Eigentlich sei ja Großbritannien das Ziel ihrer Flucht gewesen. Bachir Karsifi muss schmunzeln. Das Schicksal habe es aber so gewollt, dass er mit seinem Bruder letztlich in Köln und damit in Deutschland gelandet ist. Eine glückliche Fügung, eine sehr glückliche gar. Heute, rund acht Jahre später, haben die beiden Syrer in Stadtlohn eine zweite Heimat gefunden.
Beide haben mittlerweile eine Ausbildung abgeschlossen, der 25-Jährige ist seit Januar junger Geselle bei Albert Reiff Backofenbau. Gelebte Integration, eine Erfolgsgeschichte. Und beide Seiten wissen, wem das vor allem zu verdanken ist: der ehrenamtlichen Betreuung.
Bachir Karsifi wirkt angekommen. Dass sich alles so entwickeln sollte, das war bei seiner Flucht so nicht abzusehen. In diesen unübersichtlichen Zeiten zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts. Mit den Eltern sind die beiden Brüder aus Damaskus in die Türkei geflohen. Vor allem, um sich dem Militär zu entziehen. Die Eltern gingen zurück. Im Gegensatz zum Bruder wollte Bachir hinterher: „Ich hatte schon Tickets für den Flieger.“ Er habe aber letztlich nicht ausreisen dürfen, „das Geld war somit weg“.
Mit dem Bruder Richtung Köln
So schloss sich der Syrer seinem Bruder an. Zu Fuß, mit dem Zug und dem Auto ging es für die beiden über Ungarn nach Wien. Dort setzten sie sich in den Zug über München Richtung Köln. „Da sind wir dann irgendwann eingeschlafen“, erinnert sich der 25-Jährige und lacht. Irgendwo in Köln sei man dann ausgestiegen. Und erstmal zu McDonalds, weiß er noch genau: „Wir hatten 13 Stunden nichts gegessen.“ Dort endete die Reise dann auch vorzeitig, sie wurden erkannt. Nach 21 Tagen.

Über Dortmund, Düren, Wickede führte der Weg nach Stadtlohn. Dort hätten beide eben eine sehr gute ehrenamtliche Betreuung an die Hand bekommen. „Das war für alle die glücklichste Fügung, auch für uns“, blickt Carina Reiff, die mittlerweile die dritte Generation in der Geschäftsleitung darstellt, zurück. Es wurde sich um eine Wohnung gekümmert, die Betreuer vermittelten später ein dreiwöchiges Praktikum bei Reiff.
Da er im Unterschied zum Bruder noch nicht volljährig war, stand für Bachir zunächst die Schule auf dem Programm. „In Syrien hatte ich das Abitur gemacht, das wurde aber nicht anerkannt.“ Und so machte er den Schulabschluss am Berufskolleg in Ahaus nach, lernte fleißig Deutsch – so wie sein Bruder es bei der VHS tat. Aus heutiger Sicht das Wichtigste, weiß der Syrer, der mittlerweile sogar ein Einbürgerungsverfahren erfolgreich abgeschlossen hat.
Zurück zum Praktikum: „Nach einer Woche habe ich mich mit meinem Team zusammengesetzt: Den Jungen müssen wir fördern“, erinnert sich Albert Reiff noch genau an diese Zeit. Der Geschäftsführer hatte einen „Diamanten“ erkannt, der schon „leicht geleuchtet“ habe. „Er zeigte sofort vollen Einsatz, war handwerklich geschickt“, berichtet Heike Reiff. Und wissbegierig: „Wenn man ihm was gezeigt hat, dann hat er es nachgemacht“, so Albert Reiff. Nie vergessen werde er, wie der junge Praktikant zum ersten Mal am Plasmagerät seinen Namen geschrieben habe.
