Hedwig Holtkötter hat über Jahrzehnte als Schuleiterin die Geschichte der Hilgenbergbergschule geprägt. Angefangen hat die heute 80-Jährige als „Fräulein“ in der Quantwicker Schule.
Da ist ja Fräulein Holtkötter!“ Hedwig Holtkötter muss selber schmunzeln als sie diese kleine Anekdote erzählt: „Kürzlich wurde ich in der Gartenwirtschaft Voss in Quantwick von einer Runde älterer Herren angesprochen. Es stellte sich heraus, dass es sich um die i-Männchen handelte, die ich als Lehrerin selber unterrichtet hatte – vor fast 60 Jahren. Da wusste ich: Jetzt wirst du langsam alt.“
Lehrerinnen-Zölibat galt bis in die 1950er-Jahre
„Fräulein“, das war noch bis in die 1960er Jahren die selbstverständliche Anrede für Lehrerinnen. Hintergrund war die lange Geschichte des Lehrerinnen-Zölibats. Diese Verpflichtung wurde erst in 1951 aus der Personalverordnung gestrichten, wirkte aber in vielen Köpfen noch einige Jahre nach.
Hedwig Holtkötter ist heute 80 Jahre alt. 42 Jahre lang war sie Lehrerin mit Leib und Seele. Als 20-Jährige startete sie 1960 als Junglehrerin an der Quantwicker Schule. 1967 wechselte sie an die Hilgenbergschule nach Stadtlohn. Dort wurde sie mit 29 Jahren Konrektorin und mit 32 Schulleiterin. Bis 2002 prägte sie drei Jahrzehnte lang das Schulleben an der größten Grundschule der Stadt. „Mein Leben, das war die Hilgenbergschule.“
„Eine muss aufs Gymnasium“
Sie sagt auch: „Den Wunsch, Lehrerin zu werden, den hatte ich schon früh. Wir haben als Kinder immer schon Schule gespielt.“ Sie wuchs auf einem Hof in der Gemeinde Beerlage, die heute zu Billerbeck gehört auf. „Wir waren neun Geschwister. Uns allen fiel das Lernen leicht. Da hat der Lehrer zu unseren Eltern gesagt: Eines von den Kindern muss aufs Gymnasium.“
Hedwigs ältestes Schwester war schon so alt, dass sie als Arbeitskraft zuhause unentbehrlich war. Die Zweitälteste traute sich nicht. Aber Hedwig sagte Ja. „Aufs Gymnasium zu gehen, das war ja damals etwas ganz besonderes in Beerlage. Ich fühlte mich geehrt.“
24 Kilometer Schulweg jeden Tag mit dem Fahrrad bewältigt
Hedwig Holtkötter war 13, als sie auf das Heriburg-Mädchengymnasium in Coesfeld wechselte. Weil der Schulweg von Beerlage aus zu weit war, zog sie zur ihrer Tante nach Osterwick. Von dort aus fuhr sie jeden Morgen mit dem Fahrrad zwölf Kilometer zur Schule und jeden Abend zwölf Kilometer wieder zurück, im Winter wie im Sommer. Zuhause ist sie nie wieder richtig eingezogen. „Das war nicht leicht. Mit 13 konnte ich die Tragweite meiner Entscheidung ja noch gar nicht richtig überblicken.“
Von der Zwergschule zur pädagogischen Akademie
Aber Hedwig Holtkötter kämpft sich durch. Als ehemalige Zwergschulen-Schülerin muss sie drei versäumte Jahre im Englischunterricht aufholen, Latein lernen. Und die Deutschlehrerin war so streng, dass Hedwig Holtkötter heute noch ein Schauer über den Rücken zu laufen scheint, wenn sie von ihr erzählt. Nach dem Abitur studiert Hedwig Holtkötter zweieinhalb Jahre an der Pädagogischen Akademie in Münster. Sie ist 20 Jahre alt, als ihr der Schulrat „die schönste Stelle im Kreis Ahaus“ überträgt: die Zwergschule in Quantwick.
Die gute Stube für die Lehrerin geräumt
Bis heute ist sich Hedwig Holtkötter nicht sicher, wie viel Ironie beim Schulrat mit im Spiel war. Sie jedenfalls hatte zunächst das Gefühl, eine Stelle am Ende der Welt angetreten zu haben: „Ich hatte ja kein Auto. Und die Lehrerwohnung in der Quantwicker Schule war 1960 noch mit Flüchtlingen belegt.

Die alte Quantwicker Schule © privat (Hedwig Holtkötter)
Auf dem benachbarten Bauernhof Weßling wurde kurzerhand die gute Stube geräumt. Dort wohnte Hedwig Holtkötter im ersten halben Jahr. Dann erst wurde die Dienstwohnung in der Schule frei. „Nie wieder im Leben habe ich so viele Mäuse gefangen“, sagt Hedwig Holtkötter. Immerhin: Für die Wochenendheimfahrt hatte die Bauerschaft damals noch einen Gleisanschluss: mit dem Pängel-Anton ab Quantwicker Bahnhof.
45 Kinder in einer Klasse
Im Rückblick meint Hedwig Holtkötter, der Schulrat habe mit seinem Loblied auf die Quantwicker Schule unter der Leitung des Hauptlehrers Groß-Bölting doch nicht ganz unrecht gehabt. Ihre Klasse zählte 45 Kinder – vom erst bis zum Viertklässler bunt gemischt. „Die Kinder waren aber sehr diszipliniert, sehr ruhig und vor allem sehr sozial geprägt. Das habe ich später so nicht mehr erlebt.“

Junglehrerin Hedwig Holtkötter mit Schülern der Quantwicker Schule © privat (Hedwig Holtkötter)
Die sieben Jahre in Quantwick waren für Hedwig Holtkötter im Rückblich eine sehr schöne Zeit. Aber, so ssagt sie, die 1960er-Jahre seien auch eine völlig andere Zeit gewesen. „Da gab es schon Gerede, als ich als junge Frau an der Fronleichnamsprozession teilgenommen habe, ohne einen Hut zu tragen.“ Und es war fast schon ein Eklat, als die Junglehrerin in Hosen zum Einkauf ging. „Und wenn die Jungen Physik- oder Chemieunterricht hatten, dann wurden die Mädchen in Handarbeit unterrichtet.“
Langer Schatten des Lehrerinnen-Zölibats
War das Lehrerinnen-Zölibat für Hedwig Holtkötter und ihre damaligen Mitstudentinnen eigentlich ein großes Thema? „Nein“, sagt sie, gesprochen wurde darüber nicht viel. Aber in den Köpfen der damals älteren Generation war das „Fräulein“-Dasein für Lehrerinnen noch fest verankert. Das gaben Hedwig Holtkötters Eltern ihr auch deutlich zu verstehen, als sie mal mit einem Freund ausging.

Hedwig Holtkötter mit ihren Schülern an der Quantwicker Schule © Hedwig Holtkötter
Die Tradition zeigt Wirkung. Von den 21 Schülerinnen in Hedwig Holtkötters Abiturklasse ergriffen die meisten den Lehrerinnenberuf. Neun von ihnen blieben unverheiratet so wie auch Hedwig Holtkötter. Stadtarchivar Ulrich Söbbing bestätigt den langen Schatten des Lehrerinnen-Zölibats nach der Lektüre der Stadtlohner Schulchroniken. Erst ab Ende der 1960-er Jahr gebe es dort Notizen über Namensänderung von Lehrerinnen nach einer Heirat. Davor endete die Schulkarriere meist mit der Hochzeit. Beispielhaft nennt Ulrich Söbbing einen Fall aus dem Jahr 1905 in Südlohn. „Mit der Verlobung wurde die Lehrerin prompt aus dem Schuldienst entlassen“, so Söbbing.
Zeit der Umbrüche
1967 wechselt Hedwig Holtkötter an die Hilgenbergschule, die damals erste Schule in Stadtlohn, die von der Volksschule in eine reine Grundschule umgewandelt wurde.

Die Stadtlohner Hilgenbergschule kurz vor ihrer Fertigstellung im Jahr 1936 © Münsterland Zeitung
Die späten 60er waren in vielerlei Hinsicht eine Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche. „Anfang der 70er Jahre hörten die Kinder auch auf, ‚Fräulein‘ zu sagen“, sagt Hedwig Holtkötter. Und den einstigen „Fräuleins“ wurde jetzt auch mehr zugetraut. 1969 trug der Schulrat der 29-jährigen engagierten Pädagogin den Posten der Konrektorin an. „Ich hatte gar nicht danach gestrebt, sondern mich sogar etwas gesperrt“, sagt Hedwig Holtkötter. Drei Jahre später wurde sie mit gerade 32 Jahren zur Schulleiterin ernannt. Der Rest ist Stadtlohner Schulgeschichte.