Nein, einen Geschichte-Leistungskurs hatte sie am Geschwister-Scholl-Gymnasium gar nicht belegt. „Das hab ich mir damals nicht zugetraut“, erzählt Leonie Vinkelau und lacht. Deutsch/Englisch und dann eben Geschichte im mündlichen Abi, das passte. Dass die 27-Jährige einmal in der Geschichte den beruflichen Anker finden werde, das stand für sie aber früh fest: „Ich wollte schon als Kind Ägyptologin werden.“
Als die Stelle der Leitung der Archive für die Stadt Stadtlohn und die Gemeinde Südlohn zum Ende des vergangenen Jahres ausgeschrieben wurde, da bot sich ihr die einmalige Chance. Und die Bewerbung war erfolgreich. Ab dem 1. September tritt die Stadtlohnerin die Nachfolge von Ulrich Söbbing an. Seit April wird sie bereits eingearbeitet. „Ein besonderes Privileg“, wie sie berichtet.
Für Kontinuität ist gesorgt
Nach mittlerweile 33 Jahren endet zum 1. September schon eine Ära. Wenn Ulrich Söbbing in den Ruhestand tritt, dann übernimmt Leonie Vinkelau durchaus eine Art „Lebenswerk“, wie sie selbst sagt. Sie strahlt dabei, die (Vor-)Freude ist der Stadtlohnerin anzumerken. Die Freude auch darüber, dass es mit der Bewerbung geklappt hat.
Ulrich Söbbing selbst spürt eine „gewisse Wehmut“, freut sich ebenso auf mehr Freizeit und umso mehr, dass für Kontinuität gesorgt ist. Und dass sich junge Menschen noch für dieses wichtige Thema interessieren: „Wir hatten sogar mehr Bewerbungen als gedacht. Aus der Region, aber auch bis nach Lübeck.“
Leonie Vinkelau stand mit ihrer Ambition am Gymnasium durchaus ein wenig allein auf weiter Flur. „Eine Mitschülerin hat tatsächlich auch Geschichte studiert, die hab ich in Münster wiedergetroffen“, berichtet die 27-Jährige. An der Uni dort hat die Stadtlohnerin neben Geschichte noch Latein studiert – „Latein lag mir immer gut, deshalb passte die Kombination“. Nach dem Doppel-Bachelor legte sie noch den Master of Arts (M.A.) in Geschichte nach. Dass es nicht Richtung Lehramt gehen sollte, war früh klar.
Im LWL-Medienzentrum sammelte sie erste Eindrücke von der Archivarbeit, konkret im Bildarchiv. Erste berufliche Erfahrungen machte sie dann für zehn Monate im Landesarchiv NRW in Duisburg, es folgte eine Phase am Ordensarchiv der Clemensschwestern in Münster. Bis zum 1. April „die Heimat rief“.

Jürgen Assing, seit rund 15 Jahren bereits für das Stadtarchiv tätig, hatte es irgendwie vorausgeahnt. „Wenn der Ulrich mal aufhört, dann bist du dran“, habe er einst zur neuen Kollegin gesagt. Denn für Leonie Vinkelau sind das Stadtarchiv und der Heimatverein keine Unbekannten. Sie arbeitet im Arbeitskreis Stadtlohner Geschichte mit, machte während des Studiums ein Praktikum im Archiv. Und fühlte sich in der ehemaligen Marienschule gleich „pudelwohl“.
Abwechslungsreiches Berufsfeld
Weit weg vom „angestaubten Klischee“ sei die heutige Arbeit eines Archivars. „Wir schieben keineswegs Akten nur von links nach rechts. Jeder Tag ist neu, jeder Tag ist anders“, erklärt Leonie Vinkelau. Neben den ständigen Themen wie der laufenden Digitalisierung gebe es immer wieder Schwerpunktthemen; Schwerpunkte, die man selbst setzen könne.
So bearbeitet die 27-Jährige derzeit das Archiv für die St.-Georgius-Schützengilde. „Superspannend.“ Noch zu Beginn der Woche hatte das Archivteam Besuch von einer Familie aus Brasilien, deren Vorfahren einst aus Stadtlohn ausgewandert waren.
„Manchmal steht auch einfach jemand mit einer großen Kiste in der Tür“, berichtet die Stadtlohnerin. Dann werde ihr Instinkt als „Schatzsucherin“ geweckt, sagt sie lächelnd. Wer übrigens solche Kisten zu Hause horte, der sei stets eingeladen. „Viele Menschen wissen gar nicht, welche Schätze sie in ihren Beständen haben.“
Familiennachlässe oder auch Hofarchive seien immer für die eine oder andere Überraschung gut. „Wenn man den Menschen dann helfen kann, dann macht das nicht nur diese, sondern auch mich selbst glücklich“, sagt die 27-Jährige. Sie denkt dabei auch an Schüler und Studenten, die sie bei der Anfertigung von Arbeiten unterstützen kann.
Der Mensch spielt für die Archivarin eben auch eine besondere Rolle. Es gebe kein besseres Netzwerk als die Vereinsarbeit, um an die Menschen und deren Geschichte(n) heranzukommen. „Wir sind ja nicht nur das Gedächtnis der Stadt oder Gemeinde, wir sind das Gedächtnis der Einwohner, der Gesellschaft“, betont sie.
„Da wird unsere wertvolle Arbeit sowohl in Stadtlohn als auch in Südlohn sehr wertgeschätzt“, spricht Ulrich Söbbing aus Erfahrung. Beispiel Stadtlohn: Dort kennt er die Entwicklung „vom Dachboden“ im Rathaus hin zur eigenständigen Nebenstelle Butenstadt.
Fünf Monate Einarbeitungsphase
Die fünf Monate bis zur offiziellen Übernahme nutze sie nun, um dem Team „über die Schulter zu schauen“. Oder wie jüngst bei einem kleinen Stadtrundgang markante Punkte zu erfahren – wie Berkel, Hünenburg oder Kapelle. Einen besonderen Vorteil hat sie bereits ausgemacht: „Als ausgebildete Historikerin kann ich in einem verhältnismäßig kleinen Archiv noch als solche arbeiten. Ganz nah dran am Menschen“, erklärt Leonie Vinkelau.
Sie kenne ja auch die Arbeit in Großarchiven wie in Duisburg, wo man auf eins, zwei Themenbereiche lange festgelegt bleibe. Sie wisse auch, dass Ulrich Söbbing dem Archiv einen großen Stempel aufgedrückt habe, werde natürlich auch eigene Ideen einbringen. An der Aufgabenverteilung für Stadtlohn und Südlohn werde sich nichts ändern.
Ob sie denn als junger Mensch noch Zukunftsträume habe? „Stadtlohn ist meine Heimat, schon im Studium bin ich gependelt“, betont die 27-Jährige. Aus der „Traumstelle“ solle bestenfalls eine „Lebensanstellung“ werden. „Die Arbeit wird schon nicht ausgehen“, schiebt sie hinterher und lacht. Der eine oder andere wird mit seiner Kiste schon noch in der Tür stehen…