Einkaufen, Wohnen und mehr Chronik der Industriebrache Bierbaum-Gelände

Einkaufen, Wohnen: Chronik der Industriebrache Bierbaum-Gelände
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Die Zukunft des Bierbaum-Geländes rückt jetzt in greifbare Nähe. Die Stadtverwaltung hat im Mai einen ambitionierten Zeitplan vorgestellt. Der Anlauf war lang. Sehr lang, wie diese Chronik zeigt.

1876: Die Spinnerei und Weberei Huesker werden an der Ottensteiner Straße in Vreden gegründet. Diese Gründung markiert den Beginn einer Ära in der Textilindustrie der Region und legt den Grundstein für eine lange Geschichte auf dem Gelände.

Textilarbeiterinnen im Jahr 1925
Ein Bild von 1925: Wilhelm Laurich fotografierte Textilarbeiterinnen im Websaal bei Hueskers. © Bildband Heimatverein

1926: Ein bedeutender Meilenstein wird erreicht, als die Huesker-Spinnerei ein modernes Gebäude in Stahlbeton-Skelettbauweise errichtet. Dieses Gebäude, der erste Eisenmontierbau im Westmünsterland, dokumentiert die fortschreitende Modernisierung und technologische Entwicklung des Unternehmens.

1976: Die Textilwerke Bierbaum aus Borken übernehmen zunächst das Hochgebäude der Spinnerei und Weberei Huesker. Dieser Schritt markiert eine neue Ära auf dem Gelände, da es unter neuer Leitung und Führung weiterbetrieben wird.

Bauarbeiten im Jahr 1926
1926 wurde das Hochgebäude an der Ottensteiner Straße in Stahlbeton-Skelettbauweise errichtet. © Heimatverein Vreden

1978: Bierbaum erwirbt auch das alte Webereigebäude und übernimmt alle Mitarbeiter von Huesker. Das Hochbau wird fortan als Lager genutzt.

Ende der 1980er-Jahre: Trotz sich wandelnder wirtschaftlicher Rahmenbedingungen sind immer noch rund 100 Mitarbeiter in der Produktion von Haushaltstextilien beschäftigt. Diese Arbeitsplätze tragen maßgeblich zur lokalen Wirtschaft bei und zeigen die Bedeutung des Standorts für die Beschäftigung in der Region.

2003: Die Produktion wird vollständig nach Borken verlagert, was das Ende einer Ära für das Huesker- und Bierbaumgelände in Vreden bedeutet. Lediglich etwa 15 Mitarbeiter bleiben für Lagerarbeiten und den Werksverkauf vor Ort, während das Gelände eine neue Phase der Nutzung einleitet.

Blick in die Ottensteiner Straße vor dem Abriss des Hochgebäudes
Blick in die Ottensteiner Straße vor dem Abriss des Hochgebäudes © Archiv

Juni 2004: Der Rat beschließt einstimmig, für das Gebiet zwischen Ottensteiner Straße, Norbertstraße, Twicklerkamp und Weberstraße Regelungen zu treffen, um künftige Nutzungen festzulegen und Einzelhandelsbetriebe fernzuhalten, die der Innenstadt Konkurrenz machen könnten.

Juni 2004: Das Unternehmen Bierbaum plant mittelfristig, sich von dem rund 25.000 Quadratmeter großen Gelände in Vreden zu trennen. Jan-Frederik Bierbaum erklärt: „Wir sind dabei, einen Käufer zu suchen.“ Neuer Eigentümer wird später das Münsteraner Großhandels- und Immobilienunternehmen Stroetmann.

Januar 2006: Einzelhandelsgutachter bewerten eine geplante „Fachmarktagglomeration Bierbaum“ mit einem Edeka-Center und einem Discounter als nicht stadtverträglich. Der Gutachter bezeichnete dieses Projekt als „überdimensioniert“ und urteilt: „Das wäre ein einseitiges Kippen.“

Abriss der Sheddachgebäude im Jahr 2012
2012 wurden die Sheddachgebäude entlang der Norbertstraße abgerissen. © Anne Winter-Weckenbrock

April 2006: Der Stadtrat von Vreden hat ein neues Einzelhandelskonzept einstimmig verabschiedet: Das Vorhaben, auf dem ehemaligen Bierbaum-Gelände einen großen Edeka-Markt anzusiedeln, wird abgelehnt.

November 2010: Klare Worte findet ein Gutachter, der sich mit der Fortschreibung des Einzelhandelskonzepts für die Innenstadt befasst: Ein großflächiges Einkaufszentrum werde zu „katastrophalen Verdrängungseffekten“ führen und einen erheblichen Frequenzverlust für die Innenstadt bringen.

Februar 2011: Mehrheitlich stimmt der Rat der Fortschreibung des Einzelhandelskonzeptes zu. Die Edeka-Pläne liegen damit vorerst auf Eis.

Januar 2012: Der Abrissbagger macht die alten charakteristischen Sheddach-Gebäude entlang der Norbertstraße und des Twicklerkamps dem Erdboden gleich, wobei allein der Hochbau für Lagerzwecke erhalten bleibt.

Grafik Neue Spinnerei
So stellte sich der Verein „Neue Vredener Spinnerei“ die Umgestaltung der Spinnerei Huesker vor. Das Gebäude wurde aber abgerissen, der Verein löste sich auf. © Grafik: Neue Spinnerei Vreden e.V.

Februar 2019: Neuer Anlauf: Das Unternehmen Stroetmann stellt als Eigentümer der Fläche dem Rat neue Pläne für ein großes Edeka-Center und mehrere Mehrfamilienhäuser auf dem Bierbaumgelände im Rat vor. Max Stroetmann spricht von einem Kompromiss: „Wir verzichten auf weitere Märkte auf dem Grundstück.“ Damit ist die Debatte über die Zukunft des Areals neu entfacht.

Oktober 2019: Vredener starten eine Online-Petition und gründet den Verein „Neue Vredener Spinnerei e.V.“ mit dem Ziel, das historische Huesker-Gebäude zu erhalten und als Industriedenkmal zu nutzen. Der damalige Vredener CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Röring unterstützt die Ziele des Vereins: „Eine richtig gute Idee und ein ganz neuer Ansatz für Vreden“, sagt er.

Entwurf für das E-Center 2019
So sah ein Entwurf für das E-Center im Jahr 2019 aus. © Pfeiffer, Ellermann, Preckel

November 2019: Eine Drohmail gegen Max Stroetmann aus den Reihen des Vereins „Neue Spinnerei“ sorgt für einen Skandal. Der Verein löst sich daraufhin auf. Der alte Hochbau wird kein Denkmal. Das beschließt der Rat der Stadt Vreden.

Dezember 2019: Der Stadtrat lehnt die Pläne für das Edeka-Center und die Wohnungen auf dem Bierbaum-Gelände mit knapper Mehrheit ab. Zuvor hatte der Bauausschuss die Pläne ebenfalls mit knapper Mehrheit gutgeheißen.

Juli 2020: Der Abriss des fast 100 Jahre alten Bierbaum-Hochgebäudes beginnt, was als symbolischer Akt für das Ende einer Ära der industriellen Nutzung gesehen wird und die Diskussion über den Erhalt des historischen Erbes verstärkt.

Abrissarbeiten an der Ottensteiner Straße
2020 wurde der Hochbau an der Ottensteiner Straße abgerissen. © Stephan Rape

April 2023: Nächster Anlauf: Neue Pläne für das Bierbaum-Gelände werden im Stadtrat vorgestellt, wobei verschiedene Entwürfe eine Kombination aus Wohnbebauung und Einzelhandel vorsehen. Ein Entwurf lässt den Edeka-Markt unter einem großen Erdhügel verschwinden.

Februar 2024: Nach jahrelangem Tauziehen ist es nun vollbracht: Die Planungen für die Bebauung des Bierbaumgeländes mit einem Edeka-Markt und Wohnbebauung können starten. Die Stadt, so ein Verhandlungsergebnis, kann die Fläche für die Wohnbebauung selbst entwickeln. Rund 100 Wohneinheiten sollen auf 16.000 Quadratmetern Fläche entstehen.

Mai 2024: Die Planungen nehmen Fahrt auf. Die Stadtverwaltung stellt einen ehrgeizigen Zeitplan vor. Danach sollen bereits im Sommer erste Konzepte vorgelegt werden. Dabei sollen im nordöstlichen Teil des Areals Wohnbauflächen für etwa 100 Wohneinheiten entwickelt werden, während im südlichen Teil ein Lebensmittelmarkt entstehen soll. Ein Werkstattverfahren für das städtebauliche Konzept ist in Vorbereitung und soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.

So könnte das neue E-Center auf dem Bierbaumgelände einmal aussehen.
Diese weitere Planungsvariante des Edekamarktes auf dem Bierbaumgelände wurde Ende 2019 präsentiert. © Stroetmann