Etwas „unwirklich“ und „merkwürdig“ sei die Situation schon. 33 Jahre – und damit exakt sein halbes Leben – hat Ulrich Söbbing als Stadtarchivar der Stadt Stadtlohn und der Gemeinde Südlohn gewirkt. Als erster hauptamtlicher. Mit 66 Jahren endet nun diese prägende Zeit, die von einem Großereignis quasi „umklammert“ ist: der Schlacht im Lohner Bruch. „Gewartet habe ich auf diesen Moment nicht, konnte mich aber darauf vorbereiten“, erklärt der Stadtlohner.

Es sei nun aber auch an der Zeit, dass „andere Leute ran müssen“. Die Nachfolgerin Leonie Vinkelau hat Ulrich Söbbing bekanntlich fünf Monate eingearbeitet, Jürgen Assing bleibt an Bord. Der Archivar geht aber nicht so ganz, er wird weiter mit Rat und Tat unterstützen und seiner Leidenschaft nachgehen. „Dann ganz freiwillig“, wie er betont.
Noch nicht alle Projekte sind rund
„Ich werde jetzt wohl der beste Nutzer des Stadtarchivs.“ Ulrich Söbbing muss lachen. Das Werk, das er selbst mit aufgebaut hat, wird ihn auch künftig weiterverfolgen. Es gebe noch das eine oder andere Projekt, das noch nicht abgeschlossen sei. Zum Beispiel die junge Geschichte Wenningfelds oder die der jüdischen Gemeinde in Stadtlohn. „Ich kann nun die Themen in den Fokus nehmen, die mich besonders interessieren“, erklärt Ulrich Söbbing. Alles ohne Alltagsgeschäft, ohne Termine, ohne Anrufe, ohne Besucherwünsche.
Seine eigene Geschichte ist nicht minder spannend. Geboren in Wessum, wächst Ulrich Söbbing in Heek auf. Er wird Lehrer für Englisch und Geschichte („was Handfestes“) – ohne jemals eine Klasse zu unterrichten. „Es gab damals die große Lehrerschwemme“, blickt er zurück. Heute unvorstellbar. Gerade die Landesgeschichte habe ihn schon immer interessiert.
Seine Examensarbeit an der Uni Münster verfasst der damalige Student über die Schulen in Heek und Nienborg, seine Heimat. Josef Wermert, damals studentische Hilfskraft, habe ihn sehr gut im Gemeindearchiv unterstützt, erinnert sich Ulrich Söbbing. Eine der ersten prägenden Personen.

1985 ist das Examen in der Tasche, mit einer Einstellung als Lehrer aus besagten Gründen „nicht wirklich zu rechnen“. Und so fügt sich das Schicksal nun nach und nach. Ulrich Söbbing erhält eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beim Heimatverein Südlohn: „Das kam schon sehr gelegen.“ Er bearbeitet das Archiv, widmet sich Themen wie dem Kirchenführer oder der Flurnamenforschung. Viele Hofarchive entdeckt er auf Bauernhöfen. „So bin ich irgendwie ins Archivwesen hineingerutscht“, schildert der Stadtlohner.

Zum Sprungbrett wird dann die Einführung des Landearchivgesetztes 1989: Die Kommunen werden verpflichtet, Archive selbstständig zu erschließen und nutzbar zu machen. Kurz: Es werden offizielle Archivarstellen geschaffen. Der erste Ruf kommt aus Erwitte. Ulrich Söbbing folgt, wohnt fortan unter der Woche bei einer Bekannten. Umziehen will er mit der Familie nicht. Denn: Es gibt diese gewisse Vorahnung. „Als die ABM-Stellen aufgelöst wurden, hieß es, es würden nun vielleicht Archivarstellen in Stadtlohn und Südlohn geschaffen“, berichtet Söbbing. Und so kommt es – sogar schneller als er denkt.
Nach nur fünf Monaten in Erwitte tritt der Stadtlohner am 1. Juni 1991 die erste hauptamtliche Archivarstelle für Stadtlohn und Südlohn an. Obwohl es „wirklich viele Bewerber“ gegeben habe. Für Ulrich Söbbing eine „Traumkonstellation“: „Die Geschichte von Südlohn und Oeding kannte ich ja schon, mit Stadtlohn ist diese in vielen Bereichen eng verbunden.“ Aus heutiger Sicht ein absolut sinnvoller Schritt. „Ich hatte auch nie das Gefühl, dass sich ein Ort vernachlässigt gefühlt hat.“ Da gebe es ganz andere Beispiele. Zur Ausbildung zum Lehrer gesellte sich noch eine Zusatzausbildung zum Archivar.

Die Familie Söbbing wird fortan für die nächsten 33 Jahre bis heute heimisch in Stadtlohn. Dort trifft Ulrich Söbbing auf eine gute Archivtradition. Er denkt an die Vorarbeit von Lehrer Ludwig Frohne und Kulturamtsleiter Bernhard Uepping. In Südlohn von Herbert Schlottbom. Das alles fügt der Neu-Stadtlohner fortan zusammen. Wie ein Puzzle. „Man muss bedenken, dass in Stadtlohn im Zweiten Weltkrieg viel verloren gegangen ist“, umreißt er diese Herausforderung.
Schlacht im Lohner Bruch prägte
Die ersten Großprojekte lassen nicht lange auf sich warten: 1995 jährt sich das Kriegsende in Stadtlohn 50 Jahre, 1998 steht eben das Jubiläum 375 Jahre Schlacht im Lohner Bruch an. Ein Ereignis, das ihn zum nahende Renteneintritt nun wieder zum 400-Jährigen einholte und zu dem Ulrich Söbbing eines seiner viele Publikationen veröffentlichte. „Mit Büchern hinterlässt man doch mehr als mit temporären Ausstellungen“, meint er.

Es folgten Schriften wie die „Stadtlohner Ansichten“, die „Mosaiksteine Stadtlohner Geschichte“, die Geschichte der Kappelengemeinde Büren, das Heimatbuch für Südlohn und Oeding („Zwei Dörfer – eine Gemeinde“) oder auch das zur Vor- bis Nachkriegszeit Oedings („Erinnerungen an die schwere Zeit“). „Dazu kommen an die 35 Artikel fürs Kreisjahrbuch“, erzählt er. Ja, da komme schon was zusammen.

Zurück in die Anfangsjahre: Karteikarten prägen noch die ersten Jahre, dann wird ihm der erste PC, „ein 286er“, in Aussicht gestellt: „Da tackerten erst noch die Schreibmaschinen“, erinnert er sich. Bis heute hat Ulrich Söbbing eine enorme technologische Entwicklung in der Archivarbeit miterlebt. Dass irgendwann einmal alle Akten digitalisiert sein werden, daran glaubt er nicht. Gewisse Aktengruppen sicher, zum Beispiel das Standesamtsregister. Apropos Akten: „Akten klingen erstmal trocken. Es gibt aber immer neue Entdeckungen und Wendungen, wenn man hineintaucht“, erklärt der 66-Jährige.
Diese für die Nachwelt aufzubereiten und Geschichte zu vermitteln, sei eine weitere Kernaufgabe gewesen. Öffentlichkeitsarbeit, nennt es Ulrich Söbbing. Führungen, Vorträge, vielfach Projekte mit Kindern und mit den Heimatvereinen – all das mache den Beruf so vielseitig. Irgendwie fühlt sich Ulrich Söbbing wie ein Handwerker, der etwas (Be-)Greifbares schafft: „An unserer Arbeit haben die Menschen eben dauerhaft Freude.“ Man halte die Geschichte fest für sich und für andere, die diese nun weiterentwickeln könnten.

Und irgendwie sei ein Archivar auch ein Art „Einzelkämpfer“. Das mache die Sache auch interessant, ein „selbstbestimmtes Arbeiten“. Eingebunden in ein Netzwerk Gleichgesinnter. „Wir haben eine sehr gute Kollegialität untereinander. Alle verfolgen doch das gleiche Ziel“, meint Ulrich Söbbing. Und alle prägten Leidenschaft und Herzblut für diese Sache.
Unterstützung erfahren und weitergegeben
Nun werde er als Vorsitzender des Heimatvereins weiter unterstützen, wo er kann. So wie es Carl Föcking in Südlohn, Bernhard Uepping und Hubert Vogtt in Stadtlohn oder Richard Kroshoff in Oeding für ihn getan hätten. Nur einige Beispiele von vielen. Neben der künftig freiwilligen „Arbeit“ freue er sich vor allem auf mehr Zeit für die Familie, sechs Enkelkinder zählt er bereits. „Da kann ich jetzt mal meine Frau etwas entlasten“, sagt er und lacht. Gemeinsam werde man reisen, irgendwann sicher auch mal wieder nach Südtirol, dem bevorzugten Reiseziel.

Ulrich Söbbing muss lachen. Irgendwie schließe er ja jetzt mit zwei Arbeitsstellen ab. Mit verschiedenen Themen und Arbeitskollegen. Extrem spannend. Jetzt sei die Zeit nun mal gekommen, er gehöre ja noch zur Generation, die mit Vollendung des 66. Lebensjahrs in Rente geht.
Dass er sein Werk in sehr gute Hände legen kann, erfülle ihn genauso mit Genugtuung und Zufriedenheit wie sein Arbeitsleben. „Ich bin immer gerne ins Archiv gefahren“, blickt Ulrich Söbbing zurück. Er wird es weiterhin tun – freiwillig als „Nutzer“.
