Vor 80 Jahren fielen in Vreden die Bomben Josef Lepping (93) erinnert sich an den Tag zurück

Als in Vreden die Bomben fielen: So hat Josef Lepping (93) den Tag erlebt
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Von seinem Wohnzimmer aus kann Josef Lepping in seinen Vorgarten sehen. Dort an der Hecke, da hat er vor 80 Jahren gestanden. Es ist es der 21. März 1945, der Zweite Weltkrieg befindet sich in seinen letzten Zügen, als gegen Mittag die Bomben in Vreden einschlagen.

Wie es danach weiterging, weiß der heute 93-Jährige noch ganz genau. „Ich bin schnell in den großen Keller vom Nachbar Nissing gerannt. Da kamen dann mit der Zeit immer mehr Leute rein.“

Der 13-Jährige hat Angst. Dort ist es erst still, Frauen fangen an den Rosenkranz zu beten. „Ich hab nicht geweint, das konnte ich gar nicht“, erinnert sich der Vredener. Nach zwei Stunden ist schließlich alles vorbei.

Als er den Keller verlässt, liegt Vreden in Schutt und Asche. Josef Lepping rennt aus dem Keller sofort zurück zu seinem Elternhaus. Hier hatten sich sein Vater und seine Schwester Christine noch rechtzeitig in den Keller im Haus retten können.

Als er die beiden wiedersieht, ruft sein Vater schon von weitem: „Junge, lauf nach Jan Geiss, du weißt wo‘s is!“, gibt Josef Lepping wieder. Gemeint ist der Bauernhof eines befreundeten Bauers, Jan Geiss Hilbing in Gaxel.

Schon am Morgen des 21. März waren hier Josef Leppings Mutter und Geschwister hingelaufen – denn sein Vater hatte so eine Vorahnung. Unter ihnen befindet sich auch seine wenige Monate alte Schwester.

Für die geht Josef Lepping nochmal ins Haus zurück, holt Windeln und Zwiebackreste. „Mir war wichtig, dass wenigstens für das Baby gesorgt ist. Wir wussten ja schon, dass wir die nächste Zeit erstmal nichts kriegen“, so der 93-Jährige.

Drei Kilometer legen er, seine Schwester und sein Vater dann zurück. Sie sind nicht die Einzigen, die auf dem Bauernhof Schutz sucht. Zwar ist die Familie wieder vereint, doch die Angst bleibt. „Wir standen verängstigt in der Ecke und waren einfach überfordert mit der Situation“, weiß Josef Lepping noch.

Stadtlohn in Flammen

In seiner ersten Nacht auf dem Bauernhof liegt dann ein deutscher Soldat neben ihm. Der weckt ihn schließlich mitten in der Nacht auf. „‘Junge, was ich dir jetzt zeige, darfst du niemals wieder vergessen‘, hat er zu mir gesagt“, erinnert sich Josef Lepping. Danach hebt der Soldat ihn hoch, damit er aus dem Fenster sehen kann.

Dort sieht er aus der Ferne, wie Stadtlohn in Flammen steht. Die Stadt wurde ebenfalls am 21. und 22. März bombardiert. „An dem Abend war die Hölle geöffnet, das kann man nicht anders sagen“, beschreibt es Josef Lepping.

Suche nach einer Vermissten

Auf dem Bauernhof, wo Josef Lepping und seine Familie Schutz gesucht haben, sind auch zwei junge Mädchen geflüchtet. Sie kommen eigentlich aus Kleve und sind nur wegen eines Arzttermines der Mutter in Vreden – doch von der fehlt jede Spur. Doch die Mädchen wissen noch, was ihre Mutter an diesem Tag getragen hat.

Josef Lepping geht zusammen mit anderen in die von Bomben zertrümmerte Stadt auf die Suche nach ihr. „Aus den verschütteten Bunkern hat man die Leute klopfen gehört, ganz lange noch“, ist es Josef Lepping noch im Gedächtnis geblieben.

Die zerstörte Stiftskirche in Vreden nach dem Bombenangriff.
Nach dem Bombenangriff sind viele Teile Vredens vollständig zerstört, so auch die St. Felizitas-Stiftskirche. Das Bild stammt aus dem Buch "Studien zur neueren Kirchengeschichte Vredens", in dem Josef Lepping einen Beitrag verfasst hat. © Heimatverein Vreden

„Wir haben die Bombentrichter abgesucht und sind dann zur Twicklerstraße gelaufen, da haben sie die Toten aufgereiht. Aber die Mutter haben wir nicht gefunden, auch in der städtischen Turnhalle nicht“, erzählt der 93-Jährige.

Wie er sich in dieser Situation gefühlt hat, kann er nur schwer beschreiben. „Man musste das halt einfach machen“, versucht er es dennoch. Als schließlich einige Zeit später der Stadtgraben ausgehoben wurde, findet man die Leiche der Mutter schließlich. „Sie war wohl genau in dem Moment beim Zahnarzt, als die Bombe fiel.“

Verarbeitung durch Schreiben

Mit Rückblick auf diese ganzen Geschehnisse ist sich Josef Lepping sicher: „Würde sowas heute passieren, müsste man das mit einem Psychologen aufarbeiten.“ Er selbst ist diesen Schritt nie gegangen, stattdessen hat er das Erlebte aufgeschrieben.

Josef Leppen hält ein Buch in der Hand
Seine Erinnerung an die Bombardierung Vredens im März 1945 hat Josef Lepping bereits aufgeschrieben und veröffentlicht. Außerdem hat er über den Heimatverein einige Beiträge zur Kirchengeschichte Vredens verfasst. © Jenny Kahlert

So hat er zum Beispiel inspiriert durch seine Enkelinnen seine Lebenserinnerungen verfasst, außerdem hat er mehrere Aufsätze über die Kirchengeschichte Vredens für den Heimatverein geschrieben.

Josef Lepping hat das Erlebte verarbeitet, doch wenn er Bilder aus Kriegsgebieten im Fernsehen sieht, kommt das Erlebte manchmal zurück. „So wie die Häuser im Gazastreifen aussehen, so sah es in Vreden auch aus“, so Josef Lepping.

Leben nach den Bombenangriff

Die Geschehnisse vom 21. März sind für Josef Lepping und seine Familie persönlich das Ende des Krieges. Danach besucht Josef Lepping die Oberschule für Jungen in Borken und macht anschließend eine Ausbildung zum kaufmännischen Angestellten bei der Firma Carl Haeking, dort bleibt er 29 Jahre.

1978 wird er Leiter der Zentralrendantur für das Dekanat Vreden, 1994 geht er in den Ruhestand. Neben seiner beruflichen Tätigkeit engagierte sich Josef Lepping zudem viele Jahre im Ehrenamt. 20 Jahre war er Ratsherr und auch Ehrenratsherr im Rat der Stadt Vreden und viele Jahre im Vorstand des Allgemeinen Bürgerschützenvereins St. Georg.

Gedenken der Opfer

Der Bombenangriff von Vreden am 21. März kostete 200 Menschen das Leben. Um diesem Schicksal zu gedenken, findet jedes Jahr am Jahrestag des Angriffes eine Gedenkfeier auf dem alten Friedhof statt.

Die Senioren-Union in Zusammenarbeit mit der Stadt Vreden und den Kirchen lädt die gesamte Bevölkerung dazu am 21. März um 18.15 Uhr zur Gedenkfeier im Garten der Ruhe auf dem alten Friedhof an der Schabbecke ein. Anschließend findet ein Gedenkgottesdienst in der Stiftskirche statt.

Diesen Artikel haben wir ursprünglich am 20. März 2025 veröffentlicht.