Tobias Beck (38) ist da in der Not „Notfallseelsorger ist man mit Leib und Seele“

Tobias Beck ist da in der Not: „Notfallseelsorger ist man mit Leib und Seele“
Lesezeit

Es ist wohl der Satz, der die Notfallseelsorge am besten umschreibt: „Die wenigsten wissen, dass wir da drin stecken, in der Hoffnung, dass man uns nie braucht. Aber wenn doch, dann sind wir da.“ Tobias Beck (38) ist eigentlich Diakon in der Gemeinde St. Georg Vreden. Doch seit September vergangenen Jahres koordiniert er zusätzlich die Notfallseelsorge für den Kreis Borken.

„Ich finde diesen Bereich sehr wichtig“, so Beck. „Auf uns können sich die Menschen verlassen, wir sind da und wir sitzen, wenn es sein muss mit dir auf der Straße und heulen.“ Denn Notfallseelsorger kommen immer dann, wenn sich Menschen mit den schlimmsten Situationen konfrontiert sehen. Zum Beispiel dann, wenn die Polizei eine Todesnachricht an die Angehörigen überbringen muss, oder bei plötzlichen Sterbefällen oder Verkehrsunfällen.

Für solche Fälle steht das Team der Notfallseelsorge im Kreis Borken bereit. 35 bis 40 Ehrenamtliche – verteilt über den ganzen Kreis – haben diese Aufgabe übernommen. Als Koordinator ist Tobias Beck zusammen mit seiner Kollegin Alexandra Hippchen sowohl für die Aus- und Fortbildung als auch für die Begleitung des Teams zuständig.

Doch das heißt nicht, dass sie nur am Schreibtisch sitzen: „Auch wir haben unsere Einsatzjacken und begleiten Einsätze.“ Was die wenigsten wissen: Einen Notfallseelsorger kann man nicht mal eben privat alarmieren. „Wir sind ein festes Glied in der Rettungskette und werden über die Leitstelle alarmiert“, erklärt der 38-Jährige.

Akute Notsituationen

Dabei sind die Notfallseelsorger nicht für eine kontinuierliche Begleitung zuständig, sondern sind für die Menschen in einer akuten Notsituation da. „Meistens müssen die Polizei oder der Rettungsdienst zügig wieder weg. Wir aber bleiben, bis der erste Schock überwunden ist.“ Dabei braucht jeder Mensch andere Hilfe: „Wir setzen uns mit den Menschen hin, sprechen mit ihnen, schweigen mit ihnen. Auch das gibt es, dass man eine halbe Stunde da sitzt und schweigt und versucht die Person ein Stück auf den Boden zu holen und handlungsfähig zu kriegen. Das dauert natürlich unterschiedlich lange.“

Von einer bis zu mehreren Stunden kann so ein Einsatz dauern. „Mir ist immer wichtig zu sagen: Ich bin jetzt für Sie da. Und wir gehen erst dann, wenn wir das Gefühl haben, wir können gehen.“ Dabei reicht die Unterstützung von einem einfachen Gebet, über die Beantwortung von organisatorischen Fragen bis hin zur Verabschiedung von dem Verstorbenen. „Und das ermöglichen wir in der Regel auch.“

Wenn sie etwas tun, kommen die meisten Menschen wieder zurück auf den Boden, erklärt Tobias Beck. „Wir werden gerufen in einer Situation, die nicht schön ist. Aber dieses Gefühl, man begleitet jemanden und sieht, dass dieser nach und nach wieder handlungsfähig wird: Das ist ein gutes Gefühl.“ Gerade die erste Zeit, nachdem die Menschen ein Trauma erfahren haben, sei sehr wichtig. „Wenn du das gut bewältigst, hast du anschließend nicht so viele psychosomatische Probleme. Das unterschätzen viele.“

Halbes Jahr Ausbildung

Doch wie geht man als Notfallseelsorger selbst mit einer solchen Situation um? „Nach jedem Einsatz wird ein Einsatzprotokoll geschrieben. Jedes davon bekommen wir als Koordinatoren und lesen es. Wenn wir das Gefühl haben, da ist noch was dran, nehmen wir auch nochmal Kontakt auf“, so Beck. Außerdem bestehe immer die Möglichkeit, ihn und seine Kollegin zu kontaktieren. „Außerdem treffen wir uns sehr regelmäßig im Team, wo wir nochmal über Einsätze reden können.“

Viele könnten mit dem Schreiben des Protokolls schon einen Punkt hinter den Einsatz machen. Für viele sei es auch nur das Ausziehen der Einsatzjacke oder sie zünden zuhause noch eine Kerze an. So habe jeder seine eigene Art, damit umzugehen.

„Ich glaube, dass dieses Amt tatsächlich mehr Leute machen können, als es von sich glauben“, meint Beck. Zu rund 120 Einsätzen rücken die Seelsorger im Jahr aus. Viel Handwerkszeug dafür wird ihnen in einer etwa halbjährigen Ausbildung vermittelt. Und: „Wenn man die Ausbildung abgeschlossen hat, wird man nicht einfach losgeschickt, sondern hospitiert zunächst bei den ersten Einsätzen.“

Wer den Job machen möchte, sollte laut Beck vor allem ein Gespür für Menschen mitbringen, selbst dazu in der Lage sein, mit Krisen umgehen zu können und regelmäßig zu den Reflexionstreffen kommen. In der Ausbildung werden dann neben dem Erlernen der Theorie auch die Feuerwehr, Rettungsdienste und Polizei besucht. „Es ist oft Gold wert, wenn man sich untereinander kennt und auch die Abläufe kennt.“

„Gelebte Ökumene“

Mittlerweile setzt sich das Team der Notfallseelsorge im Kreis Borken aus vielen Alters- und Berufsgruppen zusammen. Eine Entwicklung, die laut Beck immer noch weitergeht. „Die Notfallseelsorge institutionalisiert sich immer mehr, weil die Leute auch merken, wie wichtig sie ist. Das ist auch ein Grund, warum ich da gerne mithelfen möchte“, so Beck.

Zudem sei es ökumenisch organisiert. „Es wird oft von Ökumene geredet, aber in der Notfallseelsorge wird sie gelebt.“ So sei es auch im Team egal, welcher Glaubensrichtung man angehört, erklärt der 38-Jährige. „Natürlich ist bei uns auch Kirche drin, aber wir holen nicht automatisch die Bibel raus. Uns geht es darum, was der Mensch in dieser bestimmten Situation braucht.“ Beck ist davon überzeugt: „Notfallseelsorger ist man mit Leib und Seele.“

Die Notfallseelsorge im Münsterland ist über eine Arbeitsgemeinschaft organisiert. Der nächste Ausbildungskurs startet im Oktober. Weitere Informationen zum Thema Notfallseelsorge und die Ausbildung finden Sie unter www.notfallseelsorge-muensterland.de.