29-Jähriger übersieht Motorrad auf der B70 Trauma nach tödlichem Unfall sitzt tief

29-Jähriger übersieht Motorrad: Trauma nach tödlichem Unfall sitzt tief
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In einem Sekundenbruchteil hat ein 29-Jähriger im Oktober 2023 auf der B70 zwischen Vreden und Oeding mehrere Leben zerstört: In der Dunkelheit überholte er hinter einer langgezogenen Linkskurve damals einen Sattelschlepper. Den Motorradfahrer, der ihm entgegen kam, sah er damals nicht. Es kam zum Frontalzusammenstoß. Der 64-jährige Motorradfahrer erlag noch an der Unfallstelle seinen schweren Verletzungen.

Jetzt wurden die Details des Unfallabends wieder ans Licht geholt. Vor dem Ahauser Amtsgericht. Dass er am Steuer gesessen hatte, räumte der Angeklagte aus Borken dort am Dienstagmorgen sofort ein. Das hatte er auch während der ganzen Ermittlung getan.

„Wir waren nach einem schönen Tag in Enschede auf dem Rückweg nach Hause“, erklärte er mit niedergeschlagenem Blick. Mit seiner heute 18-jährigen Lebensgefährtin und deren 46-jährigen Vater hatte er im Auto gesessen.

Das Gebäude des Ahauser Amtsgericht, fotografiert durch einen der Torbögen
Eineinhalb Jahre nach dem tödlichen Unfall wurde der Fall jetzt vor dem Ahauser Amtsgericht verhandelt. Am Ende verurteilte der Richter den 29-jährigen Mann aus Borken zu einer Geldstrafe. Die Nebenkläger waren nicht damit einverstanden, das Verfahren gegen Auflagen einzustellen. © Markus Gehring

Ein ganzes Stück seien sie auf der B70 hinter dem Lastwagen hergefahren. „Ich hatte es nicht eilig“, betonte der Mann. Der Vater seiner Lebensgefährtin habe dann hinter der Kurve gesagt, er könne jetzt überholen. Er habe beschleunigt, sei ausgeschert und zum Überholen angesetzt.

„Den Motorradfahrer habe ich nicht gesehen“, machte er deutlich. Das Licht des Motorrads sei sehr dunkel gewesen. Selbst die Reflektoren am Straßenrand hätten heller gestrahlt.

Das Motorrad habe er erst gesehen, als es vielleicht noch vier oder fünf Meter vor ihm gewesen sei. Da habe er sich ungefähr auf der Hälfte neben dem Lastwagen befunden. „Meine Augen waren auf der Straße“, beteuerte der Mann. Da sei das Motorrad aber auch schon in die Front des Autos eingeschlagen. „Ich verstehe es bis heute nicht“, sagte er. Auf keinen Fall sei er abgelenkt gewesen. Auch eine Sehstörung habe er nicht.

Nach dem Unfall wurde bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Seinen Beruf als KFZ-Mechatroniker habe er danach nicht mehr ausüben können. Inzwischen arbeitet er als Autoverkäufer. Habe aber immer noch Albträume und Schlafstörungen.

Beifahrer bestreitet Aufforderung

Einen Kontakt mit den Hinterbliebenen habe er nach dem Unfall gesucht. „Es ist schwer, ihnen in die Augen zu sehen“, erklärt er. Deswegen habe er den Kontakt wieder einschlafen lassen.

Der Vater seiner Freundin bestätigte, dass niemand in dem Auto den Motorradfahrer gesehen habe. „Als wir zum Überholen rausgezogen sind, war das Motorrad plötzlich da“, erklärte er. Allerdings habe er den 29-Jährigen auf keinen Fall zum Überholen gedrängt. „Ich konnte vom Beifahrersitz doch gar nicht sehen, ob die Straße frei war“, sagte der 46-jährige Mann aus Südlohn.

Das habe ganz allein der Fahrer entscheiden müssen. Das schilderte allerdings auch die Tochter, die hinter dem Fahrer gesessen hatte, anders: „Papa meinte zu ihm, überhol mal“, erklärte die 18-Jährige vor Gericht. Auch sie habe dann aber nur noch das sehr schwache Licht von vorne kommen sehen.

Von der sehr dunklen Beleuchtung des Motorrads sprachen auch der Lkw-Fahrer aus Alstätte und ein weiterer Autofahrer, der hinter dem Angeklagten gefahren war. Allerdings hatten die beiden das Motorrad schon von weitem kommen sehen.

„Ich hab noch zu meiner Frau gesagt, dass der doch wohl nicht rausziehen wird, weil da doch ein Motorrad kommt“, erinnerte sich der 58-jährige Autofahrer aus Raesfeld. Zwischen dem Moment und dem Aufprall seien aber nur Sekunden wenn nicht noch weniger vergangen.

Für einen Moment stand im Raum, das Verfahren gegen eine Geldauflage von 2400 Euro einzustellen. Doch das lehnten die drei Vertreter der Nebenklage – die Ehefrau, die Tochter und der Sohn des Toten – nach kurzer Rücksprache und einer Unterbrechung ab.

Sie schilderten die traumatischen Folgen des Unfalls für die Hinterbliebenen. Einer der Vertreter hielt dem Angeklagten klar vor: „Für Sie war es eine unübersichtliche Situation. Sie hätten nicht überholt, wenn der Vater Ihrer Freudin nichts gesagt hätte.“ Dieses Verhalten bedürfe einer Verurteilung.

Zu wenig Zeit für Entscheidung

In einem langen und wohlwollenden Plädoyer hielt der Staatsanwalt dem 29-Jährigen seinen Fehler vor. Jeder passe im Straßenverkehr drei oder vier Mal am Tag nicht auf, nur bleibe das eben im Normalfall ohne Folgen. „Ein geliebter Mensch ist nicht mehr da, weil ein anderer nicht aufgepasst hat“, machte der Staatsanwalt deutlich. „Sie haben sich einfach zu wenig Zeit für ihre Entscheidung genommen, zu überholen“, hielt er dem 29-Jährigen vor. Auch wenn das Motorrad vielleicht schwach beleuchtet war, hätte er es sehen müssen.

Der Verteidiger hatte da nicht mehr viel hinzuzufügen. Dass es sich um fahrlässige Tötung handele, sei klar. Er erinnerte aber daran, dass sein Mandant alles von vornherein zugegeben habe und dass auch ihn die Folgen des Unfalls ein Leben lang begleiten würden.

Am Ende steht eine Geldstrafe

Wegen fahrlässiger Tötung verurteilte der Richter den 29-Jährigen zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätze zu je 50 Euro (4000 Euro). Dazu muss er die Verfahrenskosten, seine eigenen und die Auslagen der drei Nebenkläger tragen. „Sie haben sich in einem Sekundenbruchteil schlecht entschieden“, erklärte der Richter. Deswegen sei ein Mensch gestorben. Auch wenn die schwache Beleuchtung des Motorrads einen Anteil daran habe, bleibe es bei der Schuld.