - nicht etwa mit Argumenten, die die hehre Kunst betreffen, sondern den schnöden Mammon. Es geht um Sanierungskosten für den im Laufe der Jahre undicht gewordenen Baukörper. Ein Gutachten, das Bistum und Gemeinde in Auftrag gegeben hatten, spricht von immensen Ausgaben: „unwirtschaftlich“, wie es heißt.

Die Sakristei in Werne, in der liturgische Kleidung und Gegenstände der Pfarrgemeinde St. Christophorus aufbewahrt werden, bietet mehr Platz, als man denkt. Es gibt ein Untergeschoss, das bestehen bleiben soll. Darauf soll der Neubau entstehen.
Die Sakristei in Werne, in der liturgische Kleidung und Gegenstände der Pfarrgemeinde St. Christophorus aufbewahrt werden, bietet mehr Platz, als man denkt. Es gibt ein Untergeschoss, das bestehen bleiben soll. Darauf soll der Neubau entstehen. © Sylvia vom Hofe

Die Mängelliste liest sich niederschmetternd: „Die gesamte oberirdische Konstruktion von Sakristei und Verbindungsgang ist baukonstruktiv vielfältig mangelhaft.“ Für eine „sinnhafte Sanierung“ müsse die bestehende Konstruktion „weitgehend zurückgebaut und grundlegend neu errichtet werden“. Eine solche Sanierung sei „nicht ohne eine sichtbare Veränderung des Erscheinungsbildes möglich“, die „ästhetisch als Verschlechterung empfunden“ werde. Und außerdem eben viel zu teuer.

„Schweren Herzens“ hatte sich der Kirchenvorstand und das Bistum Münster 2020 dafür ausgesprochen, dem gutachterlichen Rat zu folgen und das ungeliebte Gebäude „bis zur Oberkante der Kellergeschosswände zurückzubauen und eine neue Konstruktion auf diesem Fundament zu errichten, die von vornherein unter Beachtung der anerkannten Regeln der Technik konstruiert wird.“ Und wohl auch eine, die die Betrachtenden nicht so sehr herausfordert.

„Schockiert“ nicht nur in Werne

Wie die aussehen kann, wird erstmals am Donnerstagabend zu sehen sein. Einer, der - ganz unabhängig vom neuen Entwurf - nicht mit dem Vorgehen einverstanden sein dürfte, ist Stephan Böhm. Der inzwischen 74-Jährige, der bis 2016 an der Universität Münster lehrte, hatte die Gesprächsangebote ausgeschlagen, die der Entscheidung vorangingen, sagt der Kirchenvorstand. Man habe ihn nach dem Auftreten der Mängel nicht zu Rate gezogen, wie es der „selbstverständlichste Schritt“ gewesen sei, sagt Böhm. Er sei „nicht wenig schockiert“ über das Ausmaß der „erschreckenden Ablehnung der Architektur der Sakristei von St. Christophorus“.

Nicht nur in Werne muss er sich über das mangelnde Verständnis für Architektur ärgern, sondern aktuell auch in Speyer. Dort hatte er Ende der 1980er-Jahren zusammen mit seinem Vater Gottfried, dem bisher einzigen Deutschen, der den international renommierten Pritzker-Preis, eine Art Nobelpreis für Architektur, erhalten hat, die Altstadt im Bereich der Maximilianstraße umgestaltet: damals ein bundesweiter Siegerentwurf, heute etwas, das die Verantwortlichen ändern wollen. Böhm sieht darin eine Verletzung seines Urheberrechts: etwas, dem die Stadt Speyer widerspricht. Noch rollen dort nicht die Bagger. Wann das in Werne der Fall sein wird? Die Gemeinde verspricht Neuigkeiten am Donnerstag.

Ein Blick aus der Sakristei durch das achteckige gläserne Dach: Der Blick fällt gen Himmel und auf die Kirchturmspitze.
Ein Blick aus der Sakristei durch das achteckige gläserne Dach: Der Blick fällt gen Himmel und auf die Kirchturmspitze. © Sylvia vom Hofe