Als die ersten Mitglieder des Spielmannszuges der Stadtlohner Karnevalsgesellschaft am Rosenmontag gegen Mittag im Gasthaus Schlüter eintreffen, da herrscht auf der Grabenstraße noch Ruhe. „Gespenstische“ gar, quasi die Ruhe vor dem Sturm.
Denn es sollte nicht nur windig, sondern richtig voll werden. Die Vorahnung von Marlies Dapper, der ersten Vorsitzenden, wird sich später bewahrheiten. Schon zum Kinderumzug am Sonntag schunkelten viele Närrinnen und Narren zu den Liedern des Spielmannszuges und der anderen Kapellen.

Dass dieser Zug buchstäblich keine Bremse haben sollte, deutete sich früh an. Schon die ersten Meter waren gespickt mit einem spontanen Geburtstagsständchen und Zugabe-Rufen zum ersten von vielen „Stadtlohn an de Bäke“ – übrigens passend auch zum Motto des Wagens der Gruppe.

Leo Waldmann ist um kurz 12 vor dem Vereinslokal Schlüter die Vorfreude anzumerken. Auf den 14-Jährigen wartet der erste Rosenmontagsumzug – zumindest als aktiver Flötist. Schützenfeste und Co. habe er 2022 schon komplett mitgenommen: „Rosenmontag ist aber schon noch was Besonderes“, berichtet er.
Den Umzug kenne er übrigens gar nicht zum Zuschauen, er war immer mittendrin. Kein Wunder: Mutter Tanja ist selbst Musikerin, Schwester Ida (11) nimmt schon mal auf dem Wagen Platz. „Die Kinder waren immer dabei“, erzählt Tanja Waldmann.

Mittlerweile ist auch Marlies Dapper eingetroffen. Der erste Eindruck: „Klasse, wir haben in diesem Jahr schon eine starke Mannschaft.“ Gerade der Nachwuchs suche sonst schon mal die Alternative auf dem Mottowagen der Clique. Die Vorsitzende freut sich auch sonst, dass der Spielmannszug der Karnevalsgesellschaft gut durch die Corona-Zeit gekommen sei. Noch immer führe man rund 50 Mitglieder einschließlich der jungen Spielleute, davon an die 30 Aktive.
Das sei nicht selbstverständlich, verweist die Stadtlohnerin auf Kapellen und Musikvereine, die Verluste zu beklagen hätten. Sie weiß aber auch: „Wir müssen dafür arbeiten.“ Auch mit rund 45 Jahren Erfahrung habe sie selbst wieder viel trainieren müssen – zum Beispiel für die Schützenfestsaison als wichtigem Standbein.

Auf die tollen Tage hat sich der Spielmannszug seit dem 11.11. eingestimmt – so wie erstmals zur Karnevalssession 1976/77 nach Gründung des Spielmannszuges. Die Büttabende wurden begleitet, ebenso die Karnevalsmesse, ein weiterer Höhepunkt.
Über Wochen wurde der Wagen vor allem unter Federführung von Claus Dapper mit dem markanten Marktpütt gebaut – so wie „alle paar Jahre“, einschließlich Malheur am Bogen: „Wir mussten den Wagen noch neu herrichten“, so Marlies Dapper. Man sei eben nie vor Überraschungen gefeit. Auch wurden die Kostüme gewählt, auf Eskimos fiel die Wahl.

Schwung für den Stadtlohner Rosenmontagsumzug hat sich die Mannschaft beim Umzug in Gescher geholt. Eine Erkenntnis: „Die Menschen freuen sich über echte Karnevalslieder.“ Der musikalische Leiter Thomas Schulte, der vorab aus den Händen von Bernd Schöning noch den Karnevalsorden der KG in Empfang nehmen darf, hatte am Repertoire gefeilt – neben den Stadtlohner Schunkelliedern oder auch kölschen Klängen gibt es auch Aktuelles. „‘Wir sagen Dankeschön‘“, nennt er einen Ohrwurm, der in dieser Session nicht fehlen darf. Und eben der Zug, der keine Bremse hat. Und der „ruft“ mittlerweile.

Gegen 12.45 Uhr stellt sich der Spielmannszug vor dem Lokal auf, begleitet von einigen Mitgliedern der KG. Noch immer ist es ruhig auf der Grabenstraße, „Heidewitzka, Herr Kapitän“, der „Treue Husar“ und „Viva Colonia“ sind weithin zu hören.
Nach einem „vorschriftsmäßigen Halt“ an einer roten Ampel ändert sich das Bild bald, als sich der Spielmannszug keine zehn Minuten später der Spitze des Zuges nähert, um sich dann von vorne bis hinten den Weg durch den närrischen Lindwurm zu bahnen. Es wird in Teilen laut – bis Platz 47.
Ein guter Platz? Das passe schon, meint Marlies Dapper. Der Wunsch sei es übrigens immer, „so weit wie möglich hinten zu laufen“: „Wir wollen zwischenzeitlich auch mal stehen“, meint sie. Und: „Hinten im Wagen stehen die Getränke“, berichtet die Vorsitzende und lacht. Apropos Verpflegung: Für alle – Musiker und „Wagenbesatzung“ – gibt es zur Stärkung erst mal ein Schnitzelbrötchen. Und es sollte sich zeigen: Die Bässe anderer Mottowagen übertönten die Kapelle nicht. Auch, weil Abstände gehalten wurden.

Bis Christian Menkehorst den Trecker allerdings starten kann, wird es noch eine Zeit dauern. Unruhig wird er deswegen nicht – Erfahrung aus rund 25 Jahren. Zur Treckertruppe und so zur KG sei er sogar über den Spielmannszug gekommen, berichtet er. Auch in seiner Familie werde dieses besondere Gen übrigens vererbt – so wie bei den Dappers und Waldmanns eben auch: „Alle Kinder waren schon im Maxi-Cosi dabei“, schmunzelt er.
Marlies Dapper nutzt die Zeit, schwelgt noch ein wenig in Erinnerungen. So sei es noch bis in die 80er-Jahre Usus gewesen, dass alle Kapellen nach dem Umzug nacheinander in die Stadthalle eingezogen seien. Ein besonderes Erlebnis, erinnert sie sich.

Nach letzten bangen Blicken Richtung Himmel ist es gegen 14.10 Uhr dann endlich so weit: Der Zug setzt sich auch für den Spielmannszug in Bewegung. Endlich wieder nach 2020. Und mit jedem gelaufenen Meter werden die Straßen voller. Und so wie sich der Altersjubilar am Rande der Eschstraße über das spontane Ständchen freut, so strahlen auch die Musikerinnen und Musiker des Spielmannszugs.
Denn es wird voll beim Zug ohne Bremse. So wie es Marlies Dapper zur Ruhe vor dem Sturm schon geahnt hatte. Der verdiente Lohn nach der Corona-Durststrecke…
