Der Alkohol hat Renate Schlüter ihren Sohn genommen. Es ist nicht der einzige Schicksalsschlag, der das Leben der 77-jährigen Stadtlohnerin geprägt hat. Sie ringt mit so einigen schlimmen Lebensphasen, darunter ihre Kindheit und Jugend mit einem brutalen Stiefvater und die Flucht in eine schwierige Ehe.
In ihrem zweiten Buch „Erinnerungen an meine Söhne Bernd und Stefan“ schreibt sie über ihr Leben als Mutter ab den 1960er-Jahren, ihre Ehe und ihre Söhne. Es ist ein Buch über mütterliche Hilflosigkeit, Kraft und Listen, über Schicksalsschläge und deren Verarbeitung.
Renate Schlüter vermutet, dass ihr Sohn Bernd schon in der Jugend süchtig wurde. Sie erinnert sich an eine Feier, bei der er schon als Kind den ersten Schnaps trank. Ohnmächtig blickt sie auf diese Vergangenheit zurück, mit Scham und Schuldgefühlen.
Schreiben für die Seele
Auch Jahre später noch beschäftigen sie die müttterlichen Fragen: „Warum?“, „Was wäre, wenn?“ oder auch ganz konkret „Waren das die richtigen Freunde für Bernd?“ Bernd wird zum Spiegeltrinker, das heißt, er schafft es, seinen täglichen Konsum zu kontrollieren, kommt aber keinen Tag ohne Alkohol aus.
In dieser Phase versucht die Familie eine Entziehungskur zu Hause. Es sind Wochen voller Krämpfe, Betteln und Hilflosigkeit, zuletzt der Abbruch. Bernd beginnt erneut zu trinken. Renate Schlüter fragt sich heute, ob zwei Tage mehr geholfen hätten. Ihren Sohn zitiert sie in dem Buch oft mit einer Begründung für das Weitertrinken: „Es hat noch nicht Klick gemacht.“
Die Witwe beschreibt aber auch sehr hilfsbereite Personen in Bernds Umfeld, trockene Episoden, Bernd als Beschützer seines Bruders Stefan, als sanften Onkel und als Vater.
Mit 32 Jahren stirbt Bernd an den Folgen seiner Alkoholsucht.
Keine einfache Ehe
Während sie ihre Geschichte erzählt, bewirtet Renate Schlüter den Gast aus der Redaktion freundlich in ihrer Küche. Eine frische und offene ältere Dame mit einem großen Freundeskreis und Familie. Die helle Doppelhaushälfte mit dem gemütlichen Garten hat sie in einem Stadtlohner Neubaugebiet noch mit ihrem Mann gebaut. Es sei zwar kleiner als ihr früheres Haus in Sprockhövel, inzwischen für sie jedoch zu groß.
Renate Schlüter wurde früh selbstständig, verdiente als Kind schon eigenes Geld. Das wird ihr das ganze Leben lang wichtig sein. Sie lernte ihren aus Stadtlohn stammenden Mann früh kennen und führte mit ihm in Sprockhövel einen Betrieb mit Werkstatt, Tankstelle und Getränkehandel. Die Ehe sei aber nicht einfach gewesen.
Darum geht es unter anderem auch in ihrem ersten Buch „Steinige Wege des Lebens“. Auch ihre schwierige Kindheit als Kriegskind und mit gewalttätigem Stiefvater sind darin Thema. „Alles kann man aber nicht preisgeben“, schränkt sie ein. Deswegen sind auch einige Namen geändert.
Anstoß für Gespräche
Ihr Sohn Stefan habe sie zum Schreiben des ersten Buchs gebracht. Das schrieb sie noch von Hand, das zweite hat sie in den Computer getippt. Beim ersten Buch half ihr eine Stadtlohner Ordensschwester mit dem Lektorat, beim zweiten eine Freundin. Das Tippen brachte sie sich selbst bei.
Auch das zweite Buch entstand für ihre Söhne. Es war für die 77-Jährige schwieriger zu schreiben als das erste. „Ich habe viel geweint“, sagt sie. Deshalb könne sie auch keine Lesungen machen.
Es sei für ihren Sohn Stefan und sie aber auch der Anlass für gute Gespräche über den verstorbene Bruder und Sohn geworden. Ein Teil der Familie sehe das Buch ein bisschen skeptisch. Renate Schlüter freut sich aber, dass sie Fremde auf die Bücher ansprechen: „Das tut mir im Nachhinein doch gut.“
Die Idee hinter den Büchern: „Ich schreibe es mir von der Seele.“ Sie sagt aber auch: „Ich habe mir das zwar von der Seele geschrieben, aber wohler fühle ich mich dadurch nicht.“ Immerhin sind die Umstände nun nicht mehr so widrig. „Vor fünf Monaten bin ich Uroma geworden“, sagt sie fröhlich.
- Renate Schlüter: Erinnerungen an meine Söhne Bernd und Stefan
- Das Buch ist bei der Buchhandlung Bücherzeit für 15 Euro erhältlich. Es wurde bei Brinkmann Druck erstellt.