Dieser Eindruck hallte nach: „Eigentlich bilden wir ja gar nicht aus, aber hier wollten wir unbedingt eine Ausnahme machen“, meint Carina Reiff. Das Sprungbrett lieferte ein sogenanntes Einstiegsqualifizierungsjahr, in dem man sich „beschnuppern“ konnte: „Das hat super geklappt.“ Und so ging es direkt in die Ausbildung zum Mechatroniker. So wie beim Bruder, der heute IT-Fachmann ist. Für Bachir auch eine neue Erfahrung: „In Syrien geht man nach dem Abitur direkt arbeiten.“
„Das ist schon ne Hausnummer.“ Wenn Albert Reiff daran denkt, was einem Azubi zum Mechatroniker abverlangt wird, dann könne er nur den Hut ziehen. Vor allem beim theoretischen Part. „Das war schon schwieriger“, berichtet Bachir. Auch hier gab es große Unterstützung, zum Beispiel von der Kreishandwerkerschaft, die sich um die Nachhilfe nach der Arbeit kümmerte. „Der Draht zur Schule war sehr eng“, erinnert sich Carina Reiff.
In der Praxis hätten sich alle eingebracht, das Unternehmen habe ja „keine Routine in Sachen Ausbildung“: „Jeder hat ihn in seinem Bereich unter seine Fittiche genommen.“ Oder anders: „Die ganze Firma hat ihn ausgebildet.“ Carina Reiff konnte ihm zum Beispiel beim Thema Wirtschaft helfen. Dort, wo der „kleine Betrieb“ an seine Grenzen gestoßen war, unterstützte die Nachbarschaft. „Wir haben zum Beispiel gar keine CNC-Fräse oder Kantgeräte“, erklärt Carina Reiff.
Große Unterstützung von vielen Seiten
Dann nutzte das Team die Expertise im Umfeld, zum Beispiel bei Waesta. „Gerade mit Blick auf die Prüfungen unersetzlich, da sind wir unheimlich dankbar“, weiß Albert Reiff. Der Rest sei über die BBS gelaufen. Mit Erfolg, wobei Bachir mit dem Ergebnis der Zwischenprüfung nicht ganz zufrieden gewesen sei. „Da hat er sich noch mal richtig auf den Hosenboden gesetzt“, berichtet Albert Reiff. Bachir könne heute so einiges, was andere Mechatroniker nach Jahren noch nicht könnten. Und er habe in Fächern gut gepunktet, wo man überhaupt nicht damit gerechnet habe. Zum Beispiel eben in Wirtschaft.

Seit Januar ist er nun als Geselle bei Reiff angestellt. Und voll integriert. „Er fährt sogar schon eigenständig auf Kundendienst“, erklärt Albert Reiff. Bachir komme einfach gut an. Da habe er „richtig Spaß dran“, ist dem Geschäftsführer die Freude anzumerken. Er kennt den Markt und die Sorgen hinsichtlich des Fachkräftemangels.
Syrer wird zum Familienmitglied
Der junge Geselle sei irgendwie zu einem Familienmitglied geworden. „Er hat uns auch um Hilfe gebeten bei Dingen, die nicht die Ausbildung betreffen“, blickt Heike Reiff zurück. Zum Beispiel bei Arzt- oder Behördengängen. „Natürlich war nicht immer alles einfach, es prallen ja auch verschiedene Welten aufeinander“, weiß sie. Aber das gehöre in den besten Familien dazu – und Bachir sei ja quasi ein Mitglied der Familie. „Wir haben viel voneinander gelernt“, betont Heike Reiff.
Parallel hat sich Bachir mit seinem Bruder auch ein soziales Fundament aufgebaut. Er kickert in einer Mannschaft in Vreden, spielt mittwochs Fußball. „Ich fühle mich einfach wohl“, sagt er. Er wirkt zufrieden und richtet sich weiter in Stadtlohn ein. In einem sicheren Umfeld und immer in dem Wissen, dass er auf diesem Weg auch viel Glück gehabt hat. „Ohne die ehrenamtliche Unterstützung hätte es auch passieren können, mal in falsche Kreise zu geraten“, betont Bachir noch einmal. So wie bei anderen 17-Jährigen nun mal auch…
- Dieser Artikel ist am 30. April 2024 erstmals erschienen.