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Christoph Holtwisch: „Die bedrückendste Situation meiner Amtszeit“
Coronavirus
Bürgermeister Dr. Christoph Holtwisch spricht im Interview über seine Aufgaben in der Krise und die wirtschaftlichen Folgen für Vreden. Außerdem wirft er einen Blick in die Zukunft.
Seit zehneinhalb Jahren ist Dr. Christoph Holtwisch Bürgermeister in Vreden. Doch das Coronavirus ist auch für ihn eine ganz neue Herausforderung. Redakteurin Victoria Garwer hat mit ihm darüber gesprochen, was es bedeutet, in der aktuellen Situation Bürgermeister zu sein.
Herr Holtwisch, kann ein Bürgermeister aus dem Home-Office arbeiten?
Zum Teil. Abends und am Wochenende erledige ich schon zu Hause ein paar Dinge, aber tagsüber bin ich auch jetzt noch regelmäßig im Rathaus. Ich habe ja ein Büro für mich alleine und im Rathaus bin ich einfach besser angebunden.
Welche Aufgaben haben Sie denn im Moment als Bürgermeister überhaupt? Es sind ja doch viele Dinge wegfallen.
Stimmt, vor allem der repräsentative Bereich meiner Tätigkeit ist fast komplett weggefallen, weil ja auch die ganzen Veranstaltungen abgesagt wurden, womit das soziale Leben in unserer Stadt leidet. Das ist sehr schade, denn der direkte Austausch mit den Bürgern ist ein sehr wichtiger Teil meiner Arbeit.
Aber natürlich gibt es ansonsten mehr als genug zu tun. Ich leite den Krisenstab der Stadt und bin als Sprecher der Bürgermeister auch im allgemeinen Krisenstab des Kreises und im speziellen Krisenstab für die Wirtschaft vertreten. Wir müssen leider gerade auch Entscheidungen treffen, die wenig Freude bereiten.
Bekommen Sie deswegen auch Kritik zu spüren?
Wir machen uns gerade natürlich nicht nur Freunde, aber wir sind zu diesen Maßnahmen gezwungen. Am Anfang mussten sich alle an die neue Situation gewöhnen, aber inzwischen werden unsere Entscheidungen in der Bevölkerung mitgetragen. Fast alle haben Verständnis und halten sich deshalb auch an die Vorgaben. Dafür möchte ich allen Vredenerinnen und Vredenern herzlich danken.
Aber natürlich gibt es auch viele Bürger, die sich Sorgen machen, vor allem wegen der wirtschaftlichen Situation. Das kann ich sehr gut nachvollziehen, aber im Moment ordnet sich das der medizinischen Notwendigkeit unter.
Glücklicherweise sind zum Beispiel im Einzelhandel viele Akteure sehr kreativ und bieten zusammen mit dem Stadtmarketing jetzt einen Lieferservice an.
Sie haben immer betont, dass Vreden wirtschaftlich sehr stark ist. Wie wird das nach dieser Krise aussehen?
Das kann ich im Moment noch nicht beantworten. Uns erreichen schon jetzt Stundungsanträge für die Gewerbesteuer. Ich bin mir sicher, dass sich diese Krise auf die Tätigkeit der Unternehmen auswirkt und sie auch Auswirkungen auf den städtischen Haushalt haben wird. Aber in welchem Umfang... - das ist jetzt noch kaum einzuschätzen. Wir wissen nicht, wie sich die Lage entwickeln wird und wie lange die Einschränkungen anhalten werden.
Aber wir können ja noch sehr froh sein, dass uns die Krise in wirtschaftlich guten Zeiten trifft, in denen wir uns Hilfe erkaufen und die Unternehmen massiv unterstützen können. Man mag sich gar nicht ausmalen, was wäre, wenn uns die Corona-Krise auch noch auf dem Tiefpunkt einer Wirtschaftskrise erwischt hätte.
Gibt es in Vreden aktuell Projekte, die wegen des Coronavirus verschoben werden mussten? Bauarbeiten zum Beispiel?
Die Bauarbeiten laufen weiter, wie man zum Beispiel rund ums Rathaus sieht. Politische Entscheidungen müssen wir allerdings zum Teil verschieben. Die normalen Sitzungen finden ja im Moment nicht statt. Dringende Entscheidungen treffe ich aber mit den Fraktionsvorsitzenden in kleiner Runde als sogenannte Dringlichkeitsbeschlüsse, die später natürlich noch vom gesamten Rat genehmigt werden müssen. Aber es gibt auch weniger dringliche Themen, über die wir nun erst später diskutieren werden.
Wie bekommen Sie im Moment ohne persönlichen Kontakt überhaupt mit, was die Vredener bewegt?
Naja, zum einen bin ich ja auch selber Bürger. Ich bin also auch direkt betroffen, wie alle anderen. Auch ich muss im Moment auf Zusammenkünfte mit meiner Familie und meinen Freunden verzichten und selbst der Kontakt zu meinen Kollegen hat sich verändert. Auch ich habe Bekannte, die von den Einschränkungen beruflich extrem betroffen sind. Und auch ich muss meinen Kindern irgendwie erklären, warum sie nicht auf den Spielplatz direkt gegenüber gehen dürfen.
Zum anderen bin ich natürlich auf verschiedensten Wegen mit den Vredenern im Kontakt. Ich bekomme viele Mails und Anrufe, werde teilweise auch nach wie vor direkt draußen angesprochen. Auch über Social Media bekomme ich einiges mit. Man merkt in dieser schwierigen Zeit ein gestiegenes Bedürfnis nach Orientierung, dem wir als Stadt gerecht werden müssen. Wir haben deshalb auch eine eigene Hotline eingerichtet, für alle nicht-medizinischen Fragen.
Wie sieht die Arbeit in der Verwaltung im Moment aus?
Die Kollegen arbeiten - wo das möglich ist - in einer Art Schichtsystem. Ein Teil ist im Rathaus, der andere Teil zu Hause im Home-Office. Das haben wir gemacht, damit nicht gleich ganze Abteilungen ausfallen, wenn es zu einer Infektion kommt.
Um arbeitsfähig zu bleiben, machen wir auch kaum noch direkte Termine, sondern regeln fast alles über Mail oder Telefon. Ein komplettes Herunterfahren der Aktivitäten im Rathaus stand aber nie zur Debatte, weil wir gerade jetzt eine wichtige Arbeit leisten. In vielen Unternehmen wird das ja ähnlich gehandhabt.
Ist Kurzarbeit in der Verwaltung ein Thema, weil viele Aufgaben wegfallen?
Nein, das ist kein Thema, auch wenn natürlich gerade durchaus Überstunden abgebaut werden können. Die Aufgaben haben sich zwar teilweise verlagert, aber es gibt insgesamt eine Menge zu tun. Die Stadtplanung läuft recht normal weiter, im Bereich Schule und Kindergarten gab es viel zu regeln, das Ordnungsamt ist gerade sehr intensiv gefordert und der Sozialbereich wird sicherlich sehr zeitnah auch wieder mehr Fälle bearbeiten müssen.
Die Verwaltung funktioniert also. Es ist zwar vieles aufwendiger, aber es funktioniert. Dafür bin ich meinen Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar.
Ist die Corona-Krise die größte Herausforderung ihrer Amtszeit?
Es ist mit Abstand die ungewöhnlichste und bedrückendste Situation meiner Amtszeit, weil noch so viel Ungewissheit mitschwingt. Ich habe in den vergangenen zehn Jahren zwar schon einige Herausforderungen miterlebt, aber diese ist anders, weil es ganz direkt um Menschenleben geht. Es kann um Leben und Tod gehen, wie der erste Corona-Todesfall aus Vreden unmittelbar deutlich macht.
Auch ist jeder Einzelne betroffen und jeder Einzelne wird eingeschränkt. Damit verbunden ist das Gefühl einer großen Verantwortung, aber auch das Bewusstsein, dass wir nur gemeinsam etwas bewirken können.
Gleichzeitig kennen wir das Virus nicht wirklich gut und können es bisher nur schwer einschätzen. Das macht die ganze Situation natürlich auch ein bisschen unheimlich. Die Politik ist deshalb noch mehr als sonst darauf angewiesen, kompetent von der Wissenschaft beraten zu werden, um geeignete Maßnahmen durchzusetzen.
Wie schauen Sie jetzt in die Zukunft?
Wir müssen davon ausgehen, dass ein Großteil von uns sich früher oder später mit dem Virus infizieren wird und dass es auch weitere Todesfälle geben wird. Wir kämpfen gegen die Zeit, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Wenn sich nicht alle an die Regeln halten, verläuft die Ausbreitung zu schnell und dann kann unser Gesundheitssystem damit nicht klar kommen. Das müssen wir auf jeden Fall verhindern.
Und ansonsten freue ich mich wie wahrscheinlich jeder Mensch wieder auf eine - wann auch immer mögliche - Normalisierung unseres Lebens.
Als gebürtige Vredenerin habe ich mich aus Liebe zur Region ganz bewusst für den Job als Lokaljournalistin in meiner Heimat entschieden. Mein Herz schlägt für die Geschichten der Menschen vor Ort. Ich möchte informieren, unterhalten und überraschen.
