Zufrieden schläft Fritzi am Montag (14.4.) auf dem Schoß von Mutter Daniela, der große Bruder Ben (9) streichelt ihr sanft über den Kopf, fiebert spürbar dem anstehenden Schulwechsel entgegen. Familienhund Chukko schaut kurz um die Ecke. Alles wirkt normal. Nichts deutet darauf hin, dass sich das 18 Monate alte Kleinkind rund um die Jahreswende 2023/24 in einer lebensbedrohlichen Situation befand. Dramatische Tage für die junge Familie. Das Glück im Unglück führte die Familie ans Universitätsklinikum Münster (UKM). Diagnose: „Morbus Pompe“. Ein schwerer Gendefekt.

Ein Wettlauf mit der Zeit begann. Dank eines noch nicht zugelassenen Medikaments blickt Fritzi heute einer (fast) normalen Kindheit und Entwicklung entgegen. Und: Die Stadtlohner wollen vor allem auch anderen betroffenen Eltern Mut machen.
Dramatische Tage im Advent
Daniela Oenning erinnert sich noch genau an den Tag, der das Leben der Familie verändern sollte. „Wir waren auf der Adventsfeier von Ben. Fritzi bekam einen Hustenanfall, ein trockener Husten, der einfach nicht aufhören wollte“, so die Mutter. Gerade einmal acht Wochen war die Tochter alt.
Im Glauben an einen leichten Infekt fuhren sie und Vater Dirk Könning mit Fritzi vorsorglich zum Krankenhaus nach Coesfeld. Auf dem Weg beruhigte sich die Tochter, die Eltern fuhren dennoch durch. Eine erste glückliche Fügung.
Denn: Im Krankenhaus in Coesfeld stellte eine Ärztin fest, dass im linken Lungenflügel des Mädchens keine Atemgeräusche wahrnehmbar waren. Da das Krankenhaus ausgelastet war, überwies sie Fritzi an das St. Franziskus-Hospital in Münster.
„Dort entdeckten die Ärzte per EKG und Ultraschall ein etwa fünf- bis sechsfach vergrößertes Herz, das praktisch den gesamten linken Lungenflügel verdrängt hatte“, blickt Daniela Oenning zurück. Umgehend sei ein RTW bestellt worden, um das Kind zum UKM zu bringen.
Prof. Thorsten Marquardt, Leiter des Schwerpunktes Stoffwechselerkrankungen an der UKM-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, nahm sich sofort der jungen Patientin an. Ein nächster glücklicher Umstand. Einen solch intensiven Krankheitsverlauf nach der Geburt hatte dieser in über 30 Jahren noch nicht gesehen, heißt es in einer Pressemitteilung des UKM. Der Verdacht auf „Morbus Pompe“ kam ihm und seinem Team glücklicherweise schnell.
Zur Erklärung: Bei dieser Erkrankung fehlt dem Körper ein Enzym, das die Zuckerkette Glykogen abbaut. Dadurch sammelt es sich in den Muskeln und macht diese funktionsunfähig. Muskelschwäche und ein stark vergrößertes Herz sind typische Symptome. Bei Fritzi hatte sich „Morbus Pompe“ noch nicht auf die Muskeln ausgewirkt, wohl aber eben aufs Herz.
Etwa einer von 40.000 Menschen ist davon betroffen – damit zählt die Pompe-Erkrankung nicht nur zu den seltenen (einer von 2.000), sondern sogar zu den ultraseltenen Erkrankungen (einer von 10.000). „Als ich 1992 am UKM angefangen habe, war das gar nicht behandelbar und man musste den Eltern nach der Diagnose sagen, dass ihr Kind den ersten Geburtstag nicht erleben wird“, blickt Thorsten Marquardt zurück.
Als 2006 die erste und bis heute noch übliche Therapie zugelassen wurde, veränderte sich die Prognose für die Betroffenen – sie überlebten immer öfter bis ins Jugendalter, lagen aber oft bewegungsunfähig an der Beatmungsmaschine. Oder waren an einen Rollstuhl gebunden, so das UKM.
2019 hatte Marquardt einen jungen Patienten, bei dem diese Therapie das Fortschreiten der Krankheit aber nicht verlangsamte. Der Mediziner begann zu recherchieren und stieß auf ein US-amerikanisches Unternehmen, dessen Medikament bis dahin aber weder zugelassen noch überhaupt an Kindern erprobt war. Dem Jungen wurde es damals im Rahmen eines Einzelheilversuchs verabreicht und hatte eine Wirkung, die alle Erwartungen übertraf.
Daran erinnerte sich Thorsten Marquardt genau jetzt. Fritzi musste aber zunächst noch auf die Verdachtsdiagnose „Morbus Pompe“ getestet werden. „Das alles war eine schlimme Zeit“, blickt Fritzis Vater Dirk auf die Tage zurück.
Erkenntnisse fließen in Studie ein
Bei Fritzi bestätigte sich der Verdacht, doch das US-Unternehmen wollte das Mittel kein zweites Mal – zumal für ein noch so junges Kind – zur Verfügung stellen, solange kein Versuch mit dem bisherigen Medikament unternommen worden war. Angesichts der dramatischen Lage wandte sich der Arzt direkt an den Geschäftsführer. Mit Erfolg.
Fritzi bekam als weltweit zweites Kind das Medikament, das im Wesentlichen das fehlende Enzym enthält – und zeigte sofort Verbesserungen. Mittlerweile fließen diese Erkenntnisse aus Münster in eine multinationale Studie des Herstellers ein. „Wir alle hoffen auf eine baldige Zulassung“, betont Daniela Oenning. Dass ein großes Team an Ärzten so schnell und zusammen gearbeitet habe, sei für die Familie wie ein großer Jackpot gewesen, meint Dirk Könning.
Von Dezember bis Ende Januar änderte sich der Status bei Fritzi von „lebensbedrohlich“ auf „unter Beobachtung“. Zunächst musste das Immunsystem des Mädchens noch zweimal jährlich heruntergefahren werden, damit die Körperabwehr das Medikament nicht abstößt. Selbst das ist Geschichte.
„Fritzi baut ihr eigenes Immunsystem auf“, berichtet Daniela Oenning. Wöchentlich fährt die Familie zum UKM zur Enzymgabe. Die einzige „Einschränkung“, die sie begleitet. Und die man „sehr gerne in Kauf“ nehme und die Fritzi sehr tapfer durchstehe. Ansonsten ist sie symptomfrei.
Unlängst habe Fritzi noch an einem Physiotest teilgenommen, um ihre Entwicklung einzuordnen. Zum Beispiel in Sachen Feinmotorik. „Sie ist weiter als sie mit 18 Monaten sein müsste“, erklärt die Mutter. Auch Kardiologen könnten kaum glauben, dass bei der Stadtlohnerin diese schwere Erkrankung diagnostiziert ist. Selbstverständlich schaue man bei ihr genauer hin, versuche sie zu schützen. „Gerade beim Thema Fieber sind wir sensibel“, meint Dirk Könning.
Auch wenn es dramatische Tage gewesen seien – rückblickend sei man dankbar, dass alle von Beginn an so offen mit dem Thema umgegangen sind, meint Vater Dirk. Entsprechend gehe man selbst bewusst offen damit um, um auch anderen Betroffenen Mut zu machen – auch im Sinne des Teams um Prof. Marquardt. So hätten sich bereits zwei Eltern von Säuglingen im Nachgang an die Pressemitteilung am UKM gemeldet. Und gar aus Dänemark nimmt eine Familie regelmäßig den Weg nach Münster auf sich.
Fritzis Weg soll anderen Mut machen
Zum Pharmaunternehmen in den USA hält die Stadtlohner Familie selbst sogar Kontakt. Besonders emotional sei die Reaktion gewesen, als man dem Team Bilder einer laufenden Fritzi schickte. Eine besondere Motivation. „Wir dürfen nicht vergessen, dass dort zu einer ultraseltenen Erkrankung geforscht wird“, so Dirk Könning.
Fritzi ist mittlerweile aufgewacht, beginnt neugierig zu schauen und zu quasseln. „So ist sie“, meint Mutter Daniela und lacht. Ab August soll das Mädchen in eine Großtagespflege gehen, eine kleine Gruppe mit neun Kindern. Ein nächster von vielen kleinen Schritten.
Schritte, die hoffentlich schon bald viele andere betroffene Eltern machen können. Dass sie mit ihrer Geschichte ein „Sonderfall“ sind, das betont Vater Dirk auch noch einmal. Enorm dankbar, bei aller immer noch latenten Ungewissheit die Zukunft betreffend.
Und dass dieser Weg für viele andere Kinder nicht möglich war und häufig noch immer nicht möglich ist, das erfährt die Familie bei ihren regelmäßigen Besuchen in der Tagesklinik in Münster. „Wir hatten sehr viel Glück“, sagen Daniela Oenning und Dirk Könning unisono.