Das erste Weihnachten ohne Papa - Wie geht das? „Er wäre stolz auf uns“

Weihnachten ohne Papa: Wie geht das?
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Stockend läuft das kleine Modell der Diesellokomotive V60 an. Aber es läuft! Ein erster Erfolg nach mehreren Stunden fluchen und basteln. Die Schienen für das Weihnachtsfest im Wohnzimmer liegen.

Zugegeben nicht ganz nach Papas Plan. Aber in diesem Moment kann ich mir sehr gut vorstellen, wie er daneben gestanden hätte, zwischenzeitlich die Hände vors Gesicht geschlagen, lauthals gelacht und dann mit Rat und Tat zu Seite gestanden hätte.

Die kleinen Lokomotiven schlängeln sich um das Weihnachtsdorf im Wohnzimmer.
Die kleinen Lokomotiven schlängeln sich um das Weihnachtsdorf im Wohnzimmer. © Carina Strauss

So war er: immer fröhlich, mit Humor gesegnet, ständig hilfsbereit und immer mit einem offenen Ohr. Doch jetzt müssen wir auf seine Hilfe verzichten. Er kann uns nicht mehr helfen, in der Vielzahl der Schienen für die Modelleisenbahn den Überblick zu behalten.

Am 11.11.2022 (Karnevalsauftakt – vielleicht noch ein kleiner Scherz zum Abschied) hat uns mein Vater verlassen. Eigentlich sollte er „nur“ neue Herzklappen bekommen. Aus „nur“ wurde allerdings dann „Herr Strauß wird den heutigen Tag nicht überleben.“ Meine Mutter und ich waren an seinem Bett, haben seine letzten Atemzüge begleitet, uns irgendwie verabschiedet. Eine furchtbare Angst begleitete uns an diesem Tag.

Nun sitzen ich und mein Freund im Wohnzimmer meiner Eltern auf dem Boden und bauen „seine“ Modelleisenbahn auf. Ja, sie ist in diesem Jahr nur zweispurig geworden und das mit den Weichen hätte mein Papa wohl auch eleganter hinbekommen, aber besser als nichts. Denn das Nichts ist wohl das, vor dem alle in meiner Familie Angst haben. Die große Lücke, die ein Mensch hinterlässt, der einen ein Leben lang begleitet hat.

„Irgendwann“ ohne Papa

Nun stehen wir da und das Szenario „Irgendwann werde ich Weihnachten ohne meinen Papa feiern müssen“, steht direkt vor der Tür. Wie meistert man sowas? Vor allem wenn die Wunden noch so frisch sind? Früher saßen am Tisch zu Heiligabend meine Großeltern, meine Eltern, meine Schwester und ich. Nun sind es nur noch meine Oma, meine Mutter und ich. Meine Schwester lebt bei Hamburg und wird vermutlich erst nach den Weihnachtsfeiertagen kommen, mein Großvater ist schon vor einigen Jahren verstorben.

Nun hilft ja alles nichts, wir müssen weiter nach vorne blicken. Man solle die Trauer nicht verdrängen und versuchen, den Verstorbenen mit einzubinden – das war der Tipp von Beate Bäumer-Messink, die für den Jugendhospizdienst Omega unter anderem in Vreden Kinder betreut, die ein Elternteil oder auch Geschwister verloren haben. Trotzdem sei es auch wichtig, ein schönes Weihnachtsfest zuzulassen, eventuell neue Rituale zu finden.

Ein Bild aus glücklichen Zeiten: mein Vater und ich am Tag der Silberhochzeit meiner Eltern.
Ein Bild aus glücklichen Zeiten: mein Vater und ich am Tag der Silberhochzeit meiner Eltern. © privat

Trotzdem schöne Weihnachten

Ich habe mir diese Worte zu Herzen genommen. Ich will Papa mit ins Weihnachtsfest einbinden und trotzdem möchte ich vor allem meiner Mutter ein schönes Weihnachtsfest bescheren. Und so werden wir nicht nur zu dritt am gedeckten Tisch sitzen, sondern zu sechst. Mein Freund und seine Eltern sind auch dabei. Einen Weihnachtsbaum gibt es in diesem Jahr bei uns zuhause zwar nicht, dafür haben wir eben die Eisenbahn aufgebaut. Das hatte mein Papa meiner zweijährigen Nichte versprochen. Dieses Versprechen werden wir nun für ihn erfüllen.

Es ist, als würden wir einen Platz für ihn freilassen. Und trotzdem leben wir weiter. Ich weiß, dass dieser Weg unser ganz persönlicher ist. Aber wenn ich mir eines zu Weihnachten wünsche, dann ist es, dass jeder, der vielleicht in einer ähnlichen Situation ist wie wir, irgendwie ein schönes Weihnachtsfest erleben kann – auf seine ganz eigene persönliche Weise. Und eines ist noch ganz wichtig: „Trauer darf da sein“, um noch einmal Beate Bäumer-Messink zu zitieren. Und ja, auch Tränen dürfen sein.

Die kleine Emma fand die Lokomotiven doch ziemlich gruselig.
Die kleine Emma fand die Lokomotiven doch ziemlich gruselig. © privat

Einen Tipp von Beate Bäumer-Messink möchte ich noch an Sie weitergeben, auch wenn wir den selbst nicht umsetzen können: Schneiden Sie einen Ast des Weihnachtsbaumes ab und bringen Sie ihn zum Grab ihrer Liebsten. Ich finde, das ist eine sehr schöne Idee.

Wir kämpfen derweil noch mit ein paar Kurzschlüssen. Wenn die Waggons über die Weichen fahren, kommt die Lok immer ins Stocken. Von der Seite kommt ab und zu mal ein leises Kläffen: Unser vierbeiniger Nachwuchs findet die stockenden Lokomotiven wohl doch ziemlich gruselig. Immerhin leuchtet das kleine Weihnachtsdorf, das wir rund um die Schienen aufgebaut haben, problemlos. Papa wäre stolz auf uns.

Beate Bäumer-Messink und ihre Mitstreiterinnen vom Jugendhospizdienst Omega betreuen Kinder, die Elternteile verloren haben.
Beate Bäumer-Messink und ihre Mitstreiterinnen vom Jugendhospizdienst Omega betreuen Kinder, die Elternteile verloren haben. © Carina Strauss

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