Sehr emotional, aber auch sachlich und detailgetreu schildert eine 19-Jährige die Geschehnisse, die sich vor gut einem Jahr am Ahauser Schloss abgespielt haben sollen. Seinerzeit absolvierte sie ein Praktikum in Ahaus, dabei sei es zu einem Vorfall gekommen, dessen Folgen sie heute noch spüre. Gleich am dritten Praktikumstag soll ein Mitarbeiter des Ladens, in dem sie das Praktikum angetreten hatte, sie bedrängt und mehrfach übergriffig geworden sein. Dafür musste sich der 50-jährige Mann aus Stadtlohn jetzt im Amtsgericht verantworten.
Zur Sache selbst wollte sich der Angeklagte nicht äußern, sein Verteidiger verlas eine Einlassung. In dieser bestätigte der Stadtlohner, dass er bei einem Spaziergang am Schloss durchaus auf eine Wunde an der Hand, die sich die Frau beim Nägel machen lassen zugezogen habe, gepustet habe. Dafür zeigte er auch Reue. Alle weiteren Vorwürfe laut Anklageschrift seien unrichtig.
Mehrfach Übergriffe am Schloss
Die Aussage der Geschädigten, gleichsam Nebenklägerin, zeichnete ein völlig anderes Bild. Demnach seien beide nach einem Frühstück bei einem Bäcker Richtung Schloss gegangen. Dort habe sie ihre Nägel gezeigt, darauf habe er ihre Hand genommen und eine Wunde, die sie sich zugezogen hatte, geküsst. Sie habe ihm zu verstehen gegeben, dass sie das „nicht möchte“.
Im weiteren Verlauf habe der Stadtlohner sie dann mehrfach in den Arm genommen, sie gestreichelt, ihr dreimal auf den Hals geküsst und versucht, sie auch auf den Mund zu küssen. „Ich möchte das nicht, lass meine Hand los“, habe sie ihm mehrfach zu verstehen gegeben.
Im Laden zurück habe sie sich dann bald darauf einer Kollegin anvertraut, sagte die Geschädigte: „Sie fragte mich, was los sei.“ Dann sei man zusammen rausgegangen, die Tochter des Angeklagten sei hinzugestoßen. Gemeinsam habe man beschlossen, zusammen zur Wohnung der Kollegin zu gehen. Von dort habe sie die Kollegin zur Mutter gebracht. Zunächst unter dem Vorwand, dass ihr schlecht geworden sei. „Später habe ich meiner Mutter dann doch alles erzählt. Ich habe heute noch die Bilder vor Augen“, berichtete die 19-Jährige. Darauf sei man zur Polizei gegangen.
Mit der Einlassung des Angeklagten konfrontiert, meinte sie: „Warum sollte ich das erfinden? Er hatte mir bisher nichts getan.“ Sie habe sich zunächst in psychologische Behandlung gegeben, heute noch habe sie ein ungutes Gefühl, wenn jemand ihre linke Körperhälfte berühre. Immer wieder rang sie während ihrer Aussage mit den Tränen.
Die Kollegin berichtete, dass sich die Geschädigte nach Rückkehr in den Laden sehr ruhig und zurückhaltend verhalten habe. „Ich habe sie gefragt, ob alles in Ordnung sei.“ Darauf habe sie zur Antwort bekommen, dass die Praktikantin nach Feierabend ein Gespräch wünsche. Bald darauf habe diese angefangen zu weinen.
„Sie schien schockiert, hat gezittert, war blass, einfach anders“, so ihr Eindruck. „Ich war selbst geschockt, alles war irgendwie hysterisch.“ Ob sie mit dem Angeklagten ähnliches erlebt habe, fragte der Richter. „Was sie mit ihm erlebt hat, ist mir nicht passiert.“ Dass es jedoch Probleme zwischen beiden gab, darauf deuteten auch Nachfragen des Verteidigers hin.
Die Tochter des Angeklagten bestätigte die hysterische Situation nach Rückkehr vor dem Laden. „Meine Kollegin bemerkte, dass unsere Praktikantin komisch drauf sei“, erklärte sie. Was genau passiert sein soll, davon habe sie später erst in der Wohnung der Kollegin erfahren. Von Küssen und Streicheln sei nicht die Rede gewesen, die Geschädigte habe aber geweint.
Angesprochen auf den Vorwurf, der Angeklagte habe ihre Hand genommen und auf die Wunde gepustet, erklärte sie: „Er sagte zu mir, dass er sich nichts dabei gedacht hat.“ Insgesamt sei ihr Verhältnis zum Vater „sehr gut“.
Vor den Plädoyers merkte der Richter an, dass das Bundeszentralregister des Angeklagten keine Eintragungen vorweise. Für den Anklagevertreter habe sich der angeklagte Sachverhalt vollständig erweisen. Die Geschädigte habe alles genaustens und schlüssig beschrieben, die weiteren Übergriffe habe es gegeben. „Sie wurden emotional, es muss etwas Schlimmes passiert sein“, betonte er. 70 Tagessätze zu je 50 Euro wegen sexueller Belästigung seien angemessen. So sah es auch der Anwalt der Nebenklägerin.
Verteidiger fordert Freispruch
Der Verteidiger sah den Sachverhalt „völlig anders“. Vor allem wiesen die Aussagen der Anzeigenstellerin bei der Polizei und im Gericht „erhebliche Unterschiede“ auf. Den Spaziergang wolle man nicht bestreiten, sein Mandant habe auch „auf die Hand geguckt und gepustet“. „Die Berührung war da und wurde missverstanden“, so sein Fazit. „Was genau passiert ist, wissen nur die beiden. Alle anderen Aussagen kommen vom Erzählen“, so der Verteidiger. Deshalb könne es nur Freispruch geben.
Der Richter ging dann komplett mit der Staatsanwaltschaft mit. „Ich bin davon überzeugt, dass es die Übergriffe gegeben hat“, erklärte er. Die Geschädigte habe mehrfach betont, dass sie das nicht wolle. Es stünde zwar Aussage gegen Aussage, aber die Aussage der 19-Jährigen sei sehr detailliert, ruhig, selbstsicher gewesen. Überzeugend halt.
Und: „Sie hatte kein Motiv, sich so etwas auszudenken.“ Dem Angeklagten hielt der Richter zugute, dass dieser noch nicht in Erscheinung getreten sei. „Die Übergriffe waren aber schon massiv und haben Folgen hinterlassen.“