Mit Zwillbrock verbinden Menschen in der Region zunächst Flamingos und die Barockkirche. Die Dorfgemeinschaft will sich darauf aber nicht reduzieren lassen – und rüstet sich für die Zukunft.
Markus Nienhaus-Elferink (47) wohnt seit 1988 in Zwillbrock. Der Vorsitzende des Schützenvereins gehört zu den Honoratioren des Kirchdorfes.
Als unsere Redaktion nach einem genauen Ort für den vereinbarten Termin fragt, muss er lachen. „Eigentlich ist der Treffpunkt egal, hier spielt sich ja alles innerhalb von einem Quadratkilometer ab.“ Rein formal stimmt das zwar nicht, allein das Zwillbrocker Venn erstreckt sich auf über 2,45 Quadratkilometern, aber ganz Unrecht hat Markus Nienhaus-Elferink nicht. Fast alle wichtige Institutionen liegen entlang der Zwillbrocker Straße (L608): die Biologische Station, das Angelparadies, die Barockkirche St. Franziskus und zwei Gaststätten.
Zum Termin erscheint Markus Nienhaus-Elferink nicht allein. Ihn begleiten Johannes van den Berg (59), Oberst des Schützenvereins, und Matthias Terbrack (20) aus dem Vorstand der örtlichen Landjugend. Für Detailfragen wird immer wieder Andrea Elferink, Markus Nienhaus-Elferinks Frau, hinzugezogen. Sie alle verbindet – so abgedroschen es klingen mag – die Liebe zu ihrem Heimatdorf. Auch in der Online-Umfrage vergeben die Zwillbrocker volle 10 Punkte für die Lebensqualität im Kirchdorf. „Die Dorfgemeinschaft ist einzigartig. Fast jeder Zwillbrocker ist irgendwo aktiv und in das Leben mit eingebunden“, sagt Johannes van den Berg. Neben Schützenverein und KLJB gibt es unter anderem die Frauengemeinschaft, die Sportgruppe, den Nikolausverein, die fünf Nachbarschaften und den Jugendchor.
„Je größer die Gruppe, desto eher zieht man sich aus der Verantwortung“, sagt Markus Nienhaus-Elferink. Bei circa 230 Zwillbrockern keine erstzunehmende Gefahr. Auf die Pelle rückt man sich aber – allein schon wegen der räumlichen Distanz – deshalb nicht. „Die Häuser liegen so weit auseinander, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden kann. Hier muss niemand sein Auto waschen, nur weil der Nachbar es gerade tut“, so der 47-Jährige.

Die Dorfgemeinschaft in Zwillbrock wird durchweg gelobt. © Markus Gehring
Sein 27 Jahre jüngerer Nachbar Matthias Terbrack lobt vor allem das Miteinander der Generationen: „Wenn wir als Landjugend Hilfe brauchen, stehen immer Mitglieder des Schützenvereins bereit. Und umgekehrt ist das genauso“, sagt er. Allerdings droht die Schere zwischen Jung und Alt weiter auseinander zu gehen. Dafür reicht ein Rückblick in den Dezember 2018. „Es gab nur noch 17 Kinder, die Besuch von Nikolaus erhalten haben“, sagt Andrea Elferink. Johannes van den Berg erinnert sich an Zeiten, wo es 75 waren. Auch in der Kirche gab es Veränderungen. Mangels Nachwuchs wurden vor einiger Zeit die Kinder durch erwachsene Messdiener abgelöst.
In Selbstmitleid verfällt deshalb in Zwillbrock aber keiner. Stattdessen schaut die Einwohner nach vorne. Und das Engagement trägt Früchte. 2014 belegte Zwillbrock beim Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ den dritten Platz auf Kreisebene. „Es gibt keinen Grund, pessimistisch zu sein. Wir arbeiten daran, dass auch wieder geburtenstarke Jahrgänge kommen“, sagt Markus Nienhaus-Elferink und lacht.

Zwillbrock in Zahlen © Grafik: Verena Hasken
Das wurde positiv bewertet:
Radfahren und Grünflächen: „Es gibt keine schöneren Jogging-Strecken in der Region als hier vor der Haustür“, sagt Markus Nienhaus-Elferink. Auch nach über 30 Jahren in Zwillbrock hat er sich weder am Venn noch an den Flamingos satt gesehen. „Sie sind ein Symbol für unser Dorf geworden“, sagt er. Zwar ziehe es ihn sonntags nicht unbedingt in den Dorfkern, aber die zahlreichen Touristen sieht er positiv. „Sie sind für uns eine Imagegewinn und wir identifizieren uns total mit ihnen.“ Es sind aber nicht nur die Flamingos und das Venn, die Besucher aus der Region nach Zwillbrock locken. Vor allem in den Sommermonaten irren zahlreiche Auswärtige durch das Maislabyrinth, spielen Bauerngolf oder werfen ihre Ruten im Angelparadies aus. Die Barockkirche St. Franziskus ist weit über die Stadtgrenzen Vredens hinaus bekannt.

Die Flamingos sind zu einem Symbol für Zwillbrock geworden. © Hubert Stroetmann
„Wir leben dort, wo andere Urlaub machen“, kommentiert eine Dame in der Online-Umfrage. Damit das so bleibt, wehrten sich die Zwillbrocker vor einigen Jahren vehement gegen geplante Windkraftanlagen. „Wir haben nichts gegen Windkraft, aber man kann nicht beides haben: Naherholungsgebiet und Windräder“, sagt Johannes van den Berg. Dank des Militär-Stützpunktes hinter der Grenze und dem Zwillbrocker Naturschutzgebiet sind die Pläne vorerst vom Tisch. Dass die Dorfbewohner sehr wohl auf ihren ökologischen Fußabdruck achten, dafür gibt es gleich mehrere Belege. „Auf zahlreichen Dächern sieht man Photovoltaik-Anlagen, außerdem gibt es eine Biogas-Anlage. Auch Fernwärme wird in vielen Haushalten genutzt“, sagt Markus Nienhaus-Elferink.
Auch die Politik hat Zwillbrock im Blick. „Das Dorf hat sich in den vergangenen Jahren massiv weiterentwickelt. Vor allem der Bereich rund um die Kirche wurde aufgewertet, weil er sowohl für Einheimische als auch für Touristen einen hohen Stellenwert hat“, sagt Bürgermeister Dr. Christoph Holtwisch. Das soll aber erst der Anfang gewesen sein. „Das Dorfzentrum hat sich bereits sehr gut entwickelt, aber es werden auch noch weitere Schritte folgen.“
Gastronomie: Es überrascht nur wenig, dass Zwillbrock für Radfahrer ein Paradies darstellt und auch die Grünflächen keine Wünsche offen lassen. Dass allerdings die Gastronomie ebenfalls mit 10 Punkten bewertet wurde, ist für ein kleines Dorf wie Zwillbrock auf den ersten Blick eine Überraschung. Mit dem Hotel & Restaurant Kloppendiek und dem Landgasthof Reirink sehen sich allerdings nicht nur die Zwillbrocker besten versorgt, sondern auch die zahlreichen Touristen. Vor allem am Sonntag beginnt hier der Kampf um die Plätze.

Das Hotel & Restaurant Kloppendiek ist eine von zwei Gaststätten im Ort. © Markus Gehring
„Wir können uns überhaupt nicht beklagen. Bei Kloppendiek kann man schick Essen gehen, bei Reirink trifft man sich auf ein Bierchen“, sagt Andrea Elferink. Und direkt hinter der niederländischen Grenze liegt auch noch das Café-Restaurant Grenszicht. „Gut gefüllte Biergärten werten das Dorf auf. Da ist man schon ein wenig stolz“, sagt Markus Nienhaus-Elferink.
Das wurde eher negativ bewertet:
Verkehrsanbindung: Beim Thema Verkehrsanbindung kommt Vreden generell nicht gut weg. Kein Ortsteil erreicht einen Durchschnittswert, der 4 übersteigt. Lünten (3) und Wennewick-Oldenkott (3,5) bilden dabei die Schlusslichter. Doch auch in Zwillbrock klagen die Bewohner in der Online-Umfrage über eine schlechte Anbindung. „Im Nahverkehr gibt es nur den Bürgerbus, der alle paar Stunden fährt“, schreibt ein männlicher Zwillbrocker aus der Altersklasse 35 bis 50 und verteilt mit einer 1 die schlechtmöglichste Note. Und damit ist er nicht allein. Fakt ist: Da der Bürgerbus ausschließlich von Ehrenamtlichen gefahren wird, ruht der Busverkehr an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen. Anderen Nahverkehr gibt es nicht.

Für Radfahrer ist Zwillbrock vor allem am Wochenende ein beliebtes Ziel. © Markus Gehring
Gerade die Jugendlichen nutzen das Angebot des Bürgerbusses fast gar nicht. „Als Kind nutzt man das Eltern-Taxi, als Jugendlicher fährt man Fahrrad und sobald man 18 ist, nutzt man das Auto“, erklärt Matthias Terbrack. Aus der Runde hält sich der Unmut über die Situation sehr in Grenzen. „Man gewöhnt sich einfach daran. Für Zugezogene mag das vielleicht nicht gelten, aber uns macht das nichts mehr aus“, sagt Markus Nienhaus-Elferink. „Wenn wir uns darüber beklagen würden, dass wir sieben Minuten mit dem Auto zur Arbeit brauchen, lachen Menschen aus dem Ruhrgebiet uns aus.“ Allerdings sagt seine Frau Andrea: „Bis zu nächsten Autobahn ist es von hier aus schon ein Krampf.“
Wohnen: Bei der Kategorie „Wohnen“ vergeben die Zwillbrocker ordentliche 7 Punkte. Doch sowohl in der Kommentarspalte auf den Abstimmungsbögen als auch im Gespräch wird deutlich, dass dieses Thema differenziert betrachtet werden muss. „Wenn man einmal ein schönes Zuhause gefunden hat, gibt es nichts mehr zu meckern“, sagt Johannes van den Berg. Schon darin klingt die Einschränkung mit, die er sofort nachschiebt: „Aber es wurde jahrelang verschlafen, neuen Baugrund zu schaffen.“ Damit habe man vor allem junge Menschen dazu gezwungen, sich anderenorts niederzulassen.
Das hat auch die Politik erkannt und entsprechend reagiert. „Wir beschäftigen uns seit Jahren intensiv mit dieser Thematik, aber die Grundstücke müssen auch verfügbar sein“, sagt Bürgermeister Dr. Christoph Holtwisch. Mittlerweile konnte der Rat der Stadt Vreden einer baulichen Dorferweiterung zustimmen. Anders als 2006, wo das Bebauungsplanverfahren an den Grundstücksverhandlung gescheitert war.

Die Vorentwürfe des Bebauungsplanes und der Begründung liegen vom 1. April bis 20. Mai im Technischen Rathaus der Stadt Vreden aus. © Stadt Vreden
Doch kommt dieser Schritt zu spät? „Wir wären heute doppelt so viele Zwillbrocker, wenn schon vor 20 Jahren reagiert worden wäre“, sagt van den Berg. Matthias Terbrack sieht das etwas differenzierter. „Man ärgert sich zwar, dass nicht früher etwas passiert ist. Aber jetzt überwiegt die Freude“, so der 20-Jährige. Gerade für seine Generation sei es noch früh genug. Am 9. Mai gibt es eine Bürgerversammlung im Großen Sitzungssaal des Vredener Rathauses, bei der die Öffentlichkeit zum Vorentwurf des Bebauungsplans Stellung nehmen kann.
Von Zollhäuschen und Flamingos

Das Zollhäuschen in Zwillbrock circa im Jahr 1910. © Repro
- Jahrhunderte hindurch haben die Menschen in der Region im Hochmoorgebiet, dem heutigen Zwillbrocker Venn, Torf gestochen. Es wurde als Heizmaterial verwendet.
- Am 6. Oktober 1717 wurde der Grundstein der heutigen Kirche St. Franziskus gelegt, die im Jahr 1719 oder 1720 fertiggestellt wurde, jedoch erst am 24. April 1748 durch Weihbischof Franz Bernardin Verbeck geweiht.
- 1938 wurde das Zwillbrocker Venn unter Naturschutz gestellt. Seit dem Jahr 1982 hat sich im Venn eine Flamingobrutkolonie entwickelt, die bis heute besteht.
- Durch die direkte Grenzlage entstanden zu preußischer Zeit Grenzzollämter. So auch in Zwillbrock.
1991 in Ahaus geboren, in Münster studiert, seit April 2016 bei Lensing Media. Mag es, Menschen in den Fokus zu rücken, die sonst im Verborgenen agieren.
