Zukunft der Augenpraxis in Stadtlohn ungewiss Matthias Gerl denkt über Verlegung nach

Zukunft der Augenarztpraxis ungewiss: Matthias Gerl erwägt Verlegung
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„Ist hier kein Augenarzt mehr?“ Ein Mann schaut am Dienstagmorgen (16. Januar) durch das Fenster in die dunklen, menschenleeren Räume der Augenpraxis an der Klosterstraße. „Ich habe ein Problem mit meinen Augen und wollte den Arzt mal nachschauen lassen“, erzählt er. Einen Termin hat er allerdings nicht vereinbart.

Am Telefon oder im Internet hätte er erfahren, dass in der Stadtlohner Augenarztpraxis bis auf Weiteres keine Patienten mehr behandelt werden. Seit Jahresbeginn ist die Praxis geschlossen. Auf der Homepage der Augenärzte Gerl & Kollegen heißt es: „Leider wird unsere Praxis in Stadtlohn aufgrund des vorherrschenden Fachkräftemangels vorerst geschlossen bleiben.“

Augenarzt Matthias Gerl vor der Augenklinik in Ahaus
Augenarzt Matthias Gerl vor der Augenklinik in Ahaus © Stefan Grothues

„Mir tut das sehr leid, dass wir diesen Schritt gehen mussten“, sagt dr. Matthias Gerl am Freitag (19. Januar) im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Ahauser Augenarzt ist geschäftsführender Gesellschafter des Verbundes „Augenärzte Dr. Gerl & Kollegen“ und der Augenklinik. Wie es weitergeht, ist noch offen.

15 Augenärztinnen und -ärzte arbeiten an den Standorten Ahaus, Raesfeld, Ochtrup, Coesfeld und bislang auch in Stadtlohn. Jedes Quartal werden im Verbund 12.000 bis 15.000 neue Patientinnen und Patienten behandelt. Der Stadtlohner Augenarzt Dr. Bernd Neulken hatte sich 2011 dem Verbund angeschlossen. Zwei Jahre später zog die Praxis von der Dufkampstraße in die Klosterstraße um.

Ärztemangel macht Probleme

Insgesamt über 35 Jahre praktizierte Augenarzt Bernhard Neulken in Stadtlohn. 2019 verabschiedete er sich in den Ruhestand. Nachfolger war Ammar Jabur, der Stadtlohn allerdings schon 2022 wieder verließ.

„Seither haben wir den Praxisbetrieb nur eingeschränkt mit wechselnden Kollegen an drei Tagen die Woche aufrechterhalten können“, sagt Matthias Gerl. Der Facharztmangel fordert seinen Tribut.

Gerl: „Hier auf dem Land ist es noch schwieriger als in den Großstädten, Augenärzte zu finden.“ Hinzu komme, dass große, international agierende Augenarztketten zahlreiche Praxen aufkauften und im Wettbewerb um Fachärzte kleinere Praxen mit hohen Gehaltsangeboten ausstächen.

Verlegung angestrebt

Wie es mit der Augenarztpraxis in Stadtlohn weitergeht, muss in den nächsten sechs Monaten entschieden werden. „Wenn die Praxis länger als ein halbes Jahr ruht, dann geht die kassenärztliche Zulassung verloren“, sagt Matthias Gerl.

Es muss also nur ein geeigneter Kollege oder eine geeignete Kollegin gefunden werden, damit Stadtlohn weiterhin Sitz eines Augenarztes bleibt? „Nein“, sagt Matthias Gerl. Er macht kein Geheimnis daraus, dass er den Praxissitz am liebsten nach Ahaus verlegen würde.

Entscheidung noch offen

Es sei effizienter, in größeren Einheiten zu arbeiten, so Gerl. Denn es herrsche auch ein Mangel bei den Medizinischen Fachangestellten. Und die geringe Entfernung zwischen Ahaus und Stadtlohn sei für die Patienten zumutbar. Drei der fünf in Stadtlohn beschäftigten Medizinischen Fachangestellten haben eine neue Stelle im Verbund angetreten. Zwei weitere haben auf eigenen Wunsch den Arbeitgeber gewechselt.

Dass die Kassenärztliche Vereinigung einer Praxisverlegung nach Ahaus zustimmt, ist nach Gerls Einschätzung aber eher unwahrscheinlich. Die Versorgungsquote mit Augenärzten sei in Ahaus längst übererfüllt. Alternativ ist für Matthias Gerl auch eine Verlegung der Praxis von Stadtlohn an die Verbundstandorte Coesfeld oder Raesfeld denkbar. Eine Entscheidung sei aber noch nicht gefallen.

Großer Patientenzulauf

„Wenn es zu einer Schließung des Standortes Stadtlohn kommen sollte, täte mir das persönlich ein bisschen weh. Wir haben sehr viel Herzblut in diesen Standort gesteckt. Ich selber habe dort ja auch an einem Tag in der Woche praktiziert“, sagt Matthias Gerl.

Auch die Akzeptanz des Stadtlohner Standortes bei den Patienten sei hoch gewesen. Gerl: „Es sind ja nicht nur die Stadtlohner in die Praxis gekommen, sondern auch viele Patienten aus dem Südkreis.“

Erste Augenpraxis schon 1894

Die Schließung der Praxis würde auch das Ende einer langen Augenarzttradition in Stadtlohn bedeuten. Schon 1894 ließ sich Dr. Engelbert Decking als Augenarzt an der Dufkampstraße in Stadtlohn nieder.

Sein hervorragender Ruf und seine Erfolge bei Staroperationen verbreiteten sich über die Grenzen Stadtlohns hinaus, weiß Stadtarchivar Ulrich Söbbing zu berichten. Viele Erblindete erhielten durch seine Behandlung ihr Augenlicht zurück. Schon 1896 wurde das Krankenhaus „Maria Hilf“ um eine Augenstation erweitert, wo 25 bis 40 Patienten aufgenommen werden konnten.

Eine Gruppe von Augenpatienten auf einem historischen Foto
Augenpatienten von Dr. Engelbert Decking, der vor 130 Jahren die erste Augenarztpraxis in Stadtlohn eröffnete. © Stadtarchiv Stadtlohn

Zu seiner Unterstützung zog im September 1935 der Augenarzt Dr. Helmut Machemer nach Stadtlohn und eröffnete im März 1939 eine eigene Praxis. Bis Anfang der 1970er-Jahre blieb Stadtlohn Sitz eines von nur zwei Augenärzten im gesamten Kreis Ahaus.

Nachdem Dr. Helmut Machemer zu Kriegsbeginn als Soldat eingezogen und 1942 in der Ukraine gefallen war, wurde im Januar 1946 die Tradition der Stadtlohner Augenarztpraxen von Dr. Gregor Koletzko fortgesetzt, bevor ab August 1953 Dr. Curt Voigt praktizierte.

Helmut Machemer gab sein Leben für seine Familie