So wie andere Menschen begrüßen, so verabschiedet sich Soufiane Sadek am Donnerstagnachmittag (11.7.): „Immer herzlich willkommen.“ Während sich das Gasthaus Schlüter langsam füllt, nimmt sich der frisch gebackene Restaurantfachmann gerne die Zeit, dem Besucher aus der Redaktion seine Geschichte zu erzählen. Stets mit dem Blick für die Gäste.
Und mit großer Vorfreude in den Augen: Am Samstag geht es für ihn zu Besuch in die Heimat nach Marokko. Erst zum zweiten Mal, seitdem er sich vor rund zweieinhalb Jahren ins Abenteuer Deutschland gestürzt hat. Eine Erfolgsgeschichte in mehrfacher Hinsicht. Vor allem für gelebte Integration.

März 2022, allein mit einem Koffer, steht Soufiane Sadek vor der Tür bei Schlüter. Dieter Hintemann erinnert sich noch gut. Übers Internet hatte die beiden zusammengefunden. „Wir hatten eine offene Ausbildungsstelle, Soufiane wurde uns quasi vermittelt“, berichtet der Stadtlohner. Ein Wink des Schicksals. Das notwendige Sprachzertifikat hatte der 29-Jährige in der Tasche, nach einigen Wochen des Wartens folgte die erlösende Nachricht. Das Abenteuer konnte starten.
Elektriker und Bademeister
Einem kleinen Abenteuer kommt da schon der bisherige Werdegang des jungen Marokkaners gleich. Nach dem Abitur absolviert er eine Ausbildung in Elektro- und Automatisierungstechnik. Ein ebensolches technisches Studium bricht er ab. In den Sommern arbeitet er auch als Bademeister. Und „nebenbei“ entdeckt er seine Leidenschaft für die Gastronomie. Vor allem in den Urlaubszeiten, auch gar in verantwortlicher Position. Ab 2019 widmet er sich der deutschen Sprache. „Dann kam Corona“, blickt der 29-Jährige zurück.

Soufiane Sadek verfolgt fortan einen klaren Plan. Das Ziel, einmal Deutschland zu entdecken, ist ein feste Säule. Auch „weil Deutschland in der Elektrotechnik stark ist“. Und vor allem in der Gastronomie. Denn letztere ist die zweite Säule, die der Zukunft Halt geben soll. Nach bestandener Sprachprüfung geht der Marokkaner die Bewerbung offensiv an. Und bleibt gleich beim ersten Angebot hängen. Eben in Stadtlohn.
Mit Unterstützung eines Bekannten geht die Reise von Meknes über Fès und Weeze vorerst nach Essen. Von dort am nächsten Tag weiter nach Stadtlohn. Bis vor die Tür von Schlüter. Die Familie ließ er vorerst hinter sich. Der 29-Jährige hat noch je zwei Schwestern und zwei Brüdern – „ich bin der Mittlere“. „Wenn ich das wolle, sollte ich es auch machen“, sei der Tenor gewesen.
Ja, die ersten zwei, drei Monate sind keine einfache Zeit. Soufiane Sadek muss sich erst einfinden, vor allem die Sprache bereitet Probleme. „Das ist in der Gastronomie unheimlich wichtig“, erklärt er. Auch deshalb fällt es ihm zunächst schwer, auf die Menschen zuzugehen. „Ich bin von Natur aus eher schüchtern“, betont der 29-Jährige. Gerade in Stresssituationen muss er lernen, nicht alles auf sich persönlich zu beziehen. Die Familie ist fern, spricht aber immer wieder gut zu. Unterkriegen lässt er sich sowieso nicht. „Aufgeben war nie Thema“, blickt der Restaurantfachmann zurück.
Nach rund drei Monaten sei dann irgendwie der Knoten geplatzt. Soufiane Sadek findet stets mehr Vertrauen, ist „angekommen“. Dabei erfährt er enorme Unterstützung. Nicht nur im Team des Gasthauses Schlüter, sondern auch zum Beispiel in der Schule, am Berufskolleg Lise Meitner. „Da hat man mir sehr geholfen, nicht nur fachlich“, freut er sich. Dass er so viel Hilfe erfahren durfte, sei für ihn nun auch ein Anlass, etwas zurückzugeben: „Ich helfe gerne.“

Soufiane Sadek wirkt gelöst, denn kürzlich hat er eben die Abschlussprüfung der eigentlich dreijährigen Ausbildung bestanden. Nach nur zwei Jahren und drei Monaten. Sogar schriftlich sehr ordentlich. In der Praxis natürlich mehr als ordentlich, das Handwerk hat er ja nach Deutschland mitgebracht. Und das deutete bereits ein vierter Platz im Wettbewerb um die Hupfer Münsterlandgabel an. „Das hatten mir so nicht alle zugetraut“, berichtet der 29-Jährige mit einem Augenzwinkern.
Ein Jahr will Soufiane Sadek nun erstmal bei Schlüter weiter Fuß fassen. Vielleicht mehr Zeit für seine Hobbys finden: Fitness, Schwimmen. „Ich bin Sportler“, sagt er. Dass er dafür eigentlich zu wenig Zeit findet, damit müsse er leben. Die Gastronomie mit ihren eigenen Arbeitszeiten habe er sich ja bewusst ausgesucht. Die nächsten Ziele sind dabei schon im Hinterkopf. Vielleicht mal die Ausbildereignung anstreben. Oder andere Länder in Europa besuchen.
Aufmerksame Art kommt an
An die Mentalität der Deutschen habe er sich übrigens recht schnell gewöhnen können. „Marokko ist natürlich multikulturell, doch Europa nicht ganz so fern“, berichtet Soufiane Sadek. Vor allem mit der deutschen Disziplin und Gründlichkeit konnte er sich schnell anfreunden. „Ich war schon in der Schule sehr professionell. Das bin ich heute noch“, erzählt er, während er einen weiteren Gast im Haus begrüßt. Und dem Autor ins leere Wasserglas nachschenkt.
Man müsse Arbeit auch erkennen, Interesse daran haben, sagt er schmunzelnd. Gerade im Service. Er schätze vor allem die Ehrlichkeit der Menschen. Ja, auch das Zwischenmenschliche sei ihm in die Wiege gelegt worden. Die zuvorkommende, aufmerksame, herzliche und freundliche Art wird auch von den Gästen geschätzt. Man kennt den jungen Mann aus Marokko, wie sich beim Fototermin vor dem Haus zeigen sollte.

Nun sitzt er wieder auf gepackten Koffern – für eben einen zweiten Besuch in der Heimat. Mit dem Prüfungszeugnis in der Tasche. Kraft tanken will er in den 20 Tagen, viel erzählen wird er müssen. Ganz besonders die Kinder seiner Schwester freuten sich auf ihn. So wie er sich auf sie. Der 29-Jährige strahlt, Kinder hat er gerne um sich. Wie einst als Bademeister.
Win-win-Situation
„Ich hab es geschafft“, rutscht es aus ihm heraus. Ein wenig Stolz schwingt mit. Um dann gleich wieder sachlich zu werden: „Ich muss mein Deutsch weiter optimieren.“ Und am Englisch feilen. Und versuchen, dass auch seine Ausbildung zum Elektriker in Deutschland anerkannt wird.
Für den Marokkaner und die Hintemanns ist es die klassische Win-win-Situation. Das Gasthaus begegnet so kreativ dem großen Problem des Fachkräftemangels. Und Soufiane Sadek verwirklicht sich in dem, was er immer wollte. Und was er noch einige Jahrzehnte machen will.
Und wie es nun mit dem Stress? „Wir lernen und wachsen gemeinsam“, schmunzelt Dieter Hintemann. Weiter: „Er nimmt sich die Arbeit eben sehr zu Herzen. Wir sind glücklich und zufrieden. Vor allem auch, weil er uns erhalten bleibt.“ Soufiane Sadek habe die Philosophie des Hauses nicht nur schnell verinnerlicht, er lebe sie auch, wie Inhaberin Anne Hintemann erzählt: die Liebe zur Gastlichkeit.
Fortsetzung folgt – nach dem Heimaturlaub!
Diesen Artikel haben wir am 19. Juli 2024 veröffentlicht.