
© Jörg Heckenkamp
Als Helmut Zierl von der Schule flog und kurz darauf Todesangst hatte
Lesung im Alten Rathaus
Schauspieler Helmut Zierl las Samstagabend aus seinem Erstling „Follow the Sun“. Das Buch beginnt mit einem Schulverweis und lässt tief in die Gefühlswelt eines 16-Jährigen blicken. Todesangst inklusive.
Helmut Zierl ist vielen als Traumschiff- und Heile-Welt-Schauspieler gegenwärtig. „Schwiegermutters Liebling“, er kokettiert selbst mit diesem Image, hat ein Buch über drei prägende Monate seines 67 Jahre umspannenden Lebens geschrieben. Drei Monate, die mit einem Schulverweis des damals 16-Jährigen starten und die ganz Bandbreite an Gefühlen einen jungen Menschen offenbaren.

Drei Monate als Hippie im Jahre 1971 haben das Leben von Helmut Zierl nachhaltig geprägt. Der Schauspieler las am Samstagabend aus seinem Buch "Follow the Sun" im Alten Rathaus. © Jörg Heckenkamp
Helmut Zierl hat an diesem Samstagabend um 19.30 Uhr in Werne vor allem ein Gefühl. Nervosität. „Gut, dass Sie kommen und ein Interview wollen“, begrüßt er mich mit einem erleichterten Lächeln, „das vertreibt mir die aufreibende Wartezeit“. Nein, eigentlich wollte ich gar kein Interview führen. Ich bin zu ihm in die provisorische Garderobe im Bürgersaal des Alten Rathauses gegangen, um zu fragen, ob ich während der Lesung fotografieren kann oder lieber danach.
Helmut Zierl ist vor dem Auftritt nervös
Aber gut, wenn es dem Mann die Nervosität vertreibt, dann hole ich eben meinen Notizblock und wir legen los. Nein, er legt los. Bevor ich die erste Frage stelle, stöhnt er bereits: „Das Schlimmste ist die Stunde vor Beginn.“ Er sei immer eineinhalb Stunden vor der Lesung da, um aufzubauen, alles zu kontrollieren. „Aber das ist in einer halben Stunde meist erledigt. Und dann sitze ich hier eine Stunde und warte.“
Zierl ist locker und unverkrampft. Er scheint sich wirklich über die Ablenkung zu freuen. Ich stelle weitere Fragen („Hier in Werne ist es der 8. von insgesamt 80 Terminen“) und wir kommen ins Plaudern. Er erzählt, dass er wirklich alles so erlebt hat, wie er es gleich dem wartenden Auditorium vorlesen wird. Es sei hier schon gesagt: Helmut Zierl liest nicht nur vor, er lässt die Geschichten authentisch aufleben.

Keine Star-Allüren. Zierl signierte haufenweise sein Buch, kam mit den Zuhörern ins Gespräch, ließ Fotos mit sich machen. Der 67-Jährige kam sympathisch rüber. © Jörg Heckenkamp
Wir finden einige Gemeinsamkeiten. Er ist nach 30 Jahren in seine Heimat Lütjensee zurückgekehrt und fühlt sich heute dort pudelwohl. Bei mir war es ähnlich mit Werne-Dortmund-Werne. Er sagt, dass ihn diese drei Monate, die er nach Schulverweis und Rausschmiss bei den Eltern in Belgien und Holland verbracht hat, nachhaltig geprägt haben.
Wie nachhaltig, das erzählt er dann wenig später - wir haben die nervige Wartezeit gut herumbekommen - bei seiner gut zweistündigen Lesung. Der junge Hippie Helmut, der mit 300 Mark in der Tasche 1971 in die weite Welt aufbrach und es doch nicht weiter als Brüssel, Antwerpen und Amsterdam gebracht hat. Hippie Helmut hat in diesen drei Monaten dafür den ganzen Kosmos von Gefühlen erlebt.
Von Freundschaft, Hilfsbereitschaft, große Liebe bis zu Heimweh, Drogen-Depression und Todesangst („Zwei Uhrenverkäufer haben mir ernsthaft gedroht, mich umzubringen“) war alles dabei. Zierl gelingt es nicht nur durch seine authentische Erzählweise, Lust und Leiden seines jungen Alter Ego zum Leben zu erwecken, sondern auch durch einen Trick. Einige Male während des Vortrags wirft er einen Kassettenrekorder an und lässt Musik seine Jugendzeit erklingen (Janis Joplin, Led Zeppelin und Co.), „die mich nachhaltig geprägt hat“.
Es ist mucksmäuschenstill unter den leider nur gut 40 Zuhörern im Bürgersaal, als der 67-Jährige schildert, wie er kurz davor war, sich eine Spritze Heroin zu verpassen - „In der letzten Sekunde siegte das letzte Bisschen Vernunft“. Nach dem Drogentod einer Freundin war die unbeschwerte Flower-Power-Zeit endgültig vorbei.
Helmut Zier kehrte in die piefige norddeutsche Heimat zurück. Wie er dann nur 14 Monate später auf einer Schauspielschule landete, „die wohl beste Zeit meines Lebens“, das wird „Schwiegermutters Liebling“ vielleicht schon bald in Werne vortragen. Zierl: „Ich schreibe gerade an meinen zweiten Buch, dass genau diese Lebensphase beleuchtet“.
Jeden Tag Menschen hautnah - nichts ist spannender als der Job eines Lokalredakteurs. Deshalb möchte ich nichts anderes machen - seit mehr als 35 Jahren.
