Eine kreisende Bratpfanne zieht die Massen an und Kartoffeln mit Nutella sind vielleicht das Fastfood der Zukunft. Ein Bummel über die Vredener Kirmes mit Überraschungsfaktor.

Vreden

, 02.09.2018, 20:49 Uhr / Lesedauer: 4 min

Über der Innenstadt von Vreden schwebt am Samstagnachmittag ein ganz besonderer Duft. Eine Mischung aus Popcorn, kandierten Äpfeln und Abenteuer lockt die Menschen in die Widukindstadt, denn wieder öffnet die Vredener Kirmes für drei tolle Tage ihre Pforten. Seit Jahrhunderten bestimmt der Jahrmarkt den Jahreslauf der Stadt. Echte Vredener rechnen nicht nach dem Kalender, sondern nach „vor und nach Kirmes“. Ich bin hier, um dem Lebensgefühl auf den Grund zu gehen. Was macht das beliebte Volksfest zu so etwas Besonderem? Und wo gibt es die verrücktesten Fahrgeschäfte und die ungewöhnlichste Kirmesleckerei?

André Cohaus hat keine Zeit für einen Bummel. Er ist der Chef der Gaststätte „Zum dicken Jupp“. „Um 15 Uhr wird die Kirmes eröffnet, aber ab 16 Uhr fängt das hier erst so richtig an“, verrät er. Schon seit Mittwoch laufen die Aufbauarbeiten für den Bierstand. Christa Cohaus, Andrés Frau, kümmert sich um die Sassebar und auch Tochter Louise hilft schon fleißig. Mit Oma und Opa wird das Mädchen später über die Kirmes bummeln, im Gegensatz zu den Eltern: „Wir sind jetzt drei Tage komplett hier, da bleibt keine Zeit für Kirmes“, meint der Wirt.

Exoten auf der Kirmes

Wenige Meter weiter schleppt Hermann Niemeier einen Karton hinter die Theke des berühmten „Hammans-Stands“. Er und sein Bruder Heiner Niemeier sind Exoten unter den Bierbar-Betreibern. Sie sind die einzigen Ahauser, kennen das Terrain aber seit 29 Jahren. „Schluss ist hier am Dienstagmorgen um vier Uhr, dann ist alles fertig weggeräumt und es gibt das erste Bierchen“, erklärt der Schankwirt.

Die Uhr tickt auf die Eröffnung zu. An der Wüllener Straße entlang gehe ich in Richtung Marktplatz. Allerlei Düfte von gebratenen Champignons, Bratwurst und Zuckerwatte steigen mir in die Nase. Auf der Suche nach der verrücktesten Nascherei habe ich einen Hinweis bekommen: Es klingt unglaublich, aber irgendwo in der bunten Kirmeswelt soll es tatsächlich Pommes Frites mit Nuss-Nougat-Creme geben.

FOTOSTRECKE
Bildergalerie

So war die Eröffnung der Vredener Kirmes

Eröffnung der Vredener Kirmes
02.09.2018

Spende für Lebenshilfe

Auf dem Marktplatz versammeln sich gegen 15 Uhr zahlreiche Kirmesgänger. Unter den blinkenden Lämpchen des Disco-Jets bahnt sich die Blaskapelle den Weg zu einer kleinen Bühne. 1430 Euro übergeben die Schausteller und die Stadt an Agnes Funke für die Aktion Lebenshilfe. Die Konzertorgel am Viehmarkt hat 2017 über 800 Euro erspielt, der Betrag wurde aufgestockt. Dann ist es soweit: Lebkuchenherzen fliegen in die Menge und der große Jahrmarktspaß geht los.

Ich teste mit dem Bürgermeister persönlich einen alkoholfreien Caipirinha. Das Thekenteam des Jugendwerks setzt damit erfolgreich ein Zeichen gegen Alkohol auf dem Rummel. „Das schönste an der Vredener Kirmes ist die tolle, gelöste Stimmung, in der alle möglichen, unterschiedlichen Menschen zusammen feiern“, findet Christoph Holtwisch. Und das gehe auch gut ohne Promille, betont er.

Vredener Nationalgetränk

Wenige Meter weiter servieren Silvia Nienhaus, Maria Severt und Chefin Margret ter Braak allen, für die ein Schnäpschen in Ehren doch zur Kirmes dazugehört, einen Vredener Klassiker: den Ravenbitter. „Wir sind seit 15 Jahren mit dem Hütchenstand dabei“, erklärt Margret ter Braak. Maria Severt gießt mir ein halbes Pinnchen des Vredener Nationalgetränks ein und wartet gespannt auf meine Reaktion. Der scharfe Kräuterlikör rinnt meine Kehle herunter, ich huste. „Wenn man davon einen auf hat, kann man in jedes Karussell rein, ohne dass einem schwindelig wird“, sagt Silvia Nienhaus lachend. Auch das werde ich noch testen.

Inzwischen haben sich die Straßen der Innenstadt immer weiter mit Besuchern gefüllt. Ich lasse mich mit dem Menschenstrom treiben. Musik erklingt von hier und da, dazwischen das Kreischen von Kirmesbesuchern, die sich in den Fahrgeschäften ordentlich durchschütteln lassen. Auch für mich wird es Zeit, zum nächsten Test überzugehen.

Auf dem Riesenrad

Ich schlage mich durch zum „Liberty Wheel“, dem 38 Meter hohen Riesenrad, das über dem Geschehen am Viehmarkt thront. Eigentlich bin ich nicht schwindelfrei, aber was sein muss, muss sein. Marjan heißt der junge Mann, der mir meine Gondel zuweist. Auf der Fahrt begleiten mich sechs kleine Mädchen, die aufgeregt kichern und quietschen, als sich das gewaltige Rad in Bewegung setzt. Das Gefühl ganz oben ist majestätisch. Ich fühle mich dem Himmel nah. Weiße Wolken ziehen vorüber und die Welt unter mir wird winzig klein. Ich blicke hinaus in die Ferne, wo ein Segelflieger schwebt.

Unten dreht sich das Kettenkarussell, dahinter katapultiert der „Fighter“ Menschen in die Luft. Plötzlich rüttelt der Wind an der Gondel. Die Mädchen kreischen in Panik und holen mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Auch mir ist nach Kreischen zumute, aber ich schweige tapfer. Das riesige „Liberty Wheel“ dreht sich noch einige Runden weiter, bis die dicken Stahlstreben uns schließlich zum letzten Mal abwärts befördern.

Pommes mit Nutella

An einem Pommeswagen ein paar Meter die Straße hinunter habe ich wenig später plötzlich eine Erscheinung: Auf einem Schild prangt das Bild eines Nutella-Glases mit. Das ist es! Aufgeregt nähere ich mich dem Imbisswagen, in dem ein stattlicher Mann mit raspelkurzen Haaren steht, halb verbarrikadiert hinter ein paar Säcken voll von Kartoffeln.

Hermann Loritz heißt der Hüne und als er spricht, hört man seinen Akzent heraus. „Ja, Pommes mit Nutella gibt‘s hier“, bestätigt er meine Vermutung und greift in eine Schüssel mit geschälten Kartoffeln. Er holt einen Erdapfel heraus und legt ihn in eine Kartoffelpresse. Der kräftige Mann drückt den Hebel herunter und scharfe Klingen machen aus der Kartoffel dicke Stifte. Fertige Gefrierware kommt dem gebürtigen Niederländer nicht in die Fritteuse.

Überraschender Geschmack

Aber warum ausgerechnet Nuss-Nougat-Creme? „Ich hab es ausprobiert, es hat geschmeckt und seitdem läuft es jedes Jahr besser“, erklärt er simpel. Am besten gehe aber immer noch der Klassiker mit Mayonnaise hier in Vreden. Die Spannung steigt, als Hermann Loritz mir eine Gabel mit einem frittierten Kartoffelstäbchen und süßer, brauner Creme über die Theke reicht. Ich zögere kurz. Soll ich es wagen? Im Namen der Wissenschaft probiere ich schließlich die verrückte Kirmesschlemmerei – und bin positiv überrascht. Die Salzigkeit der Fritten harmoniert hervorragend mit der Süße der Schokopaste. Dies könnte das Fastfood der Zukunft werden – zumindest auf der Vredener Kirmes.

Der Erfolg dieses Tests hat mich wagemutig gemacht. Kurze Zeit später finde ich mich zu Füßen des „Fighters“ wieder und starre nach oben. 42 Meter hoch ragt das Fahrgeschäft in den Vredener Himmel. Auf einer Tafel neben der Kasse steht, dass die Insassen mit 130 Stundenkilometern an den riesigen Propellerarmen in die Luft geschleudert werden. Das Kreischen der Fahrgäste klingelt furchterregend in meinen Ohren und ich bekomme es mit der Angst zu tun. Vielleicht probiere ich besser eine etwas zahmere Kirmesattraktion.

Beliebte Bratpfanne

„Mr. Gravity“ in unmittelbarer Nachbarschaft erscheint mir besser für einen Test geeignet. Die Verkäuferin an der Kasse drückt mir einen Plastikchip in die Hand. Auffällig viele Jugendliche stehen hier an. Sie nennen das Fahrgeschäft liebevoll „die Bratpfanne“. Zum Umkehren ist es jetzt zu spät. Die Schlange schiebt mich vorwärts. Mit klopfendem Herzen steige ich schließlich in einen der pinkfarbenen Sitze. Ein Arbeiter hilft mit dem Fuß nach, als der Sicherheitsbügel nicht einrasten will.

Die Bratpfanne beginnt sich zu drehen. Langsam erst, dann immer schneller. Die Scheibe hebt sich während des Fluges an und auf einmal ist der Himmel unten und die Erde oben. Ich werde in den Sitz gedrückt, die Gesichter der Menschen um mich herum flattern, genau wie mein Herz. Zahm? Von wegen! Nach endlosen Minuten stolpere ich dankbar aus dem Fahrgeschäft. Der Ravenbitter hat sein Versprechen übrigens nicht gehalten.

Schlagworte: