Es ist bequem, mal eben ein Teil im Internet zu bestellen. Doch für inhabergeführte Geschäfte wie von Christof Schmersträter bedeuten Amazon, Zalando und Co. Probleme - auch in Werne.
Entspannt sitzt Christof Schmersträter hinter dem Verkaufstresen seines gleichnamigen Herrenmodegeschäfts. Vor ihm stehen große Pakete mit neuer Ware, die er auspackt. Es ist Unterwäsche, die der Inhaber genau begutachtet. Die Qualität muss stimmen, sonst kommen die Produkte nicht in die Regale. Doch als ein Kunde das Geschäft betritt, legt er die neue Ware beiseite.
„Hallo Christof“, schallt es durch den Verkaufsraum. Man kennt sich im Herrenmodengeschäft von Schmersträter. Viele der Kunden kennt Schmersträter schon seit Jahren, begrüßt sie mit Namen. „Wie immer? Größe 42?“, fragt Schmersträter seinen Kunden, der ihm kurz zuvor erzählt hat, dass er ein neues Hemd benötigt.
Nähe zum Kunden als Trumpf für Einzelhandel
Genau das ist es, was Schmersträter wichtig ist: Nähe zum Kunden und gute und individuelle Beratung. Dafür ist er jüngst für den Westfälischen Handelspreis nominiert worden und gehörte zu den vier für den Preis Nominierten im Raum Dortmund, Hamm oder dem Kreis Unna.
Ganz gereicht hat es für den Sieg nicht, gemeinsam mit zwei anderen Nominierten belegte er den zweiten Platz. Trotzdem: „Das ist eine große Ehre für mich“, sagt Schmersträter. Vor allem, weil es gerade nicht besonders leicht ist, sich als inhabergeführtes Geschäft zu etablieren. Der Blick vor die Tür des Geschäfts zeigt wieso.
„Schauen Sie doch mal“, sagt Schmersträter. „Da ist niemand.“ Und tatsächlich: Am frühen Vormittag ist die Werner Innenstadt wie leer gefegt. „Unser großes Problem ist es, die Kunden in die Stadt zu holen.“ Besonders neue Kunden zu gewinnen, sei schwierig. Der Großteil seiner Kundschaft bestehe aus Stammkunden. Neukunden zu neuen Stammkunden zu machen, sei sehr schwierig geworden.
Kunden haben andere Ansprüche als früher
Woran das liegt? Für Patrick Voss von der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Dortmund ist die Sache klar: Kunden haben ihre Ansprüche verändert, sind sensibler und offener für Neues geworden.
Mehr Möglichkeiten durch das Internet bedeuten mehr Auswahl. „Also wechseln die Kunden immer schneller mal den Ort, an dem sie einkaufen, wenn sie mal etwas nicht bekommen oder andere Erfahrungen machen“, so Voss. Das kommt letztlich bei den inhabergeführten Unternehmen in Werne an.
Etwa 30 bis 40 inhabergeführte Geschäfte gibt es aktuell in Werne laut Philipp Cramer von der Wirtschaftsförderung der Stadt. Etwa jedes dritte bis vierte Geschäft ist damit inhabergeführt. Nur die Stadt Sundern im Sauerland könne in der Region einen höheren Schnitt aufweisen. „Da sind wir stolz drauf und das hat uns auch jahrelang ausgezeichnet und das tut es immer noch“, sagt Cramer. Trotzdem: Der Trend zeigt nach unten.
„Es waren schon einmal deutlich mehr“, sagt Cramer. Genaue Zahlen liegen allerdings weder der Stadt noch der IHK vor. Durch größere Kapazitäten und andere wirtschaftliche Möglichkeiten im Hintergrund hätten Filialen Vorteile gegenüber inhabergeführten Geschäften. Hinzu kämen Einkaufszentren in umliegenden Städten.
Lange Liste von geschlossenen Werner Geschäften
Das Porzellan- und Haushaltswarengeschäft Reckers musste 2009 nach 151 Jahren schließen, das Spielwarengeschäfte Weischer folgte 2013, das Kinderbekleidungsgeschäft Coole Piraten 2017 und die Boutique Catwalk 2018. Die Liste könnte man noch lange fortsetzen, doch zeigt sie schon jetzt: Es ist schwierig geworden.
„Einen Strukturwandel im Handel können wir schon seit fast 40 Jahren beobachten“, sagt Cordula Neiberger, Professorin für Wirtschaftsgeografie der Dienstleistungen an der RWTH Aachen. In Studien hat sie die Entwicklung von Handelsunternehmen unter die Lupe genommen.
Studien zeigen: Der Druck auf inhabergeführte Geschäfte steigt
Dabei hat sie gleich zwei Entwicklungen festgestellt: Die Umsatzanteile des inhabergeführten Handels sinken zugunsten des filialisierten Handels und großflächige Betriebsformen wie Fachmärkte gewinnen Umsatzanteile, kleinflächige Betriebsformen wie Fachgeschäfte verlieren hingegen. „Damit verstärkt sich auch der Druck auf den inhabergeführten Handel.“
Nicht geringer werde der Druck durch die Anforderungen des Kunden. Gingen Kunden früher in ein Geschäft, um sich zu informieren, wissen sie heutzutage bereits viel durch ihre Suche im Internet. „Das stellt hohe Anforderungen an die Informiertheit des Verkaufspersonals“, so Neiberger. Außerdem wissen Kunden, dass die Sortimente der Onlinehändler riesengroß sind - und die Lieferzeit kurz. „Das wird als Anspruch an den stationären Handel getragen.“
Aussagen, die auch eine Studie der IHK untermauert, die 2017 gemeinsam mit Forschern des Ibi-Research an der Universität Regensburg entstanden ist. „Die Studienergebnisse zeigen deutlich, dass der deutsche Einzelhandel sein klassisches Geschäftsmodell überdenken muss“, schreibt die IHK.
Verkauften 2017 deutschlandweit etwas mehr als die Hälfte der Händler ihre Produkte ausschließlich stationär, wollen 37 Prozent von ihnen in fünf Jahren auch im Online-Vertrieb aktiv sein. Ursache ist ein Rückgang des Umsatzes, den Händler erwarten.
In den nächsten fünf Jahren rechnen 24 Prozent der stationär aktiven Händler mit einem Rückgang der im Ladengeschäft erwirtschafteten Umsatzanteile. Online-Shops befürchten hingegen bloß einen Rückgang von 4 Prozent.
Online-Offensive ist für viele Händler nicht umsetzbar
Ist ein eigener Online-Shop also die Lösung aller Probleme? „Es ist definitiv nötig, dass der Einzelhandel im Internet vertreten ist“, sagt Voss. Es müsse nicht gleich ein eigener Onlinehandel sein, doch zumindest Plattformen wie Facebook müssten genutzt werden, um auf sich aufmerksam zu machen.
Das macht auch Christof Schmersträter. Doch eine echte Online-Offensive ist für Händler wie ihn nicht umsetzbar. „Wir sind drei bis vier Leute hier, Handel über das Internet können wir nicht stemmen“, sagt der 42-Jährige. Wenn, dann müsse man so etwas professionell machen. Doch das ist teuer und der Markt ist gut besetzt. „Im Netz ist schon alles vertreten, da stecken Giganten dahinter.“
Für Schmersträter ist klar: „Wenn wir hier so nicht in der Lage sind zu existieren und die Leute das nicht mehr wollen, dann müssen wir das akzeptieren.“ Preis- und Rabattschlachten kann er sich mit der Online-Konkurrenz nicht bieten. Denn alles, was an Hemden, Anzügen, Mänteln und Co. in seinem Laden hängt, ist bereits bezahlt und muss wieder reingeholt werden.
Was die Zukunft für ihn bringt, das kann Schmersträter noch nicht absehen. Vor einem Jahr hat er einen Fünfjahresvertrag für den Laden abgeschlossen. Mehr als das hätte er sich auch nicht getraut. „Man weiß nie, was die Menschen dann wollen. Ich kann mich nicht jetzt schon mit übermorgen beschäftigen.“
Besondere Aktionen sollen Kunden anlocken
Zu Beginn jedes Jahres plant Schmersträter seine Werbung, seinen Umsatz und die Aktionen des Jahres bis ins Detail. So gab es bei ihm bereits Weinproben, Konzerte und Geschenke zu Weihnachten. Doch dass gerade Kleidung in der Priorität der Menschen gesunken ist, weiß Schmersträter.
„Früher war die Reihenfolge Urlaub, Auto und dann kam die Kleidung“, so Schmersträter. Heutzutage gäben Leute lieber viel Geld für beispielsweise Tattoos aus als für eine Jeans.
„Wir haben hier in Werne viele charmante Geschäfte, die mit Herzblut geführt werden, doch die müssen auch angenommen und wahrgenommen werden“, urteilt Schmersträter. Das gelte es zu zeigen, um auf Dauer auch gegen Online-Konkurrenten bestehen zu können. Denn eins ist klar: Das Internet lächelt nicht.
Lebt und arbeitet gerne digital - egal, ob mit Texten, Fotos oder Videos. Hat in Essen Literatur und Medienpraxis studiert, arbeitet seit 2014 bei den Ruhr Nachrichten und ist seit 2018 als Redakteur in Werne tätig.
