Oma spricht eine andere Sprache Mathilde Terbrack will das Platt nicht untergehen lassen

Oma spricht andere Sprache: Mathilde Terbrack „küert“ Platt mit Enkeln
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Wenn Mathilde Terbrack ihre Geschwister trifft, dann wird Plattdeutsch gesprochen. Ganz selbstverständlich. „Alles andere würde sich nicht richtig anfühlen. Platt ist ja die Sprache, mit der wir aufgewachsen sind. Das ist die Sprache, in der wir uns zu Hause fühlen“, sagt die 57-Jährige.

Mit ihren eigenen drei Töchtern spricht Mathilde Terbrack aber Hochdeutsch. Auch wie selbstverständlich. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten ist das Plattdeutsche ins sprachliche Abseits geraten. Damit will sich Mathilde Terbrack nicht abfinden. Mit ihren Enkeln spricht sie wieder Platt. Und sie sucht jetzt Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die das Platt in Stadtlohn retten wollen.

Verpönter Dialekt

Bis zum Zweiten Weltkrieg war die niederdeutsche Sprache im Westmünsterland noch allgemeine Umgangssprache. In Hengeler sowieso. In der Stadtlohner Bauerschaft ist Mathilde Terbrack mit ihren drei Geschwistern aufgewachsen. Aber sie spürte schon Anfang der 1970er-Jahre als Kind, dass etwas mit dem Plattdeutschen nicht zu stimmen schien.

„Wenn wir in der Stadt waren, dann wollte unsere Mutter nicht, dass wir Platt sprechen. Das war verpönt“, sagt Mathilde Terbrack. Plattdeutsch wurden von vielen als ungebildete oder minderwertige Sprache empfunden. „Ich war ja froh, dass ich im Kindergarten schon Hochdeutsch gelernt habe. Meine älteren Geschwister mussten im ersten Schuljahr schon die erste Fremdsprache lernen: Hochdeutsch.“

Bedrohte Sprache

„Mit meiner jüngsten Schwester hat unsere Mutter nur noch Hochdeutsch gesprochen“, sagt Mathilde Terbrack. So ging es in vielen Stadtlohner Familien in den 1960er- und 1970er-Jahren. Das Plattdeutsche verschwand fast ganz aus dem öffentlichen Leben.

Heute sind es noch nach Angabe von Wikipedia 2,6 Millionen Sprecher oder 14 Prozent der Bevölkerung in Norddeutschland, die gut oder sehr gut Platt sprechen. Damit gehört das Plattdeutsche zu den bedrohten Sprachen. Es hat den Status als geschützte Regionalsprache im Sinne der Europäischen Charta.

Eine Frau zeigt Wörterbücher verschiedener  Dialekte (Symboldbild)
Dialekt soll nicht nur in Wörterbüchern (Symbolbild) überleben, findet Mathilde Terbrack. Sie will den Dialekt als lebendige Gegenwartssprache erhalten. © picture alliance / dpa

„Wenn das Platt verloren geht, dann fehlt etwas“, sagt Mathilde Terbrack. Sie mag das Bildhafte, die Wärme und Direktheit des Plattdeutschen. „Selbst die Schimpfwörter sind zwar derbe, aber nicht wirklich verletzend und gehässig.“

Inzwischen, so die Beobachtung von Mathilde Terbrack, ernteten Plattdeutsch-Sprecher eher Anerkennung. „Wat, du küerst ook Platt?“ – hört sie dann oft. Und sie sagt: „Auf Plattdeutsch hat man sofort einen ganz anderen Draht zueinander.“

Lebendige Gegenwartssprache

Für ihre sechs Enkelkinder ist es ganz normal, dass die Oma eine andere Sprache spricht. Verständigungsprobleme gibt es nicht. „Es ist ja erwiesen, dass die Sprachkompetenz von Kindern wächst, wenn sie zweisprachig aufwachsen.“ Und so murmelt der kleine Enkel, wenn er seinen Spielzeugtrecker zurücksetzt: „Trügge, trügge, trügge ...“

Mathilde Terbrack will in diesem Jahr gemeinsam mit Buchhändlerin Karin Wesseler und dem Heimatverein Angebote schaffen, die auch jüngeren Stadtlohnern einen Zugang zur plattdeutschen Sprache eröffnen. Es gebe zwar schon die „Vertellekes“, die plattdeutschen Morgenangebote des Heimatvereins.

„Die richten sich aber vor allem an ältere Menschen. Wir möchten gerne zeigen, dass Platt nicht nur für ,olle Löö‘ ist, sondern auch eine lebendige Gegenwartssprache sein kann“, sagt Mathilde Terbrack.

Lesung „Wat kicks du kruus?“

Auftakt ist am Dienstag, 30. Januar, 19 Uhr. Dann stellt die aus Vreden stammende Kinderbuchillustratorin Hannah Siehoff im Haus Hakenfort ihr Bilderbuch „Wat kicks du kruus? Verstehs mi nich?“ vor.

Das plattdeutsche Buch habe sich in ihrem Laden zu einem echten Bestseller entwickelt, sagt Buchhändlerin Karin Wesseler. „Das ist ein Buch nicht nur für Kindern, sondern für die ganze Familie.“ Karten gibt es zum Preis von fünf Euro im Vorverkauf in der Buchhandlung Wüllner an der Mühlenstraße.