Es scheint auf den ersten Blick ein Stalkingfall wie aus dem Lehrbuch zu sein. Das Opfer ist vergeben und der vermeintliche Stalker kann vor lauter Liebeswahn trotzdem nicht von ihm ablassen. Doch in diesem Fall ist alles ein bisschen anders und vor allem skurriler. Denn neben der Nachstellung, den Drohungen und Verleumdungen kamen in diesem Fall auch außergewöhnliche Beweismittel wie ein selbst komponiertes „Liebeslied“ des Stalkers zum Vorschein.
Aber eins nach dem anderen. Der Prozess, von dem hier die Rede ist, fand am Montag, 30. September, um 9 Uhr vor dem Amtsgericht Ahaus statt. Der konkrete Vorwurf: Nachstellung in Tateinheit mit Bedrohung. Ein harter Vorwurf für den Angeklagten. Doch dieser sorgt gleich zu Beginn der Sitzung für Verwunderung. Denn neben einem geladenen Zeugen, dem Geschädigten, der Staatsanwältin, dem Richter und der Verteidigerin des Angeklagten fehlt jemand – der Beschuldigte selbst.
Während seine Anwältin sich überrascht von seiner Abwesenheit zeigt, sind der Geschädigte und der Zeuge nur wenig verblüfft. „Das hat er schon auf Facebook abgekündigt“, betont das Opfer, holt sein Smartphone aus der Hosentasche und spielt ein Video ab. In diesem hält der vermeintliche Stalker eine Ansprache. „Ist mir egal, was das Gericht entscheidet. Die bekommen keinen müden Cent von mir“, heißt es da. „Sollen die mich doch einsperren, wenn die wollen.“ Eine Ansage, für die der verhandelnde Richter nur ein müdes Lächeln übrig hat.
Verhandlung in Abwesenheit
Denn verhandelt wird auch in Abwesenheit des Angeklagten. Seine Verteidigerin habe die Vollmacht, den Prozess allein zu führen und ihren Mandanten zu vertreten. Zu seinen Gunsten werde seine Abwesenheit allerdings wohl eher nicht gewertet.
Die Beweisführung erweist sich allerdings – wie so oft bei Fällen von Stalking – als äußerst komplex. So werden Chatverläufe vorgelesen, Videos und Sprachnotizen abgespielt, in denen vermeintliche Drohungen geäußert oder Verleumdungen eingeräumt werden. Doch für den an diesem Tag konkret verhandelten Tatzeitraum zwischen Juni und September 2023 bleiben die Beweismittel eher rar.
„Haben sie denn nichts auf ihrem Handy, das diesen konkreten Zeitraum betrifft?“, fragt der Richter ein weiteres Mal mit Nachdruck. Der Geschädigte sucht mehrere Minuten auf seinem Handy. Doch bis auf ein paar nicht besonders belastende Sprachnotizen und Textnachrichten findet er nichts. Das liege daran, so der Geschädigte, dass er den vermeintlichen Stalker in diesem Zeitraum auf seinem Smartphone gesperrt hatte.
Affäre oder nicht?
Denn schon seit längerem verbinde die beiden eine sehr ambivalente Beziehung. So seien sie den Ausführungen des Opfers zufolge ursprünglich Freunde gewesen. Doch als der Geschädigte dann seine heutige Frau kennenlernte, habe sich die Beziehung der beiden verändert. „Er wurde eifersüchtig auf die Freundin meines Bruders“, betont der Bruder des Opfers im Zeugenstand. „Der war verliebt in ihn.“
Diese Annahme bestätigt sich auch in einer langen Sprachnachricht, in der der Angeklagte ebenfalls unterstellte, dass er und das Opfer eine sexuelle Affäre gehabt hätten. Dies bestreitet der Geschädigte vor Gericht jedoch vehement.
Während beide Seiten die jeweiligen Aussagen der Gegenseite bestreiten, kommt ein wichtiges Beweismittel ins Spiel. Vor einiger Zeit hatte der Angeklagte in den sozialen Medien ein Lied hochgeladen, in dem es offenbar um die Beziehung zwischen ihm und dem Opfer geht. Darin fallen unter anderem Sätze wie „Muss ich dich erst entführen, damit wir glücklich sind?“ Äußerungen, die in den Augen der Verteidigerin unter das Gesetz der Kunstfreiheit fallen.
Harte Geldstrafe
Doch dieser Ansicht scheint der Richter nicht. „Für mich ist das hier alles nicht als Scherz zu verstehen“, betont er in seiner Urteilsverkündung. „Auch die künstlerische Freiheit geht, wie wir wissen, sehr weit. Aber auf mich wirkt das hier eher wie eine in Kunstform verpackte Nachstellung.“
Unter Berücksichtigung der vielen kleineren Taten und der Gesamtsituation auch über den angeklagten Zeitraum zwischen Juni und September 2023 hinaus verurteilte der Richter den Angeklagten daher zu einer Strafe von 60 Tagessätzen á 20 Euro.
Die letzte Verhandlung wird dies jedoch für den nachstellenden Vredener nicht gewesen sein. Denn ein nächster Prozess für die weiteren Tatzeiträume läuft bereits an.