Das Jahr 2026 rückt immer näher – und damit der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz an Schulen in NRW. In Südlohn und Oeding steigen die Zahlen schon jetzt immer weiter, die Mitarbeiterteams arbeiten sprichwörtlich am „Limit“. Dass das kommende Schuljahr noch handelbar, die Zukunft aber mit vielen Fragezeichen behaftet ist, war den Ausführungen im jüngsten Schulausschuss zu entnehmen. Bürgermeister Werner Stödtke nahm unterdessen Bund und Land noch einmal in die Pflicht. Eindringlich.
Wie die aktuellen Anmeldezahlen, die Viktoria Keller-Flinks von der K.i.d.S. gGmbH aus Bocholt für das kommende Schuljahr 2023/2024 in den beiden Betreuungsformen Offene Ganztagsschule (OGS) und VHTS (verlässliche Halbtagsschule (VHTS) vorlegte, belegen, steigt der Bedarf schon jetzt. Und zwar enorm.
Beispiel von-Galen-Schule in Oeding: Insgesamt sind dort bereits 109 Kinder (+13) angemeldet, bei 110 sei das Limit unter den aktuellen Bedingungen erreicht, erklärte Koordinatorin Sarah Dechering: „Wir waren auf den ersten Blick schon erschrocken.“ Die Lösung: „Der neue Container rettet uns aktuell ein wenig.“ Und das vor zwei Jahren eingeführte Gruppenkonzept. Dieses wird fester Bestandteil der Planungen zum Neubau.
Einige „schlaflose Nächte“
Nach einigen „schlaflosen Nächten“ könne man den Eltern so noch „ins Gesicht schauen“. Das Gute: Alle Kinder können aufgenommen werden, die Unterdeckung beim Personal sei aber offensichtlich. „Es darf quasi niemand krank werden, wir planen von Tag zu Tag“, berichtete Sarah Dechering. Mit Blick auf viele Unwägbarkeiten wie die Zuzüge von Flüchtlingskindern sei dies auf Dauer aber nur mit mehr Personal zu schaffen.
In Südlohn wird an der Vitus-Schule bekanntlich das teiloffene Konzept umgesetzt. Unterstützt wird dieses schon jetzt – nur kurze Zeit nach dem Neubau – durch einen Container. Auf satte 132 Kinder (+15) steigt die Zahl zum kommenden Schuljahr. „Damit ist unsere Grenze von 130 Kindern schon überschritten“, sagte Koordinatorin Astrid Weißmann-Janssen. Und man müsse immer mit Nachmeldungen rechnen.
Gerade zu den Stoßzeiten müssten bei diesem Konzept schon sehr viele Kinder in einem Raum betreut werden, was individuelles Arbeiten schwer mache. Fakt sei: „Wir können so keine weiteren Kinder aufnehmen.“ Dazu brauche man mehr Personal und auch mehr Raum.
Stichwort Personal: Dieses zu finden, sei auf allen Ebenen schwer, so Viktoria Keller-Flinks aus Sicht des Trägers K.i.d.S.. Auch weil die Jobs begrenzt attraktiv seien, gerade für junge Menschen. „Wir können keine Vollzeitstellen bieten.“ Dazu kämen 12, 13 Wochen Jahresurlaub. Die eigentlich guten Stundenlöhne relativierten sich so übers Jahr gestreckt. Auch deshalb sei das Durchschnittsalter der Mitarbeiter 45, was die Problematik in ein paar Jahren weiter dramatisiere: „Viele stehen bald vor der Rente.“
In diesem „absoluten Wettbewerb“ gehe es nicht nur ums Geld, sondern um Wertschätzung. Die Maßnahmen zahlten sich aus: „Die Mitarbeiter, die bei uns sind, die bleiben auch“, betonte Viktoria Keller-Flinks. Weil sie es gerne machten.
Zwei Ansätze zur Personalgewinnung: Zum einen betreibe man „Zukunftsarbeit“, indem verstärkt FSJ-ler und Praktikanten eingebunden würden, die „irgendwann einmal wieder zu uns kommen“. Zum anderen müsse man sich mehr denn je Quereinsteigern öffnen: „Jeder hat seine Talente.“ Aktuell sehe man sich bei K.i.d.S. gut aufgestellt, „das muss aber nicht so bleiben“.
Wo geht die Reise hin? „Wird die VHTS ab 2026 zum Auslaufmodell?“, fragte Karl-Heinz Hollstegge (WSO). Die Nachfrage nach OGS werde steigen, meinte Rainer Rosker, Geschäftsführer bei K.i.d.S-. Es gebe aber auch viele Eltern, die die Flexibilität des verlässlichen Halbtags wünschten.
Kann man sich noch beide Formen leisten? „Diese Diskussion haben wir seit Jahren, wir brauchen vor allem in Südlohn die VHTS“, betonte Werner Stödtke. Die Zahlen belegen dies: Während in Oeding weniger Eltern VHTS als die OGS gebucht haben (43 von 109), sind dies in Südlohn sogar mehr (71 von 132).
Gemeinde fühlt sich allein gelassen
Mit Blick auf den Rechtsanspruch ab 2026 monierte der Bürgermeister, dass bis heute keine Standards geschaffen seien: „Wo sind Bund und Land? Wie bei den Geflüchteten werden wir auch bei der Schulpolitik alleingelassen.“ Nicht nur quantitativ steige der Bedarf, auch die Betreuungsintensität nehme zu. „Die Lösung kann doch nicht sein, dass wir immer neue Container aufstellen.“
Werner Stödtke ergänzte: „Eigentlich muss der gebundene Ganztag kommen, mit Pädagogen, die vom Land bezahlt werden.“ Frei nach dem Motto: „Wer bestellt, der muss auch zahlen.“ Den Faden spann Rainer Rosker weiter: In Europa werde nahezu überall auf dieses Modell gesetzt. Mit Blick auf den Rechtsanspruch setze man in den Kommunen alles um in dem Wissen, „dass es nicht umsetzbar sein wird“. Werner Stödtke freue sich umso mehr, dass sich vor Ort ein „superverlässliches Projekt“ entwickelt habe.
Barbara Seidensticker-Beining (SPD) sicherte zu, diese Anliegen mit in den Jugendhilfeausschuss des Kreises zu nehmen. Iris Jediß (UWG) konnte bestätigen, dass bereits ein Schreiben des Kreises an das Land in Vorbereitung sei. Sie deutete an, dass für 2024 wohl Standards angekündigt seien – natürlich „viel zu spät“.