Sexueller Missbrauch einer Minderjährigen Gericht spricht 44-Jährigen von Vorwürfen frei

Sexueller Missbrauch: Gericht spricht 44-Jährigen von Vorwürfen frei
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Die Vorwürfe waren schwerwiegend: Ein heute 44-Jähriger aus Bocholt soll in der Zeit von 2009 bis 2018 die damals noch minderjährige Tochter seiner langjährigen Lebensgefährtin in Oeding sexuell missbraucht haben. Zunächst gar im Kindesalter.

Dafür musste sich der Bocholter nun vor der 10. Großen Strafkammer des Landgerichts Münster im Amtsgericht Bocholt verantworten. Vorweg: In der gut dreistündigen Verhandlung erhärteten sich die Vorwürfe nicht. Und: Bei der Aussage der Geschädigten sowie bei den abschließenden Schlussanträgen wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen.

In insgesamt sechs Fällen soll der 44-Jährige gegenüber der Tochter seiner langjährigen Lebensgefährtin übergriffig geworden sein. So ist es auch dem Protokoll zu entnehmen, das die zuständige Polizeibeamtin aus Münster in der Vernehmung der heute Anfang 20-Jährigen aufgenommen hatte. Dabei habe die Geschädigte „sehr gefasst gewirkt“, erklärte die Polizeibeamtin.

Gemeinsame Wohnung in Oeding

Unter anderem soll der Angeklagte die damals erst Sieben- bis Neunjährige im Intimbereich berührt haben, im jugendlichen Alter soll er dann sogar sexuelle Handlungen vorgenommen haben. Zu dieser Zeit lebte der Angeklagte mit der Mutter des Mädchens in einer gemeinsamen Wohnung in Oeding mit der Tochter unter einem Dach. Zuvor, bis 2017, wohnte das Mädchen bei ihrem leiblichen Vater, man traf dabei eine Wochenendregelung, wodurch sie Kontakt zum Angeklagten hatte.

Der Bocholter stritt die Vorwürfe umgehend ab: „Ich habe sie niemals angefasst.“ Er vermute, dass die Tochter ihm die Schuld dafür gebe, dass er ihre Eltern auseinandergebracht habe. Er habe sie „wie eine eigene Tochter angesehen“, habe sie später auch „vor den Drogen gewarnt“. Zu jener Zeit, als eine offensichtliche Drogenproblematik ins Leben der Tochter einzog, habe sich diese auch verändert, bestätigte ihr leiblicher Vater im Zeugenstand.

Immer schwieriger sei die Beziehung geworden, als die Tochter zur Mutter nach Oeding gezogen war. „Über sexuelle Übergriffe seitens des Angeklagten haben wir konkret nicht gesprochen“, berichtete der Vater. Wohl aber habe er Tagebucheinträge gefunden, die darauf schließen ließen. Darüber habe er auch mit seiner Ex-Frau gesprochen.

Von diesen Eintragungen aus der Zeit rund um 2014 berichtete auch die Mutter. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, was denn konkret in dem Tagebuch gestanden habe, sagte sie, „dass er sie angefasst hat und dass ich nicht da war“. Darauf konkret angesprochen habe sie ihre Tochter nicht.

„Es war eine schwierige Zeit, die Sache mit den Drogen wurde immer schlimmer, bis sie gar einmal nach Holland verschwand“, so die Mutter. Später sei sie in diesem Umfeld gar Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden. Das konnte der leibliche Vater bestätigen, das Verfahren war eingestellt worden.

Warum sie auf die Tagebucheinträge nicht konkret reagiert habe, wollte der Vorsitzende Richter noch einmal wissen. „Das war mir in dem Moment nicht so wichtig wie die Drogenproblematik“, antwortete die Mutter. Immer wenn sie ihre Tochter mit den Missbrauchsvorwürfen konfrontiert habe, habe sie „abgeblockt“. „Ich habe meiner Tochter eigentlich immer geglaubt“, meinte sie abschließend. Sie habe das Ganze auch „nicht wahrhaben“ wollen, im Nachhinein mache sie sich Vorwürfe.

Als weiterer Zeuge war ein ehemaliger Nachbar geladen. Diesem habe sich die Tochter einmal anvertraut, berichtete dieser. Offensichtlich nach einem Streit nebenan. Sie habe ihm im Vertrauen mitgeteilt, dass „immer mal wieder was vorgefallen“ sei. Zum Beispiel soll der Angeklagte seine Hand auf ihren Oberschenkel gelegt haben. Oder unaufgefordert das Bad betreten haben, als sie es nutzte. „Ich weiß nicht, was ich glauben sollte“, sagte der Zeuge.

Jugendamt wurde eingeschaltet

2018 hatte sich die Mutter dann ans Kreisjugendamt gewandt. Wegen sich mehrender Konflikte mit ihrer Tochter, berichtete der zuständige Sozialpädagoge. Darauf habe die Familie im Mai 2019 eine ambulante Familientherapie angetreten. Im Erstgespräch habe die Mutter auch von sexuellen Übergriffen durch ihren Lebensgefährten gegenüber ihrer Tochter erzählt.

Den Vorwurf habe die Tochter später wieder zurückgenommen. Wohl auch, weil sie ihre Mutter und den Lebensgefährten damit, also mit dem Vorwurf, auseinanderbringen wollte. „Danach war das konkret kein Thema mehr“, erklärte der Zeuge.

Freispruch lautete letztlich das Urteil des Gerichts. Diesem fehlten objektive Beweismittel. „Im Grunde haben wir nur die Aussagen von vermeintlichem Täter und Opfer“, so der Richter. Bei der (nichtöffentlichen) Aussage der Geschädigten hätte dem Gericht die notwendige Konstanz gefehlt. „Zu zwei Fällen konnte sie gar keine Aussage treffen“, merkte der Richter an. Auch seien die Übergriffe ganz pauschal dargestellt worden und lägen diese lange zurück.

„Das alles reicht für eine sichere Überzeugungsbildung nicht aus“, betonte der Vorsitzende Richter. Er schob gleich hinterher: „Das bedeutet nicht für uns, dass sie gelogen hat und dass nichts vorgefallen ist.“ Im Zweifel für den Angeklagten – so hätten es Staatsanwalt und Verteidigung auch bereits gesehen.