Kurz nach zehn am Freitagmorgen. Die Kartoffeln sind schon geschält. Margrit Neises wuchtet den großen Topf auf die Herdplatte. Dann setzt sie sich an einen der Tische im Truck Stop. Der Imbiss an der von-Ardenne-Straße in Stadtlohn ist ihr zweites Zuhause. Jetzt hat sie ein wenig Zeit, aus ihrem Leben zu erzählen. Oder aus ihren „zwei Leben“, wie sie lachend sagt.
Dann aber macht sie ein sorgenvolles Gesicht: „In letzter Zeit fragen unsere Kunden oft: ,Wie, euch gibt es ja doch noch? Wir haben gehört, dass ihr schließt!‘“ Margrit Neises sagt: „Ich weiß gar nicht, warum so etwas erzählt wird. Wir denken gar nicht ans Aufhören. Wir machen weiter.“ Margrit Neises ist 76 Jahre alt. Ihr Mann Josef ist 73. Der Mann mit dem großen Schnauzbart wienert gerade die Anrichte blank und ruft aus dem Hintergrund: „Am liebsten, bis wir tot umfallen.“

Die beiden sind längst Rentner und könnten die Beine hochlegen. Stattdessen arbeiten sie täglich bis zu zwölf Stunden. Margrit Neises an vier Tagen in der Woche, ihr Mann sogar an sechs Tagen. Den ganzen Imbissbetrieb stemmen die beiden ohne die Hilfe von Angestellten.
Reicht die Rente nicht? „Nein, das ist es nicht“, sagt Margrit Neises und schüttelt energisch den Kopf. Sie schaut sich in ihrem kleinen, aber feinen Imbiss um und lächelt. Sie sagt: „Das ist unser Hobby.“ Ihr Mann Josef ist gelernter Bäcker, Konditor und Koch, hat aber zumeist in seinem vierten Beruf als Versicherungsmakler gearbeitet. Die Leidenschaft fürs Gastgewerbe aber hat ihn nie losgelassen.
Hausmannskost und Schwätzchen
„Ich wollte immer schon arbeiten, auch als junge Frau“, sagt die 76-Jährige. In ihrer Heimatstadt Bottrop war sie Spielwarenfachverkäuferin. „Ich mag es, wenn ich mit Menschen zu tun habe. Ich bin nicht gerne allein.“ Auch nach der Geburt ihrer beiden Kinder arbeitete sie schon bald wieder als Filialleiterin. „Ich habe damals Tagebuch geschrieben. Da kann ich nachlesen, dass nicht immer alles ganz einfach war.“
Jetzt nimmt sie das Leben leichter. Sie freut sich über ein Schwätzchen mit den Lkw-Fahrern, die die Hausmannskost im Truck Stop zu schätzen wissen. „Gestern war einer aus Hamburg hier, ein anderer kam aus Bayreuth.“ Ob Bratkartoffeln mit Speck und Zwiebeln, selbstgemachte Saucen und Salate oder frisch gebratene Schnitzel – „wir verzichten auf Vorgefertigtes“, sagt Margrit Neises.
Nur zu zweit
„Wir sind ja dafür da, den Menschen etwas Gescheites zu essen zu machen, Gerichte, die sich jeder leisten kann. Ich freue mich einfach daran, wenn die Menschen hier kurz mal abschalten können und sich wohlfühlen.“ Am meisten mag sie das Kompliment: „Das schmeckt ja wie früher zu Hause.“
Josef Neises ruft jetzt vom Herd herüber: „Die Kartoffeln stehen noch auf fünf!“ Margrit Neises ruft zurück: „Stell‘ mal runter auf vier!“ Die beiden sind ein eingespieltes Team und schon seit mehr als 30 Jahren verheiratet. Einen Chef oder eine Chefin gibt es nicht. „Jeder hat seine Aufgaben“, sagt Margrit Neises. Ihr Mann ruft von der Theke: „Wir schaffen das nur zu zweit. Wenn einer von uns nicht mehr kann, dann ist Schluss.“
Aber ein Ende für den Truck Stop ist ja noch nicht abzusehen. Auch Krankheitstage gebe es bislang nicht. „Wir haben in den letzten zwölf Jahren höchstens mal geschlossen, wenn wir zu einer Beerdigung mussten“, sagt Josef Neises.
Nur der Sonntag ist ihr Ruhetag. Urlaub gibt es nicht. „Aber an langen Wochenenden fahren wir mal nach Greetsiel. Mehr brauchen wir nicht. Ich habe ja schon genug von der Welt gesehen“. Ihr erster Mann arbeitete als Polier auf Großbaustellen in Afrika. „Ich bin deswegen auch öfter in Afrika gewesen. In Nigeria oder Burundi. Die Armut, die ich dort gesehen habe, hat meinen Blick auf die Welt verändert.“
Sofa ist keine Alternative
Aber jetzt hat Margrit Neises den Herd im Blick: „Die Kartoffeln sind gar. Ich muss jetzt den Seelachs anbraten.“ Die ersten Mittagsgäste kommen schon deutlich vor zwölf. Ein neuer Tag im Unruhestand von Margrit und Josef Neises.
Bevor sie sich der Fritteuse zuwendet, sagt sie noch: „Wir haben keinen Hund, wir haben nur einen kleinen Garten, der ist schnell gemacht. Wir können doch nicht den ganzen Tag auf dem Sofa sitzen.“
Dieser Artikel erschien zuerst am 12. November 2023